Zwischen Flammen und Schatten

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Manchmal, wenn die Nacht still ist und die Sterne wie Augen auf uns herabblicken, erzähle ich die Geschichte meiner Herkunft. Es ist eine Geschichte, die mit Feuer begann und in der Dunkelheit endete. Eine Geschichte, die anders nicht hätte geschehen dürfen – oder können. Ich bin Miyu, geboren aus dem seltsamen Tanz zweier gegensätzlicher Welten.

„Erzählt uns von ihnen, Miyu!", ruft ihr manchmal. Also setze ich mich hin, lausche dem Flüstern des Windes und spüre, wie die alten Erinnerungen wieder erwachen.

Meine Mutter war ein Oni-Krieger. Stark, furchtlos und voller Wut gegen das Unrecht der Welt. Sie war die Art von Oni, die selbst die Götter zittern ließ, wenn ihre Hörner glühten und das Feuer aus ihren Händen schlug. Man nannte sie Akira, was „das Licht" bedeutet, doch für ihre Feinde war sie der Schatten, der keine Rückkehr duldete. Sie konnte sich gegen das mächtigste Feuerwesen behaupten, und ihr Blick allein reichte aus, um die tapfersten Krieger zu Boden zu zwingen. Akira war das Herz ihres Clans – der Wille und das Feuer, das selbst den dunkelsten Abgrund durchdringen konnte.

Mein Vater hingegen war ein Schattenwolf – ein Wanderer zwischen den Welten, eine Legende unter den Nachtwesen. Raiku nannte man ihn, und seine Schritte waren lautlos wie das Fallen der Nacht. Sein Fell war dunkel wie die tiefsten Schatten, und er konnte zwischen Licht und Dunkel verschwinden, wenn es ihm beliebte. Die Schatten waren seine Verbündeten, und das Geheimnis der Nacht lag in seinen Augen. Raiku war der Wächter der Dunkelheit, ein Wesen, das dem Licht stets entkam, um das Unbekannte zu erforschen.

Sie trafen sich an einer Grenze, die nie überschritten werden durfte.

Es war in einer sternenlosen Nacht, an der Grenze zwischen dem Reich der Oni und der geheimnisvollen Welt der Schattenwölfe. Der Mond war verborgen, und meine Mutter, Akira, hatte ihre Schritte weit in die Welt der Schatten gewagt. Die Legende besagt, dass Oni und Schattenwölfe sich nie begegnen sollten – ihre Kräfte wären wie Feuer und Wasser. Und doch hatte Akira, trotzig wie immer, das Verbot missachtet, getrieben von einer Suche, die selbst ihr unbekannt war.

Raiku hatte sie schon aus der Ferne gespürt, wie ein Glühen, das gegen die Nacht ankämpfte. Er sah, wie sie ohne Zögern voranschritt, selbst die Schatten ihrer eigenen Flammen nicht fürchtend. Sie leuchtete in der Dunkelheit wie eine Flamme, die nicht vergehen würde, und obwohl er der Wächter der Nacht war, konnte er seinen Blick nicht abwenden.

„Was suchst du hier, Feuerwesen?" sollen seine ersten Worte an sie gewesen sein, als er lautlos aus den Schatten trat.

Akira erstarrte, ihre Augen glühten auf, und ich stelle mir vor, wie sie ihre Hand an die Waffe legte, bereit, sich jedem entgegenzustellen, der sie stoppen wollte.

„Nichts von Bedeutung für dich, Schattenwolf," entgegnete sie, ihre Stimme wie das Knacken von brennendem Holz. „Oder willst du mich aufhalten?"

Aber Raiku schüttelte den Kopf. Er war das Dunkel, das keine Flamme fürchten konnte, und er wusste, dass Akira so schnell nicht verschwinden würde. Also ließ er sie ziehen. Und doch kam es dazu, dass er sie immer wieder traf, jede Nacht an einem anderen Ort, an dem das Reich der Oni in das Schattenreich überging. Sie tauschten Worte aus, die wie ein Tanz der Gegensätze waren: Feuer gegen Schatten, Glühen gegen Stille. Es war, als ob sich ein unausgesprochenes Band zwischen ihnen zu formen begann.

Jede Nacht wurde ihre Begegnung intensiver, und selbst der Mond begann wieder zu leuchten, als ob er auf ihre Treffen blickte. Ihre Welten berührten sich, die Grenze zwischen Schatten und Flamme verschwamm, und eine Kraft entstand, die sie beide nicht erklären konnten. Es heißt, dass das Herz eines Oni aus Flammen besteht und das eines Schattenwolfs aus Stille, und doch schien es, als könnten sie beide ein einziges Herz schlagen lassen, wenn sie zusammen waren.

So, zwischen Dunkelheit und Licht, Schatten und Feuer, entstand das, was mich schließlich in die Welt brachte.

Doch meine Geburt war nicht ohne Preis. Die alten Oni und die Schattenwölfe sahen es nicht gern, dass zwei Welten sich vermischten. Sie sagten, meine Existenz sei ein Fluch – eine Herausforderung für das Gleichgewicht, das immer gewahrt worden war. Ein Kind zwischen Flammen und Schatten würde das Gefüge der Welten erschüttern.

Aber meine Eltern glaubten nicht an solche Prophezeiungen. Für sie war ich nicht der Fluch, sondern das Geschenk, das sie vereinte, und die Bestimmung, die sie nie erwartet hatten. Also gaben sie mir einen Namen, Miyu – „Der, der das Licht und die Dunkelheit eint".

Nun kennt ihr meine Geschichte. Ich bin Miyu, geboren aus dem unmöglichen Band zwischen einem Oni und einem Schattenwolf. Ich habe die Fähigkeit, meine Form zu wechseln, den Ruf des Mondes und die Glut der Flammen in mir zu spüren. Und meine Reise ist noch längst nicht zu Ende.

Die letzte SchattenflammeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt