Kapitel 09 • Kit

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Die Limousine fährt die Einfahrt zwischen zwei dicken Trauerweiden entlang und kommt schließlich vor dem Haus meiner Familie zum Stehen. Die Fahrt hierher verlief in angespannter Stille, und auch die aufmunternden Blicke, die Gregory mir immer wieder durch den Rückspiegel zugeworfen hat, und Constantin, der wie ein ruhiger Fels neben mir saß, haben mir nicht geholfen, mich zu entspannen.

„Soll ich die Koffer ins Haus bringen?", fragt Gregory lächelnd und dreht den Kopf zu uns nach hinten.

„Nicht nötig, wir werden uns ein Hotel suchen, sobald ich mich meinen Eltern gestellt habe", winke ich ab, während wir von der Rückbank rutschen, und lehne mich nochmal zurück in den Innenraum des luxuriösen Autos. „Also bleib besser in der Nähe, falls wir einen Fluchtwagenfahrer und einen Fluchtwagen brauchen!"

„In Ordnung, sagt einfach Bescheid und ich fahre euch, wohin ihr wollt", versichert er zwinkernd und ich schließe schwer seufzend die Autotür. Ich sehe ihm wehmütig hinterher, als er den Wagen wegfährt, schiebe den Riemen meiner Handtasche zurecht und blicke mich dann endlich richtig um.

Es hat sich in den vergangenen Jahren augenscheinlich nichts verändert. Vor uns ragt die wunderschöne, aber imposante Villa aus dem Jahr 1863 auf und reckt sich stolz der Zeit trotzend der Sonne entgegen. Das strahlende Weiß der Außenfassade ist so makellos wie eh und je und harmoniert perfekt mit den anthrazitfarbenen Fensterläden und der Eingangstür. Vier massive Steinsäulen tragen den Dachvorsprung des Südstaaten-Ungetüms, das glatt aus ‚Vom Winde verweht' entsprungen sein könnte und in mir leichte Beklemmungen hervorruft.

Das hier ist zwar mein Elternhaus, doch die meiste Zeit über habe ich mich in diesem 900 Quadratmeter großen Anwesen und den umliegenden Ländereien wie eine Gefangene im goldenen Käfig gefühlt. Und ich bin gewiss nicht scharf darauf, die nächste Woche meine Jugend revue passieren zu lassen und mich erneut wie ein Mädchen zu fühlen, das nicht über ihr eigenes Leben bestimmen kann. Gott, das hier ist wahrlich wie mein ganz persönliches Vietnam, nur ohne, dass wir aufeinander schießen dürfen. Ob das nun schlecht oder im Endeffekt gut ist, da sind sich die Götter gewiss nicht einig.

„Du bist reich!", reißt mich Constantin aus meinen Gedanken und bringt mich dazu, den Kopf ein Stück zu ihm zu drehen. Er steht neben mir und bestaunt die eindrucksvolle Südstaaten-Villa.

Seine waldgrünen Augen fliegen begeistert zu den vielen historischen Feinheiten des Bauwerks. Für ihn als Fachmann muss das hier ein wahr gewordener Traum sein und er hat noch nicht mal das Innere gesehen. Dennoch muss es auch ein wenig einschüchternd auf ihn wirken, auch wenn er sich nichts anmerken lässt.

„Nein, das bin ich nicht", stelle ich überraschend eindringlich klar und presse für einen Augenblick die Lippen zusammen. Obwohl es absolut lächerlich ist, irgendwas abzustreiten oder zu leugnen. Alles hier stinkt nur so nach altem Geld und unendlichem Reichtum, weshalb ich spitz fortfahre: „Meine Eltern sind reich, obwohl sie das Wort ‚Wohlhabend' bevorzugen würden."

„Warte mal... Bell... Bell... Bell! Wie in Robert Bell dem Gouverneur?", fragt er, da ihm die Plakate, mit denen mein Vater und sein Wahlkampfteam die Stadt praktisch plakatiert haben, natürlich nicht entgangen sind. Gut, niemand mit zwei funktionierenden Augen hätte sie übersehen können, da er wirklich alles gegeben und jede freie Stelle für den bevorstehenden Wahlkampf ausgenutzt hat. „Bell ist dein Mädchenname."

„Stimmt, und Gott sei Dank habe ich ihn bei der Heirat behalten, sonst müsste ich jetzt durch einen Haufen brennender Reifen stupider Bürokratie springen, um den Namen Westley wieder loszuwerden", nicke ich langsam vor mich hin und wende mich dem Mann neben mir vollkommen zu, was er mir mit hochgezogener Augenbraue nachmacht. „Okay, bevor wir da jetzt reingehen, sollte ich dich wohl kurz vorbereiten", seufze ich unwillig und knete angestrengt meine Hände. „Also gut... ähm... ich hoffe einfach mal darauf, dass meine beiden Brüder, Nicholas und Lincoln, uns gleich ein wenig Rückendeckung geben. Nick ist zwei Jahre älter als Linc und ich, verheiratet mit Joan und hat einen Sohn – Finnley. Lincoln ist mein Zwilling, 29 Jahre jung und schon seit Jahren mit Summer zusammen. Dann hätten wir noch meinen Vater – Robert Bell –, der, wie du schon sagtest, der derzeitige Gouverneur von Tennessee ist und wohl zusammen mit meiner Mutter – Beverlie Bell – das Hauptproblem bildet! Die beiden werden es sich nicht nehmen lassen, mich zu kritisieren, und am besten ignorierst du einfach alles, was meine Eltern vielleicht sagen werden oder auch nur andeuten! Und wenn es dir zu viel wird, dann gibst du mir sofort ein Zeichen und wir hauen ab. Klar?"

Broken HeartsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt