Kapitel 4a

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Die Kopfgeldjägerin

Schneller als die Bewegung eines Schattens zückte der Anführer der Zirkontruppe sein Schwert aus der Scheide, als wollte er der Kopfgeldjägerin sogleich das sichere Todesurteil auf dem Henkerspodest verlesen. Nur, dass sich diese Männer nicht viel aus einer offiziellen Verlesung des Tatbestands machten oder überhaupt daran dachten, Flordelis eine offizielle Belehrung über ihre Verbrechen an der Fürstin zuzugestehen. Stattdessen wichen die drei Wölfe wie ein eingespieltes Rudel auseinander und kesselten ihre Opfer mit solch geschmeidigen Bewegungen ein, dass dem Widerstand in der Mitte des Kessels kaum Zeit für eine eigene Formation übrig blieb.

Die Mienen der Häscher blitzten heimtückisch aus der Dämmerung. Fast so bösartig wie die Klingen in ihren Händen.

Hätte die Kopfgeldjägerin in jenen Augenblicken noch einen Funken Humor in sich getragen, so hätte sie vielleicht eine Bemerkung an den Hauptmann der Truppe verschwendet. Sie hätte gescherzt, dass ihm eine lange Sabberspur über das Kinn sickerte – so sehr habe er ihre Furcht wohl nötig.

Doch in jenen Augenblicken konnte Flordelis die Unruhe in ihrer Magengegend kaum verleugnen. Sie schämte sich auch nicht dafür, dass sie beim Anblick der gezückten Klingen einen ganzen Schwall an Seelennahrung für die Zirkone in die Luft absonderte. Es handelte sich nicht um die Zeit für Scherze. Die Sache war ernst.

Fast synchron wichen die Kopfgeldjägerin und der Söldner im Zentrum der Angriffsformation Rücken an Rücken zusammen, als hätten sie sich nicht erst vor gut zwei Stunden zum ersten Mal in ihrem Leben gesehen. Das gestohlene Glück, die Flüche, der Streit, ... All das rückte weit in den Hintergrund in Anbetracht der Tatsachenlage, dass jene Dinge nach ihrem Tod nicht mehr von Bedeutung wären.

Flordelis sog scharf die Luft ein, als ihr Rücken den von Marell berührte. Sie musste keinen Blick über die Schulter werfen, um zu wissen, dass er seinen Speer wie ein Distanzwerkzeug zwischen sich und einem der Häscher positionierte.

Sie selbst zögerte keine Sekunde länger. Mit einer fließenden Bewegung zog sie die Klinge ihres Schwerts aus der Scheide und erwiderte das blutrünstige Blitzen der anderen Klingen mit einem Knurren, das sich an der kalten Luft schnell in Eiskristallwölkchen verwandelte. Die Kälte ihrer eigenen Atemzüge ließ auch ihr Herz zu Eis gefrieren, transformierte die einzige Wärmequelle in ihrem Körper in das Epizentrum der Härte, mit der sie den drei Männern aus dem Zirkonfürstentum begegnen würde. Fliederfarbene Dämmerung tanzte über die schlanke Klinge in ihren Händen und vollführte ein elegantes Wechselspiel mit der Dunkelheit des Versprechens, dass diese Waffe noch vor dem Morgen das Leben eines Häschers fordern würde.

Flordelis glaubte, das Metall in ihren Händen singen zu hören. Wie sich der Wind aus den Ebenen daran schnitt, um die Klinge blutlechzend nach dem Fleisch ihrer Gegner wimmern zu lassen.

Schon immer verspürte sie etwas Unheiliges in dem Moment, der einem Gemetzel vorausging. Ein Moment der Stille vor dem Sturm, der sie Ehrfurcht vor dem Werkzeug in ihren Händen lehrte.

Mit den Augen verfolgte sie jede noch so kleine Bewegung des Zirkontruppführers, taxierte die minimalen Verlagerungen seines Gewichts. Nicht zu verleugnen, dass sein Schuhwerk um einiges schlechter mit den Gegebenheiten des Waldes auskam, als es dem Mann in einer Kampfsituation wahrscheinlich lieb gewesen wäre. Doch er pendelte seinen Körperschwerpunkt mit solch einer Präzision über den federnden Knien ein, dass er der Kopfgeldjägerin auch auf ungünstigem Boden kein leichtes Spiel mit ihrer Klinge bieten würde. Seine Blicke flogen nur für die Dauer eines Wimpernschlags über ihre Verteidigungsposition, schätzten kurz, taxierten zielsicher und nahmen sich nur den Bruchteil einer Sekunde für die Auswahl ihrer Schwachstellen.

Scheiße!

Noch ehe die Kopfgeldjägerin das Gewicht zur anderen Seite verlagern konnte, schoss die Klinge des Mannes auch schon aus einer schräg seitlichen Bahn auf sie zu. Das Metall sauste, sirrte und schnitt durch die Luft wie ein todbringendes Fallbeil, das sich vor Freude kreischend auf die noch ungeschützte Linke seiner Gegnerin stürzte.

Ein Krachen.

Ohrenbetäubend, so kam es ihr vor.

Metall auf Metall, als Flordelis ihre eigene Klinge gerade noch rechtzeitig in die Flugbahn der Schneide zu bringen vermochte. Der Nachhall des Aufpralls schoss wie ein Blitzschlag in die angespannten Fasern ihrer Muskulatur und ließ sie reflexartig die Zähne aufeinanderbeißen, um ja keinen Schmerzenslaut über die Lippen zu stoßen. Ihre Hand konnte den ungünstigen Winkel der Blockade kaum gegen den Druck des Angriffs aufrechterhalten, verkrampfte sich, bohrte sich mit den behandschuhten Fingern in den Griff ihrer Waffe.

Der Mann war schnell.

Schneller, als dass sie sich eine günstigere Verteidigungsposition hätte wählen können. Wie ein Kind des Windes tänzelte die Klinge der Waffe von der Kreuzposition ins nächste Manöver und zischte in einem Halbkreis an den Schenkeln der Kopfgeldjägerin vorbei. Das Schwert vollführte einen Bogen, um die nächste Attacke mit doppelter Wucht auf ihren Kopf herabsausen zu lassen.

Ein Sirren. Schwertgesang.

Doch dieses Mal war sie vorbereitet.

Flordelis riss das Schwert mit beiden Händen am Griff in eine waagerechte Position und schützte ihren Kopf mit einer erhobenen Blockade, sodass die Klinge ihres Gegners wieder nur in hartes Metall beißen konnte. Sie wusste, dass sie bei ihrem Gegner nicht viel auf Indizien geben konnte. Er war gut. Und er wusste ihre eigenen Beobachtungen gegen sie zu nutzen, als hätte er ihr vor seinem Manöver in die Seele gesehen. Ihre Augen trauten den Andeutungen seiner Schultern nicht mehr über den Weg und fixierten sich stattdessen auf den Weg des Stahls, der mit der gesamten Wucht des Schlags auf ihre Klinge prallte.

Es donnerte.

Nicht am Himmel, sondern in Flordelis' Seele.

Als würde der Klang der zusammenprallenden Kräfte etwas in ihr wachrütteln, das vor langer Zeit in ihre Leben gefunden hatte. Das ihr Fleisch und Blut und Leben geworden war.

Eine Erinnerung an fast vergessene Zeiten.

Männer lügen.

Klingen lügen nicht, dachte sie.

Die Kopfgeldjägerin ließ die Klinge des Häschers mit einer geschickten Kippbewegung hinter ihrer Schulter abgleiten, während sie sich zeitgleich unter dem hinabschnellenden Metall zur Seite drehte und ihrerseits den Schwung der auseinanderfahrenden Kräfte für einen seitlichen Hieb gegen den Hals des Mannes nutzte.

Abendrotglänzend senste ihr Schwert durch die Nacht. Es mähte sich durch die Frostwolken ihres Atems und schnellte in Richtung des Ziels, brauste und sang und ...

... traf nicht, wo es den sicheren Tod des Zirkons schmecken wollte.

Es hätte ein Glückstreffer werden können ...

Stattdessen ertönte ein furchterregender Schrei.

Ein Schwert aus Rabenblut: Der Durst einer SeeleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt