Der EINE (bxb)

3. Kapitel - Zwei Jahre später

Flo weiß nicht, ob er um sein Kind trauert. Er steht vor dem unscheinbaren Grabstein und legt eine Blume auf die frisch aufgeschüttete Erde.

Mona ist gestern mit ihrem ungeborenen Kind gestorben. Flo hatte es etwas später erfahren, weil er bei einem Kunden war und niemand ihn stören wollte. Dabei wusste jeder, dass er und Mona sich einmal geliebt hatten und es immer noch taten. Das wusste man seit der Nacht der Schlägerei. Als er in der Nacht zu ihr gelaufen war und sie irgendwie gerettet hatte. Niemand wusste genau, was passiert war, nicht einmal Flo oder Mona selbst. Die anderen meinten, wegen des Sturms habe niemand etwas von draußen gehört oder gesehen - sonst wären sie natürlich sofort zu Hilfe geeilt.

Mutter Elaine hatte sie am nächsten Tag, als sie in frischer Kleidung ins Rosa Schwalbe Haus kamen, nur mit den Worten begrüßt: "Es gibt Arbeit für euch", und sie hatte die Hauswand von dem Blut reinigen lassen, das der Regen nicht hatte abwaschen können.

Mona erholte sich schnell von ihren Verletzungen und beschloss mit Flo, nie wieder über den Vorfall zu sprechen. Er sollte einfach vergessen werden, wie ein böser Traum. Er hatte immer bewundert, wie stark sie angesichts des schlimmsten Schicksals sein konnte.

Und jetzt war sie trotzdem gestorben.

Eine Frühgeburt. Niemand weiß genau warum, nur dass sie ihre Schmerzen still ertragen hat und dann gestorben ist.

Flo weiß nicht, ob es sein Kind war. Gut möglich. Er und Mona hatten weiter miteinander geschlafen, Mutter Elaine hatte es geduldet, aber es war nie wieder so unbeschwert gewesen wie früher. Sie wussten, dass sie dem Bordell nie entkommen würden. Mutter Elaine wusste alles. Und auf Monas Hüfte prangte das dunkle Zeichen eines Falken. Sie kannten ihren Platz. Bis ins Grab.

Mona wurde auf dem alten Friedhof außerhalb der Stadt begraben, bei den anderen Huren und Verbechern.

Flo wendet sich ab und geht in Richtung Stadt. Es ist ein schöner, sonniger Tag, und auf seinem Weg kommen ihm spielende Kinder entgegen. Er kann sie nicht lange ansehen, ohne die Leere zu spüren, die in ihm gewachsen ist. Irgendwie ist es sogar eine Gnade für das Kind. Es wäre aufgewachsen und eine rosa Schwalbe geworden wie ich. Das bleibt ihm erspart.

Er erreicht das Westtor, vor dem sich eine große Menschenmenge gebildet hat. Er schlängelt sich durch die Menge und erreicht das Innere von Wandershaven.

Wandershaven bei Sonnenschein ist ein beeindruckender Anblick. Das Glitzern des nahen Meeres taucht die kunstvoll verzierten Holzhäuser in ein romantisches Licht, und immer weht ein frischer Wind um die Nase.

Es war nicht die größte Stadt des Landes, aber die wichtigste für den Handel des Landes. Die riesigen Hafenanlagen im Süden der Stadt, in denen unzählige Waren und Schiffe Platz fanden, waren für den Wohlstand Egemins von großer Bedeutung, da sie den Seehandel mit vielen anderen Nationen ermöglichten. In den engen Gassen, die sich zwischen den hohen Holzhauszeilen in Richtung Stadtzentrum schlängeln, herrscht immer reges Treiben. An warmen Tagen wie heute platzt die Stadt aus allen Nähten. Matrosen, Kaufleute, Händler, Bettler und Reisende drängen sich durch die Straßen und Läden in Richtung Süden.

In einer Stadt, in der täglich Tausende ein- und ausgingen, war die Nachfrage nach Menschen wie Flo groß. Ganze Straßenzüge waren der Prostitution gewidmet. In Wandershaven reiht sich Bordell an Bordell. Manchen Bordellen sieht man sofort an, was sie sind, andere wirken unauffälliger - wie die rosa Schwalbe.

In Wandershaven ist für jeden Geldbeutel und Geschmack etwas dabei. Der Kunde ist König und bekommt, was er will. Das Geschäft mit der Liebe funktioniert nirgendwo in Egemin so gut wie hier.

Flo bahnt sich seinen Weg durch die Menge. Die Rosa Schwalbe liegt an der Stadtmauer, der Weg zum Friedhof ist nicht weit. Er beschließt, jeden Tag ihr Grab zu besuchen. Niemand würde sich an Mona erinnern, also musste er von nun an diese Aufgabe erfüllen. Zumindest das ist er ihr schuldig.