Leise öffnete Xander die Tür und lugte in den Gang hinaus. Das sonst so grelle Neonlicht, das tagsüber den fensterlosen Gang erhellte, war einer nächtlichen Schummerbeleuchtung gewichen, die ihn gerade so den Fußboden und die Wände des knapp eineinhalb Meter breiten Flures erkennen ließen.
Xander spitzte die Ohren. Er lauschte in die Dunkelheit hinein und konzentrierte sich darauf, jedes noch so kleine Geräusch wahrzunehmen, das es hier seiner Meinung nach geben musste. Sein Rookie hatte einen Helfer, der ihn aus einem dieser Räume heraus geholfen hatte, dessen war Xander sich absolut sicher. Nur wo befand sich dieser Helfer jetzt?
Xander trat mutig aus der Tür und schlich den Gang zu seiner Rechten entlang. Wenn er sich nicht irrte – und Xander hatte ein hervorragendes Gedächtnis – dann befand sich am Ende dieses Flures das Hauptkontrollzentrum dieses Stockwerks.
So leise wie möglich bewegte er sich durch den halbdunklen Gang, blieb immer wieder stehen, um auf die Geräusche um ihn herum zu lauschen. Doch abgesehen vom fernen Summen der Klimaanlage im Serverraum war es unheimlich still. Zu still.
Xander hielt vor einer Tür inne, die nur angelehnt war. Ein schwaches Summen der Geräte drang in den Gang und schien ihn magisch anzuziehen. Es war einer der Kontrollräume für die Traumwelt. Vorsichtig schob Xander die Tür auf und spähte hinein. Seine Augen gewöhnten sich nur langsam an die Dunkelheit, die nur von ein paar Kontrolllampen erhellt wurde. Doch nach und nach begannen sich die Umrisse eines Körpers von dem hellen Teppich des Raumes abzuheben. Xander stockte der Atem: Einer seiner Kollegen lag neben seinem Stuhl auf dem Boden; den Körper eigenartig verkrümmt und leblos wie ein Stein.
Der Traumreiseführer sah sich kurz um, dann glitt er in den Raum und zog die Tür leise hinter sich zu. Mit zwei schnellen Schritten war er bei dem Mann, mit dem er sich einige Male beim Mittagessen getroffen hatte. Er hieß Hektor, das erinnerte er sich, als er das breite Gesicht mit der Narbe über dem linken Auge sah. Hektor war kein Traumreiseleiter, sondern Wachmann. Wahrscheinlich hatte man ihn niedergeschlagen, als er seine Runde machte. War er schwer verletzt? Oder gar tot?
Den Gedanken verdrängend beugte sich Xander über den reglosen Körper. Als er ihn auf den Rücken drehte, stellte er erleichtert fest, dass sich Hektors Brust gleichmäßig hob und senkte: Er atmete. Nach einem kurzen Check stellte er in Gedanken fest: Keine Stichwunden, keine Schussverletzungen. Nur eine blutige Beule am Kopf, vermutlich verursacht durch einen schweren, stumpfen Gegenstand. Das Blut war in die Haare gelaufen und an einigen Stellen bereits getrocknet. Der Angriff lag also schon einige Minuten zurück. Trotzdem musste er wachsam bleiben.
„Hektor!", flüsterte Xander in das Ohr des Mannes. „Aufwachen! Wir müssen hier raus!" Als Hektor sich nicht rührte, packte Xander seinen Arm und rüttelte ihn. „Hektor, aufwachen", sagte er diesmal lauter und eindringlicher. „Mach die Augen auf! Wir sind in Gefahr!"
Mit einem tiefen Brummen regte sich der Körper vor ihm, und Hektors Augen begannen flackernd, sich zu öffnen.
„Wo... wo bin ich?" Die Stimme klang unsicher, und Xander vermutete, dass der Schlag auf den Kopf Hektors Wahrnehmung noch eine Weile beeinträchtigen würde. Er selbst war als Kind einmal von einer Mauer auf den Asphalt gestürzt und hatte tagelang Kopfschmerzen gehabt. Doch auch wenn er Mitleid mit Hektor hatte, musste er ihn dazu bringen, sich zu erheben. Oder zumindest sich aufzusetzen. Allein würde er sich kaum gegen einen Gegner wehren können, der es geschafft hatte, jemanden wie Hektor niederzuschlagen.„Hey, ich bin's, Xander!", sprach er leise auf den Mann ein, dessen Augen ihn nun zu erkennen schienen. „Ich bin Traumreiseleiter, wir haben uns schon ein paar Mal unterhalten. Du bist in einem Kontrollraum und wurdest vermutlich niedergeschlagen. Erinnerst du dich?"
Hektor summte unverständliche Worte vor sich hin als Xander plötzlich Schritte hörte. Sie hallten leise durch den Gang hinter der Tür. Jemand kam näher. Alarmiert zog Xander den Wachmann weiter in den Raum hinein, hinter eine Konsole, die ein wenig Deckung bot. Seine Hände zitterten leicht, aber er zwang sich, ruhig zu bleiben. Es war keine Zeit für Panik.
Die Schritte verlangsamten sich, bis sie direkt vor der Tür zum Stillstand kamen. Xander duckte sich tiefer hinter die Konsole, den Blick auf die Tür gerichtet, während ihr Knauf sich langsam drehte. Ein leises Knarren durchschnitt die Stille, als die Tür einen Spalt geöffnet wurde. Das fahle Licht drang zögerlich in den Raum und enthüllte den schemenhaften Umriss einer massigen Gestalt, die wie ein drohender Schatten im Türrahmen verharrte. Xander wagte kaum zu atmen, sein Herz pochte so laut, dass er fürchtete, es könnte ihn verraten. Hastig duckte er sich tiefer hinter sein Versteck.
Die Gestalt betrat den Raum, jeder Schritt schwer und bedrohlich. Das dumpfe Echo der Stiefel auf dem Boden verriet Xander, dass der Eindringling nicht nur größer als er, sondern auch massiger war. Panik stieg in ihm auf, doch er zwang sich, ruhig zu bleiben. Ein direkter Kampf wäre Selbstmord – Hektor war noch halb bewusstlos, und Xander wusste, dass er allein keine Chance hatte.
Ängstlich robbte Xander am Rand der Deckung entlang und zwängte sich in einen schmalen Spalt zwischen Konsole und Wand, in der Hoffnung, die Dunkelheit würde ihn vor neugierigen Blicken verbergen. Die Schritte des Fremden kamen näher, und Xander hielt den Atem an, das Adrenalin pochte in seinen Adern. Wenn er jetzt entdeckt werden würde, könnte es das Ende bedeuten!
Plötzlich hörte er Hektor unweit von sich laut aufstöhnen und zuckte erschrocken zusammen. „Du lebst ja noch!" Ein tiefes Brummen erfüllte den Raum. „Glück für dich. Ich dachte, der Schlag hätte dich erledigt."
Ein eiskalter Schauer lief Xander über den Rücken. Die Stimme des Fremden war kalt, emotionslos – fast als wäre er enttäuscht, dass Hektor es überstanden hatte.„Überraschung!", keuchte Hektor nun wacher und mit einem schwachen, aber unverkennbaren hörbaren Lächeln. „Ich bin zurück von den Toten. Ist das nicht aufregend?"*
Wieder ein Keuchen von Hektor, als der Fremde ihn wohl in den Magen trat. „Du hast verdammtes Glück, dass ich nicht den Auftrag habe, dich zu töten, mein Freund!", knurrte der Fremde mit unterdrückter Wut. „Ich werde dich hier einsperren. Bis Montag wirst du ohne Essen und Trinken wohl überstehen. Das schaffst du schon."Hektor keuchte erneut, und Xander sah aus dem Augenwinkel, wie der Wachmann in eine sitzende Position gezogen wurde. Der Fremde fesselte ihn, als wolle er auf jeden Fall sicherstellen, dass er bis Montag hier drinnen blieb.
„Was haben Sie überhaupt vor?" Die Frage erschien Xander nutzlos im Angesicht ihrer Situation, doch er bewunderte auch Hektors Mut, etwas aus dem Mann herauszubekommen zu wollen. Doch der Fremde lachte nur abfällig. „Als ob ich dir das erzählen würde! Genieß die Wartezeit!"Mit diesen Worten entfernte sich der Verbrecher aus der Dunkelheit und ging zurück zum helleren Flur. Das laute Zuschlagen der Tür hallte bedrohlich nach. Erneut in der Dunkelheit atmete Xander erleichtert aus. Die direkte Gefahr eines brutalen Angriffs war vorerst gebannt. Doch das Drehen des Schlüssels im Schloss klang wie ein endgültiges Urteil – sie waren vorerst eingesperrt!
*Juni Prompt von SteffiDa ♥️
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Ciencia Ficción| Science Fiktion | Willkommen im Paradies - oder in deinem schlimmsten Albtraum? Xander Breece ist ein erfahrener Traumreiseleiter. In einer Zukunft, in der manchen Menschen die Realität für die Erfüllung ihrer Träume nicht mehr ausreicht, begleite...