1- Der anfang

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Heute war mal wieder einer dieser Tage, die, die jeder kennt.
Alles und jeder ist scheiße. Keiner achtet auf dich, sie gucken dich an aber sie sehen dich nicht.

Vielleicht wollen sie es auch nicht? Wer weiß.
Die Zeichen waren da. Die Zeichen sind da. Sie haben es alle gesehen.

Alle.

Lehrer, Mitschüler, Freunde, fremde und zu guter letzt meine „Familie".

Meine Familie juckt es nicht. Sie sind der Ursprung meiner Trauer, sie sind der Ursprung von allem was in meinem Leben falsch läuft, also kann ich ihnen nicht vorwerfen das sie die Zeichen nicht gesehen haben. Sie haben mir die Zeichen hinzugefügt.

Die ganzen blauen Flecken, gebrochenen Knochen und würge Male.
Ich könnte auch so weit gehen und sagen das sie an meinem Selbsthass und somit an meinem selbstverletzenden Verhalten schuld sind. Sprich, an noch mehr Zeichen.

Doch es interessiert niemanden, und deswegen wird es auch keinen interessieren das ich abhauen werde.

Vor ein paar Wochen habe ich angefangen alles über meinen Bruder heraus zu finden, was ich nur konnte. Von Handynummern bis hin zu seinem Aufenthaltsort.

Und dank des Internets und einem Klassenkameraden der gut mit Computern umgehen kann, habe ich ihn gefunden.

Corbin Boyle, 21 Jahre alt, lebt in Harrisburg, Pennsylvania. Er ist Polizist und hat eine Freundin namens Lynn. Er wohnt in der Elfreths Street 56.

Mehr Informationen konnte Shawn, der Computer-Schlaue Mitschüler, nicht herausfinden. Das musste er aber auch garnicht, schließlich reicht mir seine Adresse aus um ihn zu finden.

Corbin ist als er 16 war, das machte mich damals 10, von zuhause abgehauen. Wir hatten immer eine sehr gute Beziehung deswegen weiß ich bis zum heutigen Tag nicht warum er mich damals verlassen hat. Warum er mich mit diesen Monstern alleine gelassen hat ohne auch nur ein Wort zu sagen. Er hat mir nicht ein Mal eine Handynummer hinterlassen die ich mit dem Haustelefon hätte anrufen können.

Geschweige denn das er mich besucht hat oder mal nachgeschaut hat wie es mir geht.

Ich bin wütend auf ihn.
Wütend das er mich nicht mit genommen hat. Wütend  das ich nun die Schläge und die hasserfüllten Worte meiner Eltern alleine ertragen musste.
Wütend das er gegangen ist und nun wahrscheinlich ein tolles Leben, mit einer tollen Freundin und einem tollen Beruf führt, während ich jeden Tag kämpfen muss aufzustehen und diese Routine von vorne zu ertragen.

Damals war alles noch nicht so schlimm. Mein Vater hat mich nicht geschlagen, nur hin und wieder mal eine Beleidigung gegen den Kopf geworfen und mich wegen Kleinigkeiten wie einer schlechten Note angeschrien.

Er war damals schon oft betrunken, aber er war nicht handgreiflich.
Ich weiß das er oft mit Corbin gestritten hatte, genauso wie mit Mom, aber er hat uns nicht geschlagen.

Ich weiß auch das Corbin sich oft um Mom kümmern musste, da sie schon seit ich 6 Jahre alt war, an Panik Attacken und einer Angststörung leidet.
Deshalb nahm sie viele und harte Medikamente ein, darunter auch Schlaftabletten, und Beruhigungsmittel, weshalb sie oft sehr neben sich stand und kaum ansprechbar war.

Damals hat Corbin immer den Haushalt gemacht. Er hat mich versorgt und hinter uns allen aufgeräumt, dich als er abgehauen ist musste ich seine Rolle über nehmen.

Ich war 10, als ich das erste mal die Kotze von meinem Vater wegmachen musste, da er mal wieder zu viel getrunken hat.

Ich war 10, als ich das erste mal meiner Mutter helfen musste sich umzuziehen da sie keine Kraft mehr hatte.

Ich war 10, als ich das Haus ordentlich halten musste und für meine Eltern kochen musste.

Ich war 10, als mein Bruder mich verlassen hat und ich von heute auf morgen erwachsen werden musste.

Und ich war 10, als mein Vater mich das erste mal schlug, da ich meinen Bruder verscheucht hätte.

Seit diesem Tag an habe ich mir die Schuld gegeben das mein Bruder abgehauen ist. Mein Vater hat immer gesagt, dass ich unselbstständig wäre und da sich meine Mutter, wegen ihrer Krankheit, nicht um mich kümmern konnte, es mein Bruder tun musste, und er darauf wohl keine Lust mehr gehabt hätte, und deshalb abgehauen ist.

Das sich mein Vater um mich, oder den Haushalt hätte kümmern, kam garnicht in frage. In seinen Augen war ich eine undankbare, ungewollte, Hure, die nur als Putzfrau und Boxsack zu gebrauchen ist.

Und nach 6 Jahren habe ich endlich den mit aufgebracht, dieses Haus zu verlassen und antworten zu finden.

Genau aus diesem Grund sitze ich gerade im Bus, auf einer 17 stündigen fahrt, von Arkansas, nach Pennsylvania.

Oder eher gesagt, saß, denn in diesem Moment steige ich in der Camport-Street aus, um einen Block zur Elfrehts Street 56 zu laufen.

Die Straßen in Amerika sind meistens sehr lang, weshalb mein Weg rund 10 Minuten dauern dürfte. Doch das ist mir, trotz meiner Schmerzen im ganzen Körper, egal. Denn das Adrenalin, welches durch meine Adern strömt, überdeckt den Schmerz ganz gut.

Nach 11 Minuten bin ich vor dem sehr schönen Haus angekommen. Es war aus Kastanien Holz mit schwarzen Details. Doch dafür das dort nur mein Bruder, und eventuell seine Freundin drinnen wohnen, ist es ganz schön groß.

Jetzt ist es endlich so weit. Nach 6 Jahren bekomme ich endlich antworten. Darauf, weshalb er mich verlassen hat.

Als ich an mir runter sehe, fällt mir auf wie sehr meine Hände zittern. Aus diesem Grund nehme ich schnell, die nicht so starken Beruhigungstabletten, meiner Mutter aus meinem Rucksack und schlucke eine von ihnen ohne Wasser runter.

Ein Teil von mir fühlt sich schlecht meine Mutter bei meinem Vater alleine gelassen zu haben, doch nur weil sie sich in dem Haus gefangen hält, muss ich nicht auch in dem Haus gefangen gehalten werden.

Also, ein Mal tief durchatmen, und klingeln.

Du schaffst das Rue!

‚Ding Dong'

Desolation Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt