Kapitel 50

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„Na, dit wa ja echt eene schnicke Feier" Opa Chris legte Ella den Arm um die Schulter und lief mit ihr über den Parkplatz. „Dit is ja nu erst eenmal die letzte inne Schule für lange Zeit." „Quatsch, Cris! In drei Jahren macht doch unsere Lu ihren Abschluss. Da wird garantiert auch wieder gefeiert." „Hab ick doch jesagt. Die letzte für lange Zeit. Drei Jahre is ne lange Zeit. Weeß ick, ob ick da noch lebe oder schon den Arsch zujekniffen habe." „Opa!" Ella schaute ihn erschrocken an und er blickte sich um. „Wat denn? Hat doch keener von die Erpel jehört." Das war ja auch nicht Ellas Problem, sondern der Gedanke, dass Opa Chris irgendwann einmal nicht mehr da war. Das wäre...wäre mega traurig. Nein, schrecklich! Zu wem sollte sie denn dann gehen, wenn sie absolut nicht mehr weiter wusste? „Also außerdem gibt es da vorher noch eine Einschulung." Delphie lief zusammen mit ihrem Ehemann Sascha neben ihnen. „Wer soll denn einjeschult werden? Dit Jungjemüse is doch jetzt durch?" Opa Chris schaute seine Enkeltochter irritiert an. Delphie stupste Sascha mit dem Ellenbogen in die Seite. „Willst du es ihnen erzählen? Oder soll ich es machen?" Saschas Gesicht hatte sich schlagartig in eine Gartentomate verwandelt. Korrektur! In eine breit grinsende Gartentomate. „Also" Ellas Stiefschwester wartete gar keine Antwort ab, sondern plapperte einfach los. „Wir haben demnächst ein Pflegekind, das wir nach Ablauf der Probezeit auch adoptieren können." Das ....das war ja unglaublich. „Echt?" Ella wandte sich zu Delphie, die auch über das ganze Gesicht strahlte und nickte. „Das freut mich so für euch." Ella umarmte sie überschwänglich. Ja, sie freute sich wirklich für ihre Stiefschwester und ihren Mann. Die beiden waren für sie der Inbegriff eines Traumpaares. Okay, eines Traumpaares mit kleinem Handycap. Ja, die beiden waren ja Cousin und Cousine und das bedeutete, dass eigene gemeinsame Kinder zwar nicht grundsätzlich verboten waren, aber sie bargen ein erhöhtes Risiko mit irgendwelchen Gendefekten oder so auf die Welt zu kommen. Was das alles genau war, hatte Ella sich nicht gemerkt. Schließlich war sie Friseurin und nicht Ärztin. Umso mehr freute sie sich, dass die beiden nun einen anderen Weg gefunden hatten. „Wird es ein Mädchen oder ein Junge? Wie alt ist das Kind?" Ja, Ella hatte so viele Fragen über ihren neuen Neffen oder Nichte. Manno, sonst hatte sie immer ein paar Monate Schwangerschaft Zeit gehabt, sich darauf vorzubereiten und die perfekten Willkommensgeschenke für die Kleinen zu finden. Aber das war so typisch Delphie, dass sie ihnen keine große Vorwarnzeit gab. Ja, wenn ihre Stiefschwester etwas wollte, dann sofort. Sie war die Ungeduld in Person. Obwohl, wahrscheinlich hatte das ganze beantragen der Pflegschaft schon lange genug gedauert, aber sie hatten es der Familie nicht erzählt, um niemanden zu enttäuschen, wenn es nicht funktionierte. Ja, ihre Schwester war zwar ungeduldig, aber auch sehr empathisch. „Ja, dit interessiert mir och." Auch Opa Chris hatte sich den beiden zugewandt, während Oma Dani mit Tränen in den Augen dastand und den Kopf ungläubig schüttelte. „Warum habt ihr uns denn nicht schon früher etwas erzählt?" „Na ja, das Ganze ging jetzt doch ziemlich schnell." Delphie zuckte mit den Schultern. „Es ist ja nicht so, dass wir das wirklich geplant hätten, aber in der Einrichtung, in der ich arbeite, ist ein kleines Mädchen untergebracht worden. Sie heißt Tamara und ist Autistin." „Okay, also een Mädel!" Opa Chris grinste. „Dit heißt wir beede haben wieder ne janze Menge um die Ohren, um diese Schwachköppe von ihr fernzuhalten." Er klopfte Sascha kumpelhaft auf die Schulter. „Opa, sie ist gerade er fünf. Und sie ist Autistin. Da ist das Problem eher das, dass sie anderen Menschen aus dem Weg gehen", wandte Delphie sofort ein. „Na, dit eene schließt ja dit andere nich aus. Trotzdem brauch die Kleene keene Schwachköppe in ihre Umjebung. Denn sorgen wa eben dafür, dit janz liebe Menschen um se rum sind." Delphie winkte ab. „Ja, ja, Opa, du wirst schon noch genug Möglichkeiten bekommen, um dich um Tami zu kümmern und ihr Blödsinn beizubringen." Opa Chris schüttelte empört seinen Kopf. „Ick und Blödsinn! Haste dit jehört, Dani?" Oma Dani grinste nickend und strich ihm über den Arm. „Ja, habe ich, Chris! Und ich habe dem nichts hinzuzufügen. Delphie hat das gut zusammengefasst." Opa Chris schnaubte und gab noch ein Brummen von sich. „Hör auf hier den Brummbären zu geben und lass Delphie lieber noch etwas von unserer kleinen Urenkelin erzählen." „Genau, Uropa Brummbär", kicherte Delphie ausgelassen. Ja, man sah ihr ihre Freude und ihr Glück deutlich an. In Ella stieg bei dem Anblick ein Gefühl auf, das sie nicht genau benennen konnte. Eifersucht? Neid? Nein, das war es nicht, denn sie gönnte dieses Glück ihrer Schwester mehr als alles andere. Delphie hatte so schwierige Zeiten hinter sich. In ihrer Kindheit und Jugend war so viel schief gelaufen. Ihr Vater war gestorben, sie war ganz alleine in Paris gewesen und hatte nie an die Liebe ihrer Familie geglaubt. Ja, sie war die Außenseiterin gewesen. Deshalb war es so schön, dass sie jetzt endlich dazugehörte und mit Sascha an ihrer Seite glücklich war. Ja, sie hatte sämtliches Glück verdient. Das neidete ihr Ella auf keinen Fall. Ebensowenig wie die kleine Tochter, die sie bald haben würde. Nein, es war eher des Gefühl der Sehnsucht. Ja, ganz tief in ihrem Herzen wünschte sich Ella auch so einen perfekten Mann an ihrer Seite. Und sie wünschte sich Kinder. Ja, die gehörten einfach dazu. Na ja und um das Klischee vollständig zu machen, vielleicht auch noch ein Haus mit weißem Gartenzaun. War das zu viel erwartet? Vielleicht! Jedenfalls im Moment. Seit Mallorca sollte sie vielleicht lieber erst einmal versuchen ihr eigenes Leben in den Griff zu bekommen. Ja, wie sollte das mit einem Mann an ihrer Seite klappen, wenn sie schon eine Panikattacke bekam, wenn er blond war oder die falschen Worte sagte. Nein, dieser Traum war in sehr weite Ferne gerückt und Ella war sich nicht sicher, ob sie ihn jemals erreichen würde.

Schuss und Treffer - auf leisen Sohlen      Teil 17Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt