11. Kapitel

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Als Flo am nächsten Morgen aufwacht, liegt er allein in seinem großen Bett, neben dem ein Wagen mit Lebensmitteln steht. Erst zögerlich, dann immer gieriger macht er sich über Brot, Wurst, Ei und Käse her. Obwohl ihm vom Vorabend der Kopf brummt, hat er Appetit. Auf der Kommode liegen Kleider für ihn bereit, die er ohne weitere Beachtung anzieht.

Er schlendert durch das Anwesen, das an diesem Morgen nicht mehr so verlassen ist wie am Abend zuvor. Diener kommen ihm entgegen und beäugen ihn kritisch, in der Küche herrscht reges Treiben. In der Bibliothek findet er David, der konzentriert über ein Buch gebeugt an einem Schreibtisch sitzt. Er blickt nicht auf, als Flo den Raum betritt.

"Hast du gut geschlafen?", fragt er nach einer Weile, den Blick immer noch auf das Buch gerichtet. "Du bist spät ins Zimmer gekommen."

"Ich habe mich umgesehen."

"Geht es deiner Hüfte besser?"

Als hätte sie auf dieses Stichwort gewartet, fuhr ein Stich durch seine Hüfte, und er erinnerte sich an die Ereignisse der vergangenen Nacht. Sein widerwilliger Sex mit David, der Zusammenbruch im Badezimmer und die alkoholisierte Erkundungstour durch das alte Gemäuer.

"Ja", lügt Flo.

"Gut", antwortet David, der das Thema nicht weiter vertiefen will. "Ich wollte dir nicht wehtun."

"Es war meine Schuld", murmelt Flo. "Ich habe eure Grenzen überschritten. Euer Zorn war berechtigt."

Erst jetzt blickt David von seinem Folianten auf. "Wir sind über das 'Herr' hinaus, meinst du nicht? Du nennst mich David!"

"Natürlich, David. Es tut mir leid."

"Und du gewöhnst dich auch daran, dich ständig zu entschuldigen, okay?"

"Komm her!"

Flo folgt der Aufforderung und tritt an den Schreibtisch. Sein Blick schweift über die hohen Wände mit den ebenso hohen Regalen, die mit so vielen Büchern gefüllt sind, dass sie aus allen Nähten zu platzen scheinen. Er wusste gar nicht, dass es so viele verschiedene Bücher auf der Welt gibt.

David bemerkt sein erstauntes Gesicht. "Das ist die Bibliothek. Schau dich ruhig um, wenn du willst. Aber sei vorsichtig, manche Bücher hier sind sehr selten."

Flo dreht sich zu David um und schenkt den Tausenden von Büchern um ihn herum keine Beachtung mehr. "Darf ich fragen, was du liest, David?"

Er tippt auf den Ledereinband. "Ima'chelij di Egewndjes'res. Das Buch der Prophezeiungen, übersetzt von Bruder Guadre."

Eine Weile schaut Flo ihm beim Lesen zu. Manchmal runzelt er konzentriert die Stirn und schlägt Worte in einem anderen Buch nach. Aber die meiste Zeit ist sein Gesicht unbeweglich, wie aus Stein gemeißelt.

Irgendwann klappt David das Buch zu und geht hinaus, um seine täglichen Übungen mit dem Schwert zu beginnen. Danach lässt er sich von Flo waschen und zieht sich allein mit einem Lehrer in die Bibliothek zurück.

Und Flo findet den Weinkeller. Mit etwas Wein wird es heute Nacht leichter, denkt er. Dann kann ich ihm nach dem harten Tag alles geben, was er braucht.

Aber als sie zusammen in dem hohen Bett liegen, macht David keine Anstalten, ihn zu berühren. Er löscht nur die Kerze, dreht Flo den Rücken zu und liegt still da.

Erwartet er, dass ich den ersten Schritt mache, fragt sich Flo. Doch in Gedanken an den wütenden Schlag im Bad beschließt er, nichts zu wagen. Stattdessen schläft er sanft ein, beschwipst vom Wein.

Die nächsten Tage vergehen wie im Flug. Er wacht allein auf, isst, zieht sich an und trifft David in der Bibliothek. Der übt dann mit dem Schwert und studiert mit verschiedenen Gelehrten, die am selben Tag kommen und gehen, während Flo den Weinkeller kennenlernt. Und jeden Abend schläft er ohne ein Wort und ohne die geringste Berührung ein.

Der EINE (bxb)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt