Er hatte mich nicht vergessen. Scheiße. Ich versteckte mich in Physik zwischen Abby und Cole und wünschte mir, ein schwarzes Loch würde sich auftun und mich verschlingen, oder wahlweise ihn und Blair. Wie immer hing sie an seinem Arm, aber als er zum Stundenbeginn den Raum betreten hatte, hatte er keinen Blick an sie verschwendet, sondern nur mich angesehen. Ich dagegen hatte betont vermieden, in seine Richtung zu schauen, aber es war wirklich schwer. Blair dagegen bombardierte mich mit gehässigen Blicken und bohrte beinahe triumphierend ihre Fingernägel in Connors Oberarm. Plötzlich befiel mich die Vermutung, dass sie diese Schmach nicht auf sich sitzen lassen würde. Ich biss mir auf die Lippen. Hoffentlich irrte ich mich. Cole hatte seinen Schock von gestern einigermaßen verwunden, und nachdem ihm irgendwer erzählt hatte, was in der Cafeteria vorgefallen war, war er beinahe in guter Stimmung. Er war beruhigt und vertraute mir. Das tat irgendwie gut und ich beschloss, Abby und Cole sobald wie möglich von dem gestrigen Vorfall zu berichten.
Nach der Stunde versuchte ich, sowohl Mr. Firestone, Connor als auch Blair auszublenden - gar nicht so einfach. Ich sah Connor zögern, doch Blair zerrte ihn schier aus dem Klassenzimmer, und auch Chris blieb stumm, aber nicht ohne mir einen schwer zu deutenden Blick zuzuwerfen. Als erstes erwischte ich meinen besten Freund allein, hastig zog ich ihn in die leere Mädchentoilette. Überrumpelt japste er und blickte mich an, als hätte ich den Verstand verloren. Ein bisschen fühlte ich mich auch so. „Ich muss dir was erzählen", flüsterte ich und seine Brauen wanderten nach oben. „Scheint wichtig zu sein", stellte er fest und musterte mich kurz. „Ja, kann man so sagen." Ich holte tief Luft, und dann war es raus. „Ich habe Connor Cunningham geküsst." Kurz und schmerzlos. In der Theorie. Coles Augen wurden groß, ungläubig. „Ernsthaft jetzt?" Nach einer Sekunde fügte er, in einem Atemzug, hinzu: „Und, war es gut?" Ich stieß ein Schnauben aus und stampfte mit dem Fuß auf. „Natürlich war es gut. Es war schließlich Connor. Aber das ist ja auch gerade das Problem! Mensch, was mache ich denn jetzt?" Er grinste, mein für mich untypisches zappeliges Verhalten war anscheinend sehr amüsant anzusehen. „Merry, hör dir doch mal selbst zu! Er hat dich geküsst. Wolltest du das nicht?" Ich nickte, dann schüttelte ich den Kopf. „Ja, aber nein...es ist kompliziert." Er sah mich forsch an. „Was hast du gemacht, Süße?" Ich wand mich unter diesen viel zu wissenden Augen. „Ich hab ihn möglicherweise weggeschubst. Und ihm möglicherweise gesagt, er soll sich nie wieder blicken lassen." Coles Kinn klappte herunter, und hastig schloss ich an: „Das war aber notwendig! Hätte ich es da nicht beendet..." Ich errötete. Ein sehr, sehr tiefes Aufseufzen antwortete mir. „Okay, noch mal von vorne. Erzähl mir alles, von Anfang an, und lass kein schmutziges Detail aus." Also klaubte ich meine Erinnerungen zusammen und warf sie ihm vor die Füße. Als ich fertig mit meinem Bericht war, hatte Cole diesen Blick. Ich kannte diesen Ausdruck in seinem Gesicht. „Du bist am Arsch, Merry." Ich stöhnte. „Ich weiß. Das sage ich ja schon die ganze Zeit." „Aber du bist total verknallt in ihn, Baby. Heißt das nicht, du solltest es auf einen Versuch ankommen lassen?" Er zog die Augenbrauen zusammen. „Und was tun, ihn abschleppen und danach nie wieder von ihm hören? Nein, danke." Ich schob störrisch das Kinn vor. „Aber wenn er dich noch einmal küsst..." Allein der Gedanke daran ließ diese dummen, naiven Flattertiere in meiner Magengegend wieder erwachen und ich schüttelte heftig den Kopf. „Wird er nicht. Und wenn doch, scheuer ich ihm eine. Ganz bestimmt." Und meine Mom hieß Rotkäppchen und der böse Wolf war ein Kuscheltier. Ganz bestimmt. Ich musste es mir nur lange genug einreden, dann würde es funktionieren. Ganz bestimmt. Ich verpasste mir mental einen Tritt. Das wurde langsam zur Gewohnheit. „Und außerdem hat er ja Blair, oder? Da mische ich mich ganz bestimmt nicht ein. Ich hänge zufällig an meinem Leben." Er lachte widerwillig auf. „Ach ja? Manche behaupten von gestern anderes." Ich lehnte mich zerknirscht zurück und stützte mich am Waschbecken ab. „Vielleicht bin ich gestern ein wenig furienmäßig drauf gewesen. So ein bisschen. Aber diese Schlampe hatte es auch echt verdient." Ich schmunzelte widerwillig und zum Schluss grinsten wir uns breit an. Dabei erinnerte ich mich an was. „Achso, und gestern hatte ich noch so eine Begegnung der dritten Art. Jason - Jason Fellow, hat mich gefragt ob ich mit ihm auf den Frühjahrsball gehen will. Zweimal. Und Carter auch. Jason hat beim zweiten Mal direkt...ernst geklungen und irgendwas davon geredet, dass jeder glücklich sein könnte, mich zum Ball zu begleiten." Verlegen hob ich die Schultern. Cole gluckste. „Merry, Merry. Innerhalb von drei Tagen von keinem Typen auf vier ist ein bisschen viel, meinst du nicht?" Ich stutzte und zählte nach. Jason, Carter, Connor. „Vier?", hakte ich nach und er verdrehte die Augen. „Tu nicht so. Oder willst du mir weißmachen dass du nicht gemerkt hast wie dich unser liebster Physiklehrer anblickt? Mr. Firestone ist Nummer Vier." „Gott, du bist irre", stöhnte ich. Als hätte ich nicht schon genug Probleme. Aber, dummerweise war da was Wahres dran. „Ich kann immerhin schon mal sagen, ich werde definitiv nichts mit Mr. Firestone anfangen. Das ist doch was." Er kicherte. „Aber Jason und Carter sind noch im Rennen, ja?" Ich schlug nach ihm. „Cole! Sie sehen ganz gut aus, aber...das ist doch irre. Nie im Leben..." Ich wiederholte mich langsam und fing an, zu stammeln. Nicht gut. Cole schnurrte beinahe. „Also wenn ich du wäre würde ich mich glücklich schätzen. Alle vier sind unglaublich heiß, wenn du mich fragst. Firestone ist ein Gott, aber Lehrer, Connor ist der Hammer, aber ein Arsch. Jason ist frech, Car ist Footballer...Hm...An Connor und Chris Firestone könntest du dir die Finger verbrennen, aber Fellow und Smith...wären doch eine Option." Ich rieb mir die Schläfen. „Das ändert nichts an der Connor-Situation. Außerdem könnte ich mich nicht zwischen beiden entscheiden", gab ich zu und kaute an meiner Unterlippe. Mein bester Freund wirkte außerordentlich zufrieden. „Das ist doch toll. Die beiden sind die perfekte Ablenkung für dich. Und wenn sie um dich wetteifern, noch besser." Zweifelnd maß ich ihn mit Blicken. „Meinst du?" Er grinste listig. „Im schlechtesten Fall hast du zwei sexy Männer, die dich umwerben. Auch nicht übel. Im Besten...wird Connor eifersüchtig, entsorgt Blair im Restmüll und kommt zu dir. Das ist eine Win-Win Situation, glaub mir." Ich versuchte mich an einem Lächeln. „Okay. Prima. Das klingt ja beinahe nach einem Plan."
Leichter gesagt, als getan. Es dauerte zwei ganze Tage, in denen ich möglichst unter Connors und Blairs Radar flog, bis ich Jason wiedertraf. Zusammen mit Carter und dem Rest des Fellow'schen Clans. Das Rudel kreiste mich prompt ein, als sie mich entdeckten und ich bekam von allen einen kumpelhaften Schlag auf die Schulter oder ein High Five, offenbar hatten meine zwei Idioten die Sache mit Blair nicht gerade für sich behalten, sondern sofort die ganze Gruppe von meinem 'heldenhaften' Auftritt unterrichtet. Seufzend ließ ich das Prozedere über mich ergehen, bis ich es irgendwann schaffte, mich zu Car durchzudrängeln. Seine blonden Locken erschienen beinahe weiß im Sonnenschein, seine blauen Augen funkelten lebendig und sein breites Grinsen war fröhlich, wie immer. Selten sah man Carter einmal wirklich bedrückt. Dem großen, attraktiven und breitschultrigen Footballspieler schien die Sonne aus dem Arsch, wie man so schön sagte. Einer der Gründe, warum ihm so viele Mädchen nachliefen. Die Schuluniform mit den nun achtlos hochgeschobenen Ärmeln ließ ihn noch besser aussehen, und die allgegenwärtige abgeschnittene Krawatte war ein weiteres Plus. Als ich ihm so nahe war, konnte ich die feinen blonden Härchen auf seinen gebräunten, muskulösen Armen erkennen, die er gelassen verschränkt hatte. „Morgen, Car", brummte ich und hob eine Augenbraue. „Entwickelt ihr euch hier zu meinem ganz eigenen kleinen Fanclub oder was?" Carter lachte, ein erstaunlich helles Geräusch, durchaus angenehm. Es animierte mich dazu, einzufallen. „Bilde dir nur nichts ein, Moore." Meine Lippen kräuselten sich. „Zu spät." Mein Blick wanderte, als Jason plötzlich neben mir auftauchte. „Schön dich zu sehen, Pixie." Frech grinsend zog er an meinem pinken Zopf, und ich kniff ihn schon beinahe reflexartig in die Seite. Wehleidig aufjaulend wich er meinen Fingernägeln aus und Carter lachte ihn aus.
„Diese Katze hat Krallen", erinnerte ich ihn mit einem süßen Augenaufschlag, der Carter nur noch mehr lachen ließ. „Denk nächstes Mal an Katzenminze, Bro. Sonst werden wir diese Mieze niemals zähmen." Ich wandte mich zu ihm um. „Denk daran, das mit dem Stiefel lecken war kein leeres Versprechen", drohte ich scherzhaft und Jason stieß seinen Freund mit dem Ellenbogen in die Seite, damit er endlich aufhörte, zu lachen. Er löste damit nur das Gegenteil aus. So wie die beiden nebeneinander standen, hätte man beinahe denken können, sie wären Brüder, beide mit diesem hellen Haar und den Augen wie Edelsteine. Jason verdrehte die grünen Augen. „Hör auf, so blöd zu grinsen", murrte er, aber ich sah, wie es um seine Mundwinkel zuckte. „Irgendwann wirst du nochmal von diesem Mädchen verhauen", spottete Carter und klopfte Jason kumpelhaft auf die Schulter. Dieser knurrte halbernst. Ein seltsamer Ausdruck huschte für einen Augenblick durch Carters Blick, war aber zu schnell verschwunden, als dass ich ihn hätte deuten können. „Ach übrigens", meinte ich, beinahe beiläufig, aber nicht ohne mich in einem finsteren kleinen Eckchen meines Verstandes darüber zu wundern. „Ich hab in einer nicht ganz zurechnungsfähigen Sekunde über eure Bewerbung nachgedacht. Da ihr das bekannte Übel seid, könnte ich mich vielleicht tatsächlich dazu durchringen, mit einem von euch zum Frühjahrsball zu gehen." Die beiden hielten in ihrer Kabbelei inne und die Überraschung war ihnen deutlich ins Gesicht geschrieben. Verlegen verlagerte ich mein Gewicht von einer Seite zur anderen. „Natürlich nur, wenn ihr wollt." Jason blickte zu Carter und dieser zuckte die Schultern, bevor er wieder zu mir sah. „Klar. Aber mit wem von uns willst du hingehen?" Nun war es an mir, die Schultern zu heben. „Keinen Plan. Einer von euch muss mich wohl überzeugen." Jason runzelte fragend die Stirn. „Und wie sollen wir das machen?" Ich grinste prompt, wegen seiner offensichtlichen Irritation. Zu gut. „Ihr habt doch sonst immer so eine große Klappe. Also, überlegt euch was, Jungs. Aber lasst bitte alles weg was euch oder mich umbringen könnte." Mit diesen Worten zwinkerte ich ihnen zu und lief mit wippendem Pferdeschwanz davon. Okay, check: Jason und Carter erfolgreich verwirrt. Hatte mehr Spaß gemacht als erwartet.
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New Beginning - Der Pakt mit dem Teufel
ParanormalHighschools sind wie ein Tor zur Hölle - nur würde ich mich viel lieber mit Dämonen herumschlagen als mit verbogenen Cheerleadern und primitiven Footballern. Meine Name ist übrigens Merry, und mein Leben geht gerade komplett den Bach runter, dabei f...