2. Kapitel

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Flo zieht sich an.

Er hält inne.

Sein Kopf ist leer.

Er ist wie gelähmt.

Mona. Brandmarkt. Angekettet. Vergewaltigt.

Obwohl sie nicht mehr schreit, hört er das Geräusch noch immer, es hallt in seinem Schädel wider. Die Bilder, mit denen sein Verstand das Geräusch untermalt, sind so schrecklich, dass er sich übergeben möchte. Und er tut es. Doch die Übelkeit wird von Sekunde zu Sekunde stärker. Es ist, als würde sich sein Verstand zersetzen.

Er schaut aus dem Fenster, aber obwohl er sich weit hinauslehnt, kann er sie nicht sehen.

Es fängt an zu regnen und es wird langsam dunkel. Wie sie frieren muss, denkt er. Wie viel Angst sie haben muss, da unten in der Kälte! Und alles nur wegen mir, meine Schuld, dass das passiert. Meine Schuld.

Er verlässt sein Zimmer und geht die Treppe hinunter. Er muss sie sehen. Und irgendwie muss er ihr helfen können. Es muss möglich sein.

Auf der Treppe kommt ihm ein Mädchen entgegen, das einen betrunkenen Freier hinter sich herzieht. Sie ist etwa in seinem Alter, er deutlich älter. Der Blick des Mannes durchdringt Flos weite, dünne Hose und das kurze, lockere Hemd. Flo kennt diesen Blick, neugierig und begehrlich. Ob dieser Mann schon einmal bei Mona war? Allein oder mit seinen Männern? Das Geschenk des Hauses.

Er wendet sich ab, denkt nur noch an ihre Augen, als er den großen Raum erreicht, in dem sich Huren und Freier tummeln, um sich gegenseitig anzugaffen und zu begrapschen. Vorsichtig bewegt er sich an der Wand entlang, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, und doch zieht er einige Blicke auf sich. Wie immer. Blicke der Lust und Geilheit, denen, wie so oft, gierige Hände folgten. Hände auf seinem Hintern, auf seiner Brust, auf seiner Wange, auf seinem Bauch. Hände, denen es völlig egal war, wie er sich dabei fühlte. Hände, die vielleicht nur Minuten zuvor Mona missbraucht hatten.

Mona.

Er erreicht die Tür, tritt hinaus und sieht sie an der Hauswand kauern. Sie ist in sich zusammengesunken und schaut nicht auf, als er sich nähert. Ist sie bewusstlos? Oder hat sie einfach aufgegeben?

Ihre geballten Fäuste sind mit Eisenketten und einem Ring an die Wand gefesselt. Ihr Gesicht ist mit Schminke und Blut verschmiert, ihre Haut schmutzig und rot. Regen tropft auf ihre helle Haut und vermischt sich mit dem Blut an ihrer Hüfte. Ein glühendes Zeichen markiert sie. Eine Schwalbe.

"Mona?"

Sie schaut nicht auf. Aber ein kurzes Zucken geht durch ihre gefesselten Glieder. Er legt seine Hand auf sie und zieht sie gleich wieder zurück. Ihre Haut ist kalt. Ihr Herz schlägt langsam. Wenn sie die ganze Nacht hier draußen bleibt, wird sie sterben. Die Gewissheit trifft Flo wie ein Blitz. Er wird sie verlieren.

In Mona regt sich etwas. Sie will sprechen, aber man sieht ihr an, dass jeder Atemzug schmerzt. "Flo?"

Er nickt.

"Sie wusste es." bringt Mona hervor. Sie hebt den Kopf und schaut ihn an. Ihre Augen sind trüb und traurig, während der Regen ihre zerzausten Haare heruntertropft. Der Hoffnungsschimmer, der ihren Blick immer leuchten ließ, ist erloschen. "Sie wusste alles." Dann öffnet sie ihre Hand. Eine Münze fällt auf den schlammigen Boden.

Ihre Münze.

Eine Münze, die für eine gemeinsame Zukunft bestimmt war.

"Das ist die letzte." murmelt sie und senkt den Kopf. "Sie hat die anderen genommen. Als Bezahlung für das hier."

Der EINE (bxb)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt