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„Geht's noch? Meine Güte. Der hat seinen Führerschein sicher im Lotto gewonnen", beschwerte Colin sich, nachdem ein BMW ihm die Vorfahrt genommen hatte. Noah lachte leise vom Beifahrersitz aus.

„Was?", schmollte Colin nach einem kurzen Blick zu ihm.

„Wir werden alt. Das ist echt ein typischer Dad—Spruch", meinte Noah immer noch grinsend. Colin verdrehte lächelnd die Augen.

„Inzwischen könnten wir Großeltern sein", wandte er ein und Noah stöhnte auf.

„Ich weiß. Ich fühl mich immer noch nicht wie 60", murmelte er und Colin konnte ihm nur zustimmen.

„Wir sind halt jung geblieben", scherzte er.

„Das denke ich auch immer, bis ich dann auf Jugendliche treffe und mir bewusstwird, dass ich in einer ganz anderen Welt lebe als sie", schmunzelte Noah.

„Gut, das ging mir mit Ende 20 aber auch schon so", lachte Colin. Er parkte das Auto, als sie an ihrem Ziel angekommen waren, und gemeinsam stiegen sie aus. Noah öffnete die Tür zur Rückbank.

„Na komm, mein Mädchen!", rief er und ihre dreijährige Golden Retriever-Hündin sprang aufgeregt aus dem Auto. Sie erkannte sofort, dass sie beim großen Hundepark am anderen Ende der Stadt waren und wollte direkt losstürmen.

„Ganz ruhig, kleine Miss Honey Puff, wir haben Zeit!", lächelte Colin und streichelte dem Retriever den Kopf. Ihre großen braunen Augen sahen ihn gleichzeitig sanft und ungeduldig an. Colin und Noah hatten sich sofort in diese Augen verliebt, als sie sie im Tierheim gesehen hatten, und hatten die Hündin mit nach Hause genommen. Sie hatten über die Jahre mehrere Hunde adoptiert, da es mit einem Vierbeiner jedes Mal eine Bereicherung gewesen war. Der Verlust der Tiere schmerzte immer enorm, doch sie trösteten sich mit dem Gedanken, dass sie einem Hund ein schönes Leben und Zuhause hatten schenken können.

Noah nahm Colins Hand in seine, die nicht Miss Honey Puffs Leine hielt, und gemeinsam gingen sie in den Park. Nachdem sie eine Weile spazieren gegangen waren, ließen sie Miss Honey Puff frei laufen, und beobachteten, wie sie sich mit einigen anderen Hunden fröhlich austobte. Colin und Noah setzten sich auf eine nahegelegene Bank, von der aus sie ihren Retriever gut im Blick hatten, und genossen die herbstlichen Sonnenstrahlen auf ihrer Haut und den sanften Wind, der die bunten Blätter um sie herum rascheln ließ.

Colins Handy signalisierte nach einigen ruhigen Minuten, dass er einen Videoanruf bekam. Schnell zog er es aus seiner Manteltasche, hielt es vor Noah und sich in die Höhe und nahm den Anruf an.

„Hallo, meine lieben Söhne, wie geht es euch?", fragte Colins Mutter Corinna, die auf der Terrasse vor ihrem Haus saß. Noah begann zu lächeln, wie immer, wenn seine Schwiegermutter ihn als ihren Sohn bezeichnete. Er war von Anfang an mit offenen Armen in Colins Familie aufgenommen worden, und war für Colins Eltern wie selbstverständlich ein zweiter Sohn geworden.

„Gut, Mama, und dir?", erkundigte Colin sich. Seine Mutter zuckte lächelnd mit den Schultern. In ihren Augen konnte Colin nach wie vor Traurigkeit erkennen, auch wenn sie es nicht offen ansprach. Der Tod seines Vaters im letzten Jahr war für seine Mutter nur schwer zu verkraften gewesen. Auch er hatte lange gebraucht, um seine Trauer zu überwinden, doch er hatte immerhin Noah an seiner Seite gehabt, während seine Mutter nur noch ihre Kinder hatte.

„Ich habe mich gefragt, ob ihr am Sonntag zum Kaffee vorbeikommen wollt? Mit meiner kleinen Honey natürlich", sagte Corinna, ohne Colins Frage wirklich zu beantworten. Colin und Noah hatten Corinna in den letzten Monaten sehr oft besucht, aber es machte ihnen nichts aus. Auch der Kontakt zu Miss Honey Puff schien Corinna gut zu tun und Colin hatte schon mehrmals überlegt, ob ein eigenes Haustier seiner Mutter nicht guttun würde, doch sie fühlte sich mit Mitte 80 zu alt dafür und wollte nicht allein die Verantwortung tragen, was Colin auch verstehen konnte.

„Natürlich, wir kommen gerne!", antwortete Noah sofort in sanftem Tonfall.

„Sehr schön. Wo ist Honey gerade?", wollte Corinna wissen und reckte den Kopf, als ob sie so mehr auf dem Bildschirm sehen könnte. Colin wechselte die Kamera und zeigte, wie Miss Honey Puff, die von seiner Mutter konstant nur Honey genannt wurde, mit den anderen Hunden spielte. Noah und er nannten Miss Honey Puff in der Öffentlichkeit meistens auch nur Honey, da sie schon viele Blicke abbekommen hatten wegen ihres Namens. Dabei fand Colin ihn einfach nur passend.

„Ooh, meine süße Maus", säuselte Corinna erfreut und Noah unterdrückte ein Schmunzeln.

„Also gut, dann sehen wir uns am Sonntag um drei. Bis dann, meine Jungs, ich liebe euch!", verabschiedete Corinna sich, als Colin die Kamera wieder gewechselt hatte.

„Wir dich auch, Mama, bis dann!"

Sie winkten beide in die Kamera und beendeten dann den Anruf.

„Schon süß, dass wir mit 60 Jahren immer noch ihre Jungs sind", fand Noah und legte seinen Kopf auf Colins Schulter ab.

„Ich glaube, das werden wir auch immer bleiben", lächelte Colin. „Danke, dass du immer mitkommst", fügte er dann noch an.

„Ist doch selbstverständlich. Wir sind die einzige Familie, die sie noch hat. Ich will mir gar nicht vorstellen... ich weiß nicht, wie ich an ihrer Stelle..." Noah konnte den Satz gar nicht beenden. Er hob den Kopf und sah Colin nur hilflos an. Colin legte eine beruhigende Hand auf Noahs Wange.

„Hey. Denk nicht darüber nach", flüsterte Colin. Er wusste ehrlich gesagt selbst nicht, ob er ohne Noah weiterleben könnte. Sein Herz sagte ihm, dass das unmöglich war, und er ahnte, dass es Noah genauso ging.

„Wir werden einfach niemals getrennt werden", sagte Noah bemüht positiv.

„Ganz genau", lächelte Colin und küsste Noahs Schläfe. Seine Augen waren von Lachfältchen geziert, die Colin über alles liebte. Sie merkten deutlich, wie ihre Körper sich veränderten, aber es waren alles nur Beweise, wie viel Zeit sie schon zusammen verbracht hatten. Es war ein Privileg, mit Noah älter zu werden.

„Am Samstag ist übrigens das Dinner bei Joel", wechselte Colin dann das Thema.

„Ah stimmt, hätte ich schon fast wieder vergessen", seufzte Noah. Colin stieß ihm leicht in die Seite.

„Julia, Kilian, Ava und Celine kommen auch, soweit ich weiß", sagte er.

„Ah, gut. Dann kann ich mich wenigstens mit Celine unterhalten, wenn mir die Berichte über Joels Saft-Imperium zu viel werden", grinste Noah.

Celine war Avas langjährige Partnerin. Sie hatten sich über Noah kennengelernt, da Celine und er gemeinsam an einem Film gearbeitet hatten. Celine war die Drehbuchautorin gewesen und Noah hatte Regie geführt. Wie fast alle von Noahs Filmen, war es ein voller Erfolg geworden. Ava und Celine hatten sich bei der Filmpremiere kennengelernt und auf Anhieb gut verstanden. Die beiden waren mittlerweile schon fast 30 Jahre zusammen, hatten sich aber gegen eine Heirat entschieden. Genau wie Colin und Noah waren sie auch kinderlos, waren aber ebenso begeisterte Tanten für Julias und Kilians Kinder. Die beiden wurden wirklich sehr verwöhnt.

Joel hatte ihnen irgendwann erzählt, dass er keinerlei Interesse an romantischer Liebe oder einer Beziehung hatte, aber Noah behauptete immer, dass er ja sowieso mit seiner Arbeit verheiratet war. Er hatte sich nach seinem Studium schnell einen Namen in der Getränke-Welt gemacht und Colin und Noah waren immer noch die ersten, die seine neuen Kreationen testen durften. Mittlerweile kam man an keinem Supermarkt mehr vorbei, der nicht mindestens ein Regal von Joels Säften verkaufte. Obwohl Colin kein offizieller Businesspartner von ihm war, fühlte er sich sehr geehrt, dass er weiterhin im Namen von Joels Marke „Healthy JuiCe" vertreten war.

„Wollen wir langsam wieder nach Hause fahren?", fragte Colin eine Weile später, als er merkte, dass Noah zu frösteln begann. Noah nickte und rief Miss Honey Puff zu ihnen, die sofort brav angetrottet kam. Noah legte ihr die Leine an und sie machten sich auf den Weg zum Auto. Colin schwang ihre verschränkten Hände hin und her und Noah lächelte ihn an. Sie liebten es beide nach wie vor, die Hand des anderen zu halten. Mit Noahs Hand in seiner war es ganz egal, wo er sich befand, er fühlte sich immer zuhause. 

Come what may | NolinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt