Kapitel 97

2 0 0
                                    


Seiya führte Mamoru in Amys Büro, da diese gerade nach seinem Vater sah.
Mit angespannter Miene schloss er die Tür hinter sich. Erschöpft lehnte er mit dem Rücken an der Tür, den Kopf in den Nacken gelegt und hatte die Augen geschlossen.

"Also Kou, was gibt's jetzt schon wieder für eine Katastrophe?", fragte Mamoru ihn direkt nach dem Grund dieses Gesprächs.
Angespannt fuhren Seiyas Finger über seine pochenden Schläfen. "Ich war eben beim Anwalt. Die Situation ist deutlich komplizierter als angenommen... Die Kou-Geschäfte sind fürs Erste eingefroren, und zwar alles bis auf den Hafen, da dieser glücklicher weise über meinen Namen läuft, denn Vater hat lediglich Taiki als Bevollmächtigten eingetragen und dieser ist, wie du bestimmt mitbekommen hast, aktuell nicht auffindbar. Da Taikis Erbe noch nicht auf der Welt ist, und seine Vaterschaft offiziell nicht bestätigt ist, sind uns da auch die Hände gebunden. Außerdem würde so etwas erst funktionieren, wenn wir Taiki für tot erklären lassen würden, was natürlich keine Option ist... Das alles wären Dinge, die wir in Ruhe klären könnten, aber die brauchen Zeit, die wir offensichtlich nicht haben," setzte er seine Erklärung an, und Mamorus Augenbraue fuhr fragend nach oben.

"Wie meinst du das? Zeit, die ihr nicht habt? Ich dachte, bis zur Beerdigung von dieser Makoto habt ihr alles andere abgesagt und da die Leiche noch nicht freigegeben ist wegen der Ermittlungen, solltet ihr noch wenigstens zwei bis drei Wochen haben. Ich kann dir gerade nicht ganz folgen," meinte Mamoru, der sich an den Schreibtisch gelehnt hatte, seine Arme hatte er vor der Brust verschränkt.

Seiya holte tief Luft. "Ja, theoretisch war das auch so, aber unser guter Freund Kenji hat eine Notfallkonferenz einberufen. Da viele hochrangige Mitglieder unserer Schicht bei seinem Anschlag ums Leben gekommen sind, herrscht absolutes Chaos in Tokio. Er will in den nächsten Tagen eine Neuordnung der geschäftlichen Belange schaffen, und wir stehen, zumindest wie es jetzt aussieht, ohne Stimmberechtigung da."

Jetzt verstand Mamoru, worauf Seiya hinaus wollte. Mit großen Augen schaute er ihn ungläubig an. "Dieses miese kleine...," zischte er durch seine zusammengepressten Zähne. Mamoru rang einen kurzen Moment mit seiner Fassung. "Weiß mein Vater davon? Ich habe ihn für unsere Geschäfte wieder eingesetzt, damit ich für Rei da sein kann."

Seiya zuckte nur mit den Schultern. "Keine Ahnung, aber das wird eine verdammt große Scheiße, wenn Kenji das durchbekommt. Uns sind vollständig die Hände gebunden und wir stehen mit dem Rücken zur Wand. Ich habe schon die besten Anwälte darauf angesetzt, aber bisher hatte noch keiner die rettende Idee. Tokios letzte Hoffnung sind jetzt die Chibas und wir müssen alle mit Stimmberechtigung auf eure Seite ziehen oder hier herrscht bald der Ausnahmezustand."

Mamoru rieb sich angestrengt über die Nasenwurzel. "Okay, dann werde ich meine Auszeit hier wohl beenden müssen... Wie viel Zeit brauchst du?" Seiya schnaufte aus und fuhr sich gestresst durch die Haare. "Soviel du rausschlagen kannst. Wie gesagt, meine Anwälte sind dran, eine Lösung zu finden, aber so wie Vater die Formulierungen gesetzt hat, wird es nicht einfach sein eine Lösung zu finden. Wenn du es schaffst, wäre eine Woche gut, zwei wären besser."

Mamorus Augenbrauen schossen skeptisch in die Höhe, leicht schüttelte er den Kopf. "Ich werde dir nichts versprechen, aber ich versuche mein Bestes. Aber sobald ihr eine offizielle Einladung zu diesem Treffen erhaltet, erhebt Einspruch gegen den Termin, das werde ich auch allen anderen sagen."
"Wir sind keine Anfänger, Chiba. Natürlich werden wir das tun. Wir müssen nur eine Alternative haben, falls nicht genug absagen," murrte Seiya und machte einen Schritt zur Seite, da

Mamoru bereits auf die Tür zuhielt. Seine Hand ruhte noch einen Moment auf der Klinke und sein Blick richtete sich auf Seiya. "Wie gesagt, ich werde tun, was ich kann. Tsukino hat den Bogen jetzt ein letztes Mal überspannt." Die beiden führten ein stummes Blickduell und verließen dann nacheinander den Raum.

---

Usagi saß auf der Couch, Shingo neben ihr. Eine große Menge an Süßigkeiten und Knabbereien häufte sich auf dem kleinen Tisch vor ihnen. Beide trugen legere Kleidung und unterhielten sich schon seit einigen Stunden miteinander. Zunächst hatte Usagi ihm weinend ihr Herz ausgeschüttet über all die schrecklichen Ereignisse und fand bei ihrem Bruder Trost zu dem Verlust ihrer Freundin.
Danach offenbarte sie ihm die inzwischen noch kompliziertere Familiengestaltung, und Shingo schluckte schwer, aber auch hier fand er passende, jedoch neutrale Worte. Dann begann er ihr grob seine neue Welt zu erklären. Er umschrieb seine Aufträge nur grob und ließ dabei aus, dass er bereits Menschen getötet hatte, um sie nicht zu verschrecken.

Jedoch beschrieb er ihr die Städte, in denen er mit Setsuna war, sehr genau und ebenso die vielen eigentümlichen Speisen, die er dort probiert hatte. Mit seinen übertriebenen Schilderungen schaffte er es tatsächlich, ihr ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern.
Die Geschwister fühlten sich zum ersten Mal gelöst und nach und nach schwelgten sie in Erinnerungen an früher.
Nicht an ihre Zeit auf der Straße, sondern an die glücklichen Zeiten, in denen sie noch ein Dach über dem Kopf hatten und Ikuko für sie da war.

Sie lehnte lächelnd an seiner Schulter und ihre Hand lag auf ihrem leichten Babybauch.
"Meinst du, sie hätte sich auf ihre Enkel gefreut?", fragte sie leise, und die Hand ihres Bruders legte sich auf ihre. "Bestimmt. Mit Sicherheit hätte sie andere Umstände gewählt, aber du weißt doch, wie vernarrt sie in Babys war, und dann auch noch gleich im Doppelpack... Ich bin mir sicher, sie wäre ausgeflippt vor Freude. Weißt du noch, wie aufgedreht sie war, als Chibi..." das letzte Wort jedoch brachte er nicht über seine Lippen. Unter seinen Fingern spürte er nur, wie seine Schwester zusammenzuckte und ihre Muskeln sich verspannten. Bei beiden machte sich ein schwerer Kloß in der Magengegend bemerkbar, und es herrschte eisiges Schweigen.

"Hast du... hast du irgendwas von ihr gehört?", wollte Usagi mit zitternder Stimme wissen, nachdem sie sich wieder etwas gefangen hatte. Shingo entzog ihr seine Hand und erhob sich. Unruhig zog er einige Bahnen durch das großzügige Wohnzimmer, dabei strich er sich gelegentlich durch die Haare.

Usagi konnte nicht umhin, ihren Bruder eingehend zu betrachten, dabei stellte sie erneut fest, wie stark Shingo sich verändert hatte. Von dem kleinen Taschendieb erkannte sie kaum noch etwas in ihm, vor ihr war ein junger Mann, der sichtlich aufgewühlt war und dabei eine gewisse Bedrohlichkeit ausstrahlte. Endlich blieb er stehen, seine Hände umfassten die Sofalehne von hinten.

"Nein... nein, hab ich nicht, und ich verfluche noch immer den Tag, als man sie von mir gerissen hat. Hätte ich damals schon über diese Fähigkeiten verfügt, wäre sie mit Sicherheit noch bei uns. Verdammt, Usa, sie ist doch noch ein kleines Mädchen, und ich, ihr Bruder, war dafür zuständig, auf sie aufzupassen. Ich habe versagt, und das auf ganzer Linie.", zischte er.

Nun war es Usagi, die ihre Hand auf seine schon weiß gewordenen Fingerknöchel legte und dadurch seinen Griff nur bedingt entspannte. Der Blick ihres Bruders war starr nach vorne gerichtet und er reagierte kaum auf ihre Berührung. "Nein, Shingo. Hör auf, dir sowas einzureden. Du konntest nichts tun, sie waren in der Überzahl und du warst alleine. Kenji ist gefährlich, du darfst ihn nicht unterschätzen. Bitte versprich mir, dass du nichts Unüberlegtes tun wirst. Halte dich von ihm fern," bat sie eindringlich. Seine Antwort darauf ließ auf sich warten und am Ende brachte er nur ein schwaches Brummen hervor. Ihr Griff intensivierte sich und langsam erhob sie sich, damit der Jüngere gezwungen war, ihr in die Augen zu sehen.
"Versprich es mir, Shingo," wiederholte sie ihre Aufforderung jetzt drängender.

Seine Lippen hatten sich gekräuselt und der ernste Gesichtsausdruck, den er trug, machte ihr etwas Angst, dennoch behielt sie den Blickkontakt bei. Plötzlich entzog er sich ihrem Blick und hob seine Hände in die Höhe.
"Schon gut, schon gut. Ich verspreche es, ich werde nichts Unüberlegtes in Bezug auf diesen Mistkerl tun... Aber ich verspreche dir noch etwas... Sollte sich mir eine Gelegenheit bieten, Kenji Tsukino auszuschalten, werde ich diese nutzen. Zu viel hat er dieser Familie schon angetan, und dem werde ich persönlich ein Ende setzen. Zuerst das mit Mama, dann alles, was er dir angetan hat, und dann kommen noch Chibiusa und meine persönlichen Belange hinzu. Vertrau mir, Usa. Ich lerne von der Besten und bin fest entschlossen, meine Meisterin zu übertreffen. Nicht heute oder morgen, aber der Kopf dieses Monsters wird meiner sein."

Seine Ansprache ließ einen Schauer über Usagis Rücken laufen. Sie hörte deutlich die Entschlossenheit in seiner Stimme und wusste, dass sie ihn nicht davon abbringen könnte. Schon als Kind war er sehr zielstrebig gewesen und wenn er ein Ziel gehabt hatte, arbeitete er immer weiter darauf hin, bis er es erreicht hatte. Sie hatte Angst um ihren Bruder. Angst, dass sie ihn auch verlieren würde, wie so viele andere Menschen in ihrem Leben und dennoch spürte sie Hoffnung. Hoffnung auf ein besseres Leben, auf ein Leben, in dem sie und auch ihre Kinder ohne Angst aufwachsen würden.

Shingo stand mit dem Rücken zu ihr und nur langsam näherte sie sich ihm. Ihre Arme umschlangen ihn von hinten und wieder standen ihr die Tränen in den Augen, sie presste ihren Kopf zwischen seine Schultern und fühlte deutlich seinen durchtrainierten Körper.
Einen kurzen Moment schloss sie die Augen und sinnierte über die Optionen, die sie hatte.
"Tu es. Wie du sagtest, nicht heute oder morgen, aber wenn sich die Gelegenheit ergibt, dann tu es. Versprich mir nur, dass du vorsichtig bist, wenn du es tust. Dir darf unter keinen Umständen etwas passieren. Das würde ich nicht verkraften."

Die beiden waren so in den Moment vertieft das sie gar nicht realisierten das Seiya schon eine Weile im Türrahmen stand. Einen Augenblick hatte er ihrer Unterhaltung gelauscht und jetzt räusperte er sich. "Ich fürchte da musst du dich hinten anstellen mein lieber. Die Schlange der Menschen, die Tsukino töten wollen, ist verdammt lang und dir hat er noch vergleichsweise wenig angetan."

Usagis Arme lösten sich von ihrem Bruder und sie fuhr zu ihrem Liebsten herum. Die Strapazen des Tages und die Anstrengung war deutlich in Seiyas Gesicht gemeißelt und selbst Usagis warme Berührung schaffte es kaum diese zu mildern. "Was ist los? Wie war der Termin beim Notar?"

Seiya ließ sich auf deinem der Stühle nieder, schloss die Augen und stützte seinen Kopf auf seinen Händen ab. "Weniger hilfreich als erwartet. Im Augenblick können wir nämlich nichts tun... wir können nur versuchen mit Chibas Hilfe Zeit zu schinden... Denn weder ich als Kakashis Zweitgeborerner noch du als Taikis Frau kommen einfach so an die Entscheidungsgewalt solange beide am Leben sind... und der Kleine ist offiziell noch nicht unterwegs... zudem kommt noch, selbst wenn du die Schwangerschaft jetzt öffentlich machst, hast du keine Handhabe, dass es Taikis Sohn ist. Auf dem blöden Zettel ist nämlich lediglich meine Vaterschaft ausgeschlossen.", schnaufte er erschöpft.

Usagi und Shingo nahmen neben ihm platz und ihre warme Hand griff nach seiner. "Aber irgendwas müssen wir doch tun können. Wir können doch nicht einfach hier sitzen und nichts tun."
"Doch ich fürchte, bis uns etwas Besseres einfällt oder die Anwälte eine Möglichkeit finden, uns Handlungsbefugnisse zuzusprechen, bleibt uns nichts anderes übrig," seufzte er und fuhr sich abermals durch seine sowieso schon zerzausten Haare.
Shingo hatte seine Stirn in Falten gelegt, aufmerksam durchdachte er die Umstände, die sich ihm aber immer noch nicht vollständig erschlossen. "Wie wäre es denn, wenn wir uns alle mal gemeinsam zusammensetzen? Wenn wir viele Köpfe zusammen haben, wird uns doch vermutlich eine Lösung einfallen," schlug er vor.

Seiyas erschöpfte Augen richteten sich auf den Jüngeren. "Meinst du nicht, dass wir schon seit Tagen alle über diese Zustände grübeln? Wenn jemandem etwas eingefallen wäre, dann hätte er das schon längst gesagt," raunte Seiya etwas ungehalten.
Shingo sah in die besorgten Augen seiner großen Schwester und hatte für sich beschlossen, dass er ihr helfen wollte, doch ihm fehlte der Überblick über alles. Er wusste lediglich die wenigen Dinge, die Usagi ihm bisher erzählt hatte, und das reichte nicht aus. "Nein, ich meine wirklich alle. Alle, die auf eurer Seite stehen, müssen an einen Tisch gebracht werden. Familie, Freunde, Verbündete und vorallem Anwälte, jeder, dem daran gelegen ist, Tsukino ebenfalls Einhalt zu gebieten...", versuchte er, seinen Vorschlag erneut zu unterbreiten.

Seiya ließ diese Worte auf sich wirken. "Gut, einen Versuch ist es wert. Ich werde gleich eine Rundmail losschicken und für morgen früh alle einladen, die mir in den Sinn kommen. Hoffen wir nur, dass wirklich jemandem etwas einfällt."


Verborgene GeheimnisseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt