Kapitel 13

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Ella starrte an die Wand ihres Hotelzimmers. Keine Ahnung, wie lange sie das schon tat. Seit sie im Krankenhaus wieder aufgewacht war, hatte sie jegliches Zeitgefühl verloren. Ihr Blick wanderte nach draußen. Ja, es musste schon Abend sein, denn der Himmel färbte sich zart rosa. Gestern Abend um die Zeit hatte sie sich fertig gemacht, um einen tollen Abend zu verbringen. Sie hatte das Schicksal angefleht ihr endlich den Richtigen zu schicken. Tja, und jetzt flehte sie es an, ihr ihre Erinnerung wiederzugeben. Verflucht! Es war so....so....beängstigend traf es wohl am besten. Ja, es machte ihr Angst nicht zu wissen, was in der Zeit in der sie bewusstlos war, mit ihr passiert war. Was hatten die Mistkerle mit ihr angestellt? Das einzige, an das sie sich erinnern konnte, war, dass ihr schwindelig und übel geworden war. Max hatte ihr bestätigt, dass das an diesem Mistzeug lag. Sie hatte noch versucht aus dem Laden herauszukommen, um frische Luft zu schnappen. Und da war das Gesicht von Sven über ihrem. Und dann war da gar nichts mehr außer Dunkelheit. Verflucht! Hatte sie es den Mistkerlen mit ihrem Versuch aus dem Laden zu kommen noch einfacher gemacht, sie zum Strand zu verfrachten? War es ihre eigene Schuld, dass es niemandem aufgefallen war, was mit ihr vorging? Wäre sie mitten auf der Tanzfläche zusammengebrochen, wären die Leute auf sie aufmerksam geworden und hätten einen Krankenwagen gerufen. Niemand hätte die Chance gehabt, sich an ihr zu vergreifen. Sie schloss ihre Augen und stöhnte. Das war das allerschlimmste an der ganzen Sache. Diese demütigenden Untersuchungen. Die Ärzte konnten nicht mit Sicherheit ausschließen, dass sie in ihrem bewusstlosen Zustand vergewaltigt worden war. So wie es aussah, konnte sie sich zumindest glücklich schätzen, dass diese Schweine wenn Kondome benutzt hatten. Ja, was für ein Glück hatte sie doch! Sie konnte zumindest nicht schwanger werden oder sich eine Geschlechtskrankheit eingefangen haben. Juhu! Das hätte ja alles noch getoppt. Aber es machte sie fertig, nicht zu wissen, was mit ihr passiert war. Wer hatte ihren Körper alles begrapscht? War es Sven? Oder waren es seine Kumpels? Oder vielleicht auch alle zusammen? Und was hatten sie mit ihrem Körper angestellt? Alleine bei diesem Gedanken drehte sich ihr Magen schon wieder um. Sie atmete tief ein, um die Übelkeit zu vertreiben. Müsste sie nicht fühlen, ob sie vergewaltigt wurde? Sie schaute auf ihre Arme, an denen ein paar kleine Blutergüsse zu sehen waren. Sie schienen von einer Hand zu stammen, die fest zugepackt hatte. Verflucht! Was war mit ihr passiert? Ein Klopfen an ihrer Tür riss sie aus ihren Gedanken. Sie zuckte zusammen und ihr Herz fing an zu rasen. Wer war das? Jasi und ihr Vater hatten eine Schlüsselkarte für ihr Zimmer. Sie hatten sie seit ihrer Rückkehr ins Hotel nicht mehr aus den Augen gelassen. Nur jetzt gerade waren sie etwas essen gegangen. Ihr Vater hatte Jasi nur unter Protest aus dem Zimmer schleppen können. Eigentlich hatte Ella mitgehen sollen, weil die beiden sich einig waren, dass sie unbedingt etwas essen musste. Glücklicherweise hatte Jasi aber verstanden, dass Ella unmöglich unter Leute gehen konnte, und beschlossen ihr etwas zu Essen mitzubringen. Die Leute würden ihr doch alle ansehen, was ihr in der letzten Nacht passiert war und ihr Urteil über sie fällen. Sie würden sie mit ihren Blicken verfolgen. Und was sollte das schon für ein Urteil sein, was sie über sie fällten? Von dumm über selbst schuld bis hin zu mitleiderregend. Ja, letzteres schien auch auf ihren Vater zuzutreffen. Ella konnte seinen traurigen mitleidigen Blick nicht mehr ertragen. Es tat ihr weh, wenn er sie anschaute. Hatte er Mitleid, weil ihr das passiert war, weil er sie für dumm und naiv hielt? Das war sie aber nicht. Sie hatte immer darauf geachtet. Ja, immer, immer, immer! Verflucht, warum war ihr gestern dieser dämliche Fehler unterlaufen? Weil sie an das Schicksal geglaubt hatte. Also war sie doch dumm und naiv! Manno, sie schämte sich so! Wieder klopfte es an der Tür. Nee, diesmal bummerte es schon. „Mensch Ella, mach auf!" Das war Stellas Stimme. Ella löste sich aus ihrer Eichhörnchenstarre und schlurfte zur Tür. „Na endlich!" Stella schob sich an ihr vorbei ins Zimmer. „Hallo, wie geht es dir?" Luna war ihr gefolgt und schaute Ella genauso mitleidig an, wie ihr Vater. Verflucht! Sie sollten damit aufhören! „Zieh dich an!" Stella wühlte in Ellas Schrank. „Warum?" „Weil wir da jetzt raus gehen!" Ella schüttelte sofort den Kopf. „Ich kann da nicht raus!" Sie spürte Panik in sich aufsteigen. „Oh doch, das kannst du!" Stella warf ihr eine Jeans zu. „Du wirst dich nicht hier verstecken. Du kommst jetzt mit und zeigst uns die Mistsäcke, die den Scheiß mit dir gemacht haben. Und dann kaufen wir sie uns." Ein T-Shirt flog Ella um die Ohren. „Nein, ich kann das nicht!" Sie konnte da auf keinen Fall rausgehen. Auf der Straße würden alle mit dem Finger auf sie zeigen. Wahrscheinlich würden sogar welche über sie lachen. „Du musst! Das ist wie beim Segeln. Wenn du da kenterst, steigst du doch auch wieder ins Boot und stellst dich dem Wind und dem Wasser." Okay, da hatte Stella schon recht. Und Ella war mit ihrem Boot nicht nur einmal gekentert und segelt immer noch damit. „Außerdem musst du ja mitkommen, sonst finden wir die Arschgeigen nicht. Du weißt doch, mit Stella legt man sich nicht ungestraft an." „Aber dir ist doch gar nichts passiert." „Nee, aber meiner Freundin. Und das ist genauso gut, als hätten sie sich mit mir angelegt. Also hopp!" Ella schluckte. Es tat gut, dass ihre Freundin sie nicht verurteilte. Normalerweise ließ Stella keine Gelegenheit aus, sich über die Fehler anderer lustig zu machen. Das tat sie aber nicht. Bedeutete das, dass Ella vielleicht wirklich keine Schuld trug? Vielleicht sahen die anderen es ja auch so. Sie blickte zu Luna, die mit den Schultern zuckte und sie anlächelte. Das hieß wohl, Stella war sowieso nicht zu stoppen, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. Ella griff nach der Jeans. Vielleicht hatte ihre Freundin ja recht und sie musste einfach gleich wieder ins Boot.

Schuss und Treffer - auf leisen Sohlen      Teil 17Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt