Kapitel 14a

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Flordelis Vanyeridis

Es waren weit mehr als fünf Minuten ins Kronland gegangen, als sich die Frau an Lysanders Seite noch immer vornübergebeugt an ihn lehnte. Ein säuerlicher Geruch schwebte wie eine Dunstglocke zwischen den Baumstämmen und verriet auch ohne einen genauen Blick zu den Rotkuttenstiefeln, dass Mo wohl die letzte Mahlzeit der Rebellin wieder nach außen befördert hatte. Die Kopfgeljägerin mühte sich wahrlich darum, ihre Augen irgendwo zwischen den Wipfeln der Bäume schweifen zu lassen, stehenzubleiben, wo sie stand, nicht zu viel Aufmerksamkeit zu der Kreatur an Lysanders Seite zu lenken. Doch mit ihren geschärften Sinnen musste sie das Würgegeräusch und das folgende Wimmern leider sehr wohl vernehmen.

Ein tiefer Atemzug entrang sich ihrer Brust.

Schwere.

Etwas daran fühlte sich schwerer als Blei an.

Beinahe wollte sie glauben, es wäre ihr eigenes Herz, das ihr so schwer war.

Aber so weit war es noch nicht.

Sicherlich nicht.

Sie konnte sich nicht erklären, weshalb sich ihre Füße ganz ohne ihr Zutung wieder in Bewegung setzten – dennoch schlurfte Flordelis nun sehr zielgerichtet durch die Farnwedel voran in Richtung des Baumstamms, auf dem sich ihre Anhängsel zu ihrer längst überzogenen Pause niedergelassen hatten. Ein Teil ihres Verstandes glaubte vielleicht noch daran, dass sie Marell nun mit Gewalt hinter sich durch den Wald schleifen würde, ihn einfach packen und mitnehmen, um endlich zum Haus der Zauberkundigen aus den Marschen zu gelangen. Ein Teil ihrer Gedanken dachte möglicherweise, sie wäre so unglaublich kalt und hart und verbittert. Womöglich wollte dieser Teil von ihr auch, dass es so war.

Die Wahrheit jedoch? Sie setzte sich mit einem weiteren tiefen Atemzug neben der Frau auf den Baumstamm und verlor nicht ein einziges Wort über jene Gedanken. Stattdessen heftete sich ihr Blick mit einer neuen Klarheit an das Gesicht des Söldners, während sich etwas in ihrer Brust auf ganz und gar seltsame Weise zusammenzuziehen begann.

Mitleid? Es wäre zu viel, es derart zu bezeichnen.

Dazu gab es da mehr in ihr, das sie selbst nicht verstand.

Aber sie blaffte Marell nicht an, als sie sprach.

Und sie musste zugeben, dass sie sich ihre eigenen Worte noch vor wenigen Minuten selbst nicht zugetraut hätte.

„Gibt es etwas, dass ich tun kann?"

Der Söldner linste aus dem Augenwinkel verstohlen zu ihr herüber und schien die Gefühle aus den verborgenen Schatten in ihren Zügen lesen zu wollen, gab sich zur selben Zeit aber beschäftigt mit einem Leinenbündel, das er sich zuvor aus seiner zerschlissenen Kleidung gerissen hatte. Mit den Fingern arbeitete er sich durch die dicke Schlammkruste auf dem Stoff, versuchte, den Dreck der vergangenen Stunden so gut als möglich von der Oberfläche zu lösen. Ruß und Wald und Blut bröckelten unter seinen Fingernägeln hervor, während er sich nur scheinbar konzentriert seiner Arbeit hingab.

Flordelis wusste, dass seine Aufmerksamkeit nicht eine Sekunde lang von ihr wich. Auch nicht von Mo, die sich zitternd an seine Schulter klammerte.

„Die Tatsache, dass du gesagt hast, was du gesagt hast ...", murmelte er leise in Richtung der Kopfgeldjägerin, „... dass du dennoch gekommen bist ..."

„Halt die Klappe", unterbrach sie zischend. „Ich will wissen, ob ich helfen kann. Mehr nicht."

Für einen kurzen Moment war ihr, als wollte der Mann ein Seufzen verlauten lassen. Nur ein Sekundenbruchteil, in dem sie glaubte, er würde gleich mit einem Kopfschütteln auf die unnötige Schärfe in ihrer Stimme reagieren. Dann aber senkte Marell seinen Blick nur stumm zu ihren Händen hinunter, ehe er ihr die notdürftig gesäuberten Leinenbahnen entgegenhielt.

Ein Schwert aus Rabenblut: Der Durst einer SeeleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt