Noah war für Colin ein Rätsel und... Colin liebte es, Rätsel zu lösen. Noah war natürlich wesentlich komplexer als eine Mathe-Gleichung, die Colin meist problemlos lösen konnte, und es half auch nicht wirklich, stundenlang zu grübeln, was wohl hinter seiner Fassade stecken konnte, also versuchte Colin es mit unterschiedlichen Taktiken.
Am Anfang ließ er Noah weitestgehend in Ruhe, versuchte ihn nicht zu nerven und deckte ihn ohne zu Fragen vor Frau Schiller, wenn er mal wieder spurlos verschwunden war. Colin wollte ihm damit signalisieren, dass er vertrauenswürdig war und Noah sich auf ihn verlassen konnte, doch ganz so leicht schien sich Noah nicht öffnen zu wollen. Er war weiterhin abweisend und schien eine riesige Schutzmauer um sich herum aufgebaut zu haben.
Colin wusste selbst nicht so ganz, warum es ihm so wichtig war, sich mit Noah anzufreunden, aber er war fast schon ein wenig versessen. Noah spukte ständig in seinem Kopf herum. Lag es an der Challenge mit Julia, möglichst viele neue Leute kennenzulernen? Oder war es, weil sie Zimmernachbarn waren und er ein gutes Verhältnis mit ihnen haben wollte? Mit Joel verstand er sich ja ganz gut, auch wenn er ein bisschen gewöhnungsbedürftig war, aber mit Noah war es irgendwie nochmal etwas ganz anderes.
Erst als er Noahs Geheimnis aufdeckte und ihn zusammen mit seinem Hund Freddy im Wald sah, wurde Colin einiges klar. Noah hatte ihn und Joel angeschrien und sie wollten gerade wieder zurück zum Internat, als sich Colin noch einmal umdrehte. Noah hatte sich zu Freddy gesetzt und kraulte ihm liebevoll das Fell.
Oh, dachte Colin, als sein Herz bei diesem Anblick einen Hüpfer machte und irgendetwas in seinem Magen sich anders anfühlte. Er hatte so etwas noch nie gespürt, aber es war zweifelsfrei ein positives Gefühl. Diese warme, zärtliche Seite von Noah, die er davor nicht gekannt hatte, hatte irgendetwas in ihm ausgelöst.
Der Drang, Noah näher zu kommen, war ab diesem Zeitpunkt nur noch stärker.
Seine nächste Strategie war, Noah so viel zu unterstützen, wie er konnte. Jetzt, wo er sein Geheimnis kannte, war das auch wesentlich leichter. Er kaufte Hundefutter für Freddy, deckte Noah weiterhin, sorgte dafür, dass er mit seinen Hausaufgaben nicht hinterherhinkte und durfte sich schließlich auch um Freddy selbst kümmern.
Für Colin war das ein sehr großer Schritt in ihrer Beziehung. Es war nicht selbstverständlich, dass Noah ihm seinen Hund anvertraute, der eindeutig das Wichtigste für ihn war. Auch dass Noah sich langsam öffnete und unter anderem von seinem schwierigen Elternhaus erzählte, war für Colin ein großer Vertrauensbeweis.
Es wurde schnell eine seiner neuen Lieblingsbeschäftigungen, mit Noah und Freddy spazieren zu gehen und einfach über alles und nichts zu sprechen. Noah war unheimlich intelligent, witzig, kreativ und hatte diese wahnsinnig sanfte und hilfsbereite Art, die Colin fast als einziger zu Gesicht bekam und die ihn ein wenig wahnsinnig werden ließ, weil sein Herz dann immer komische Sachen anstellte.
Als er von Noah einen perfekten Film für sein Projekt mit Joel bekam, konnte er nicht aufhören zu lächeln. Sein Herz schlug in doppelter Geschwindigkeit wie sonst, aber das ignorierte er einfach wie immer. Er hatte sich schon fast daran gewöhnt, dass es immer ein wenig schneller schlug, wenn Noah da war. Oder er an Noah dachte. Was ja zum Glück nicht so oft vorkam...
Colin hatte das Gefühl, dass endlich alles gut lief, bis Freddy ihm bei einem Spaziergang abhaute und er von Herrn Chung erwischt wurde. Mit einem Schlag schienen alle Fortschritte zerstört und alles, was Noah für ihn übrig zu haben schien, waren Wut und Enttäuschung. Colin hatte sich selten in seinem Leben so schlecht gefühlt. Er hatte Freddy natürlich nicht mit Absicht davonlaufen lassen und er wollte auf keinen Fall, dass er ins Tierheim musste, doch Noah konnte keine seiner Entschuldigungen annehmen. Selbst als er durch Ava Kinokarten besorgen konnte für die Rise of Hell Premiere, bei der er sich sicher war, dass Noah sie lieben würde, da er extrem viel von Horrorfilmen sprach und bei jeder Gelegenheit welche anschaute, war Noah wieder abweisend zu ihm.
Colin war zum Heulen zumute. Er zerriss frustriert die Karten und verzog sich in sein Zimmer, um sich unter Kontrolle zu kriegen. Er würde sich wahrscheinlich damit abfinden müssen, dass Noah ihm nicht verzeihen konnte und sie keine Freunde mehr waren. Der Gedanke schmerzte mehr als Colin am Anfang des Schuljahres für möglich gehalten hätte, doch inzwischen hatte sich vieles verändert. Er hatte das Gefühl gehabt, in Noah einen seiner besten Freunde gefunden zu haben und dass es Noah mit ihm ebenso ging. Sie hatten so viel miteinander geteilt, so viel Zeit miteinander verbracht in den letzten Wochen, so viel geredet, so viele Ideen ausgetüftelt, so viel gelacht... Colin konnte und wollte das alles nicht einfach aufgeben, doch was sollte er noch tun, damit Noah ihm verzieh?
Colin wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als die Tür zu ihrem Zimmer aufging und Noah reinkam. Colin biss sich auf die Lippe und wappnete sich gegen einen weiteren verbalen Angriff, doch stattdessen setzte Noah sich zu ihm aufs Bett und sah etwas betreten drein.
„Freddy muss nicht ins Heim", eröffnete Noah ihm und Colin sah ihn überrascht an. „Chung nimmt ihn und ich kann ihn jederzeit sehen."
Colin atmete erleichtert auf.
„Das ist cool", sagte er und Noah nickte.
„Ist tatsächlich besser so, denk ich. Ich..." Noah stockte und sah Colin dann direkt in die Augen. „Tut mir leid, dass ich so ein Arsch war. Du konntest nichts dafür, und ich hatte Angst und hab meine Wut an dir ausgelassen. Das war nicht fair."
„Schon okay", meinte Colin schwach. Er hatte nicht mit einer Entschuldigung gerechnet und freute sich jetzt umso mehr. Noah lächelte ihn vorsichtig an und zog dann zwei zusammengeklebte Kinokarten hervor, die Colin als die Rise of Hell Karten erkannte.
„Also, wenn du noch willst..." Noah hielt ihm unsicher eine der Karten hin und sah ihn mit hoffnungsvollen Augen an.
Oh, dachte Colin sich erneut, als er in Noahs blaue Augen sah. Vermutlich hätte es ihm schon früher klarwerden müssen, doch jetzt schien es sehr offensichtlich. Colin war sich zwar von Anfang an bewusst gewesen, dass Noah extrem gut aussah - Colin war ja nicht blind. Vielleicht hatte die Anziehung am Anfang dazu beigetragen, dass er Noah kennenlernen wollte, zusammen mit seiner mysteriösen Art. Aber Noah hatte sich dann als so viel mehr herausgestellt, als er für möglich gehalten hatte.
Colin lächelte und griff nach der Karte.
Er konnte gar nicht anders, als sich in Noah zu verlieben.
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Come what may | Nolin
FanfictionOneshots aus dem gemeinsamen Leben von Colin und Noah Reiner Fluff, wie immer :)