✴✳ 𝒫𝓇o𝓁o𝑔 ✳✴

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2003


Draußen war es stiller als sonst.

Zumindest kam es ihm in diesem Augenblick so vor.

Der nächtliche Sommerwind strich leise durch Vincents geöffnetes Fenster in sein Zimmer hinein.

Er lag auf seinem Bett, das Kissen bequem im Nacken. Seine Hände hatte er verschränkt hinter dem Kopf, während er zu seinem Fensterbrett blickte.

Denn dort saß sie.

Florentina.

Ihre nackten Füße baumelten über den Rand, und sie schaute hinaus in die dunklen Straßen.

Das Mondlicht schien halb auf ihr Gesicht und Vincent, der aus diesem Blickwinkel eh ausschließlich ihre rechte Gesichtshälfte sehen konnte, betrachtete sie nicht nur aufgrund dessen. Ihr blondes Haar hatte sie vor Kurzem ungerade selbst zu einem Bob geschnitten. Dennoch stand es ihr. Sie rauchte gerade einen Joint und blies den Qualm hinaus.

Er empfand mit einem Mal, das genau dieser Moment eine schöne Fotografie abgeben würde, als sie unerwartet und vollkommen in sich gekehrt sprach.

»Hast du jemals das Gefühl, dass du hier nicht hingehörst?« Florentinas Stimme war leise ... fast ein Flüstern.

Vincent setzte sich auf. Sie war zwar nah ... und doch wirkte sie unendlich weit weg. Es war ein Gefühl, das ihn oft überfiel, sobald sie in seiner Nähe war.

Diese ungreifbare Distanz, die sie umgab.

»Was meinst du?« , fragte er, auch wenn er die Antwort bereits ahnte.

Florentina drehte sich halb zu ihm um. Ihre blauen Augen leuchteten im Mondschein. »Ich weiß nicht. Es ist ... es ist, als würde Berlin mich versuchen festzuhalten. Als würde es mich einengen. Erdrücken. Es gibt so viele Orte, die ich sehen will, so viele Dinge, die ich tun will. Aber hier ...«

Sie verstummte und Vincent spürte, wie sich sein Magen zusammenzog.

Er kannte dieses Gefühl. Nicht bei sich selbst, dennoch diese Unruhe in ihr war ihm bekannt.

Es war ihm nicht neu.

Diese Unruhe war ein Teil von ihr.

Es war der Grund, warum er sie so faszinierend fand ... und gleichzeitig der Umstand, weshalb er sie eines Tages verlieren könnte.

Er spürte es genau.

Florentina war wie der Wind. Immer in Bewegung und nie richtig greifbar.

Vincent wollte sie festhalten, aber war sich darüber bewusst, dass es unmöglich war.

Wer konnte schon den Wind fangen?

»Und ... und was ist mit uns?« , fragte er schließlich, obwohl es ein wahres Uns gar nicht gab. Sie hatte keinen blassen Schimmer, was er tatsächlich für sie empfand ... oder ... sie wusste es und wollte es nicht sehen ... nicht ... haben.

Nicht ... verspüren.

Nicht ... für sich.

Florentina lächelte. Ein sanftes ... trauriges Lächeln. »Du weißt, dass ich nicht bleiben werde, Vincent. Ich ... ich kann das einfach nicht.« Sie sah ihn an, und in ihren Augen lag ein Herzenswunsch, den er nie ganz verstehen würde. »Aber ... es bedeutet nicht, dass ich dich nicht mag.«

Mögen ...

Vincent empfand so viel mehr und war aufgrund dessen auch nicht in der Lage, seine Gefühle offen anzusprechen.

Er war nicht das, was sie wollte.

Sie begehrte keine Person. Florentina hatte das Bedürfnis nach Freiheit.

»Ich bin nicht dafür gemacht, um an einem Ort zu bleiben. Das werde ich nie. Das weiß ich.« , sprach sie weiter.

Vincent fühlte, wie sein Herz schwer wurde, als er sie weiterhin ansah. Ihre Worte klangen endgültig.

Er wollte etwas sagen, irgendetwas, das sie davon abhielt, eines Tages zu gehen.

Doch was?

Gab es da überhaupt eine Sache, wenn die Sehnsucht, hier abzuhauen, größer war?

Die Stille zwischen ihnen wuchs.

Sie zog ein weiteres Mal an dem Joint und versuchte, mit dem Rauch Kreise zu formen, was ihr nicht gelang.

Vincent wusste mit Bestimmtheit, dass sie sich ihm immer mehr entfernen würde. Nicht nur ... gedanklich.

Florentina schwang ihre Beine vom Fensterbrett und trat leise zu ihm ans Bett, nachdem sie die Marihuana-Zigarette abgelegt hatte.

Sie trug ein T-Shirt von ihm, welches sie seitlich zu einem Knoten zusammengebunden hatte.

Ihr Slip, den sie anhatte, hatte kleine Herzchen drauf gestickt.

Dicht legte sie sich neben ihn hin und drängte ihn somit wieder in eine mehr liegende Position. Ihr Atem war auf seiner Haut spürbar und er bekam für einen kurzen Augenblick eine Gänsehaut.

Für einen Moment war alles perfekt ... die Stille, das Mondlicht ... ihre Nähe.

»Manchmal wünschte ich, ich könnte anders sein.« , flüsterte sie und küsste leicht seinen Hals. »Manchmal wünschte ich, ich könnte bleiben.«

Vincent sah sie an. Jede Faser seines Körpers schrie danach, sie festzuhalten. Sie zu bitten, hier bei ihm zu verweilen.

Aber er wusste tief in seinem Innern, dass es nicht funktionieren würde.

Sie war einfach niemand, der festgehalten werden konnte.

»Und manchmal wünschte ich, du würdest bleiben.« , sprach er leise, obwohl es ihm klar war, dass diese Worte nichts ändern würden.

Florentina sah ihn an.

Für einen kurzen Moment schien es, als würde sie etwas sagen wollen. Etwas, das all die Unsicherheiten in ihm wegwischen könnte.

Erneut küsste sie ihn.

Dieses Mal seine Lippen.

Allerdings ... nur sehr dezent.

Fast schon flüchtig.

Als hätte der Lufthauch jene kurz gestreift.

»Wir werden sehen.« , sagte sie.

Wie gehabt kehrte die Stille ein.

Vincent wusste, dass dies einer dieser Augenblicke war, die er für immer in seinem Gedächtnis behalten würde.

Eine dieser Nächte, in denen alles perfekt ... aber auch ... vergänglich war.

Sie war der Wind ... und im Grunde war dies nur die Ruhe ... eh der Sturm eintreffen würde.

Lass uns kurz für immer bleibenWhere stories live. Discover now