Bevor ich im Bad verschwinde, krame ich noch mein Notfallset aus meiner Handtasche. Himmel, bin ich froh, dass mein Vergangenheits-Ich eine kleine Neurotikerin ist, schießt es mir durch den Kopf, als ich die kompakte Kosmetiktasche aus der hintersten Ecke hervorzaubere.
Darin ist nämlich alles, was man oder besser gesagt Frau für eine ungeplante Übernachtung gebrauchen kann. Angefangen bei so Grundlegendem wie Zahnbürste und Zahncreme, diese süßen Duschzeug-Fläschchen aus Hotels und Tampons, die ich heute Gott sei Dank nicht brauche. Aber auch ein Reiserasierer, ein paar wenige Kosmetika und ein frisches Höschen haben noch einen Platz in dem Täschchen gefunden. Natürlich alles nur für den Fall der Fälle.
Ohne mein erschöpftes Spiegelbild genauer in Augenschein zu nehmen, schließe ich hinter mir ab und borge mir ein sauberes Handtuch aus dem Schrank. Im Handumdrehen werde ich das übergroße Shirt, das Nate mir zum Schlafen gegeben hat, los und steige unter die Dusche.
Sobald das Wasser in einer angenehmen Temperatur auf mich runterprasselt, schrubbe ich mich gründlich ab und greife dann nach meinem Rasierer, nur um die letzte Packung Gummibärchen der Nacht noch einmal zu bereuen. Ich schaffe mit Müh und Not die zweite Bahn an meinem ersten Bein, bevor mir fast mein Mageninhalt hochkommt.
Keuchend richte ich mich auf und spüre meinen Fehler sofort, anhand eines bekannten Brennens an meiner Wade. Bei der ruckartigen Bewegung habe ich es doch tatsächlich geschafft, mich so ungeschickt zu schneiden, dass die weißen Fliesen um mich herum innerhalb von Sekunden aussehen, als hätte Hannibal Lecter hier sein neustes Opfer ausbluten lassen, bevor er es zu einer Pastete verarbeitet.
Doch das ist gerade das kleinere Übel. Viel schlimmer ist die anhaltende Übelkeit, die mich für einen Moment sogar trocken würgen lässt.
Fluchend lasse ich mich langsam zu Boden gleiten, lege den Kopf zurück und muss zuerst konzentriert atmen, ehe ich auch nur daran denken kann, mich um den blutenden Schnitt zu kümmern. Verdammt, das ist ja wirklich so, als hätte ich einen Kater. Und dabei habe ich schon seit Wochen keinen Tropfen Alkohol angerührt.
Resigniert gebe ich den Gedanken an haarlose Beine auf und schließe stattdessen meine Augen. Ich fixiere mich ganz auf das Gefühl der fallenden Tropfen auf meiner Haut und versuche mich damit ein wenig abzulenken.
Nach weiteren fünfzehn Minuten schaffe ich es dann endlich, irgendwie fertig zu werden, und betrete die Küche. Noch im Türrahmen strecke ich wie ein Bluthund die Nase in die Luft und seufze glücklich auf.
Der Duft von geschmolzener Butter, Zucker und Schokolade weht mir entgegen. Und wo ich gerade noch krampfhaft darauf achten musste, mich nicht zu übergeben, ist jetzt ein Magen, der sich schon fast selbst aufzuessen scheint – so laut knurrt er.
„Rieche ich hier etwa Pancakes mit extra Schokostückchen?", frage ich hoffnungsvoll und durchquere mit einem Handtuch um meinen Körper gewickelt den Raum.
„Du bist wie ein Bombenspürhund für Schokolade", meint Nathaniel sichtlich von mir amüsiert. Augenverdrehend halte ich das Handtuch an Ort und Stelle, hüpfe ungefragt auf die Arbeitsfläche und lasse meine nackten Beine baumeln. „Die Pancakes sind beinahe fertig, doch der Speck braucht noch einen Moment... aber hier hast du schonmal den."
Prompt wird mir eine Tasse mit dampfendem Kaffee überreicht und dazu Kaffeesahne mit Caramel-Geschmack, die er nur meinetwegen in seinem Kühlschrank lagert. Dankend nehme ich beides entgegen, gieße einen großzügigen Schluck in meinen Kaffee und gebe ihm die Sahne zurück, damit er sie in den Kühlschrank stellen kann.
„Wie schlimm ist es?", will ich von meinem besten Freund wissen und drehe ihm den Rücken zu. „Und sei gefälligst ehrlich!"
Denn nachdem meine Haare jetzt nass sind, hat ein weiterer Blick in den Spiegel ausgereicht, um mir aufzuzeigen, wie krumm und schief meine Schnitte sind. Nacht-und-Nebel-Aktionen und Scheren sind nun mal eine gefährliche Kombination und taugen ganz offensichtlich nicht zusammen. Doch vielleicht sieht es von hinten nicht ganz so schaurig aus.
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Broken Hearts
RomanceJohnson-Brüder-Reihe | Band 1 Ein Besuch bei der Familie sollte etwas Schönes sein. Jedenfalls ist das in den meisten Familien so, bei den Bells hingegen bedeutet ein Besuch zu Hause, eine Armee an Bediensteten, endlos langweilige Essen, mit noch l...