Im Gefängnis

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Wir hätten uns viel Leid und Zeit erspart, wäre ich in der Lage gewesen, mich deutlich in der Sprache meines unfreiwilligen Gastgebers zu artikulieren. So jedoch blieb uns nichts anderes übrig als ein sinnbefreiter verbaler Austausch, der an den Nerven zerrte und zu keinem Ergebnis führte.

Nachdem Thranduil gefühlt zum zwanzigsten Mal gefragt hatte, wie ich in den Düsterwald gelangt war, und ich ihm auf dieselbe Weise wie auch zuvor geantwortet hatte, schien er allmählich die Fassung zu verlieren. Abermals wollte er wissen, ob weitere Menschen gedachten, anzurücken. Erneut verneinte ich und versicherte in Satzbruchstücken, dass ich eigentlich das Auenland besuchen wollte und an einem falschen Ort gelandet war.

Wir waren beide zermürbt. Ich mehr als er, denn ich hatte kaum etwas gegessen, starb vor Durst und hatte Heimweh. Gleichzeitig bemühte sich mein Verstand, Körper und Geist heil aus dieser misslichen Lage zu befreien. Es war der Ring, der mich hergebracht hatte. Daran zweifelte ich mittlerweile nicht mehr. Denn der Baumwolle oder meinen Flauschschuhen wohnte bestimmt keine Magie inne, die zu so etwas fähig war. Diese Erkenntnis schenkte mir einen neuen Energieschub, der mir ein Stück Selbstvertrauen zurückgab.

„Bitte, gebt mir meinen Ring zurück, König", sprach ich. Dank der Ermattung hatte meine Angst vor ihm einen Dämpfer bekommen. Stattdessen drängte sich Ungeduld an die Oberfläche. „Es war ein Geschenk meiner Mutter."

Seine Lippen wellten sich, als formte die Zunge hinter den Zähnen bereits Worte. Er lächelte süffisant. „Der Ring brachte Euch her?"

Ja, nein, vielleicht? Ich verweigerte ihm die Antwort, weil ich ahnte, dass sie so oder so gegen mich verwendet werden konnte.

„Wie ist es Euch gelungen, ihn zu benutzen?"

Ich fixierte eine Kerbe auf dem Tisch.

„Ihr wollt nicht reden. Dann werdet Ihr auf ihn verzichten." Mit raschelnden Kleidern erhob er sich, warf mir einen Blick zu und drehte sich um. „Sperrt sie ein. Möglicherweise will sie morgen reden. Vielleicht aber auch erst nächsten Monat oder nächstes Jahr."

Ein kalter Schauer rann mir über den Rücken. Verdammt! Es gab kein Entrinnen.

Man brachte mich ins hausinterne Gefängnis weit ab von den Inseln, dorthin, wo die Finsternis regierte. Meine fensterlose Zelle beinhaltete immerhin eine Schlafstatt mit etwas Kissenartigem und einer Decke, die dünner als eine Bluse aussah. Wenigstens war die Matratze bequemer, als befürchtet, stellte ich fest, als ich mich niederließ.

Ich formte Fäuste und boxte in die Luft. Dieser Mistkerl! Er hatte mich bestohlen, eingesperrt und auf Diät gesetzt. Dabei gehörte ich zu jener Sorte Mensch, die nur dann keinen Bissen runterbekam, wenn sie in großer Trauer war oder unter Schock stand. Nichts davon traf hier zu, auch wenn mich der Weltenwechsel überrumpelt hatte.

Mein Magen knurrte so sehr, dass ich geneigt war, mir ein Stück der Decke in den Mund zu stopfen.

Doch dann erbarmte sich jemand meiner, und eine junge Elbin brachte mir unter Aufsicht zweier, bewaffneter Elben Essen. Ausgehungert, wie ich war, verschlang ich die mit Quinoa-ähnlichem, frischem Gemüse mit leichter Würze gefüllten Blätter gierig und trank dazu süßlichen Beerensaft. Sobald ich meinen Krug geleert hatte, bedeutete sie mir, ihn ihr zu reichen, und kehrte mit einem vollen zurück.

Sobald ich zu Ende gegessen hatte, reichte ich ihr das Tablett und bedankte mich in ihrer Sprache, weil ich nun mal so erzogen worden war. Im schwachen Licht, das durch mein Gitter fiel, sah ich, wie die Elbin überrascht die Augen aufriss und mit einem Mal unruhig wurde. Ein Lächeln huschte über ihre Lippen, ehe sie sich umdrehte und aus der Zelle verschwand. Vermutlich kam es nicht so oft vor, dass die Gefangenen Dank aussprachen. Dabei konnte sie nichts dafür, dass wir hier drin festsaßen. Sie machte nur ihren Job.

Sie hatte nur wenige Schritte zurückgelegt, als ich ihre glockenhelle Stimme und die eines Elben vernahm, zwei Melodien, die ungleicher nicht sein konnten. Schließlich verstummten sie und ich zog mich wieder aufs Bett zurück.

Ich nahm die Gestalt aus einem Augenwinkel heraus wahr, die draußen vor meiner Zelle herumgeisterte. Fast wünschte ich mir, er hätte sich mir nicht gezeigt. Doch Legolas konnte nicht anders. Er musste mich aus gebührender Distanz betrachten, die seltsame Fremde in einem merkwürdigen Aufzug. Der Blick, der an mir haftete, wenn er verstohlen zu mir herübersah, ging mir durch Mark und Bein. Er war nicht der verständnisvolle, hilfsbereite und wohlgesonnene Legolas, der er im Laufe der nächsten Jahrzehnte werden würde. Dieser Elb war wenig herzlich, er war rau und voller schäumender Energie und scharf darauf, seine Kräfte mit anderen zu messen.

Erst nachdem er gegangen war, konnte ich mich entspannen. Ich zog die Hausschuhe aus, die Beine an und legte die Arme um sie, um mich vor- und zurückzuwiegen.

Irgendwo warf sich jemand gegen die Gitterstäbe in der verzweifelten Hoffnung, aus dem Gefängnis herauszubrechen. Da mir die Schmiedekünste der Elben bekannt waren, kam ich nicht einmal auf den dummen Gedanken, die Stäbe beschädigen zu wollen. Womit denn auch? In meiner Zelle befand sich eine Waschecke, ein Nachttopf und mein Bett. Auch hatte es keinen Sinn, sich durch die Stäbe zu quetschen. Das würde höchstens eine Katze schaffen.

Je mehr Zeit verstrich, desto lauter wurden die Gesänge der Mitgefangenen. Klagelieder ertönten in den Hallen und wurden von den Wänden zurückgeworfen. Ich legte mich unter die Decke, zog sie mir bis zum Kinn hoch und krümmte mich. Kummer kroch in mein Herz und taucht es in Finsternis. Ich hatte an diesem Tag so viel geweint, dass die Tränen für den Abend nicht mehr reichten. Das alles fühlte sich wie ein surrealer Traum an. Doch gleichzeitig war alles so echt, dass ich keinen Grund fand, an meinem Verstand zu zweifeln.

Hetty. Mein Herz zog sich krampfhaft zusammen. Meine Tante würde versuchen, mich heute anzurufen. Denn sie wusste, welcher Tag heute war. Sie würde mich nicht erreichen und es deshalb morgen wieder versuchen und übermorgen, bis sie sich vor Sorge an die Polizei wenden würde. Ich vermisste sie schmerzlich und hatte Angst, dass sie den zweifachen Verlust, den Tod ihrer geliebten Schwester und dem Verschwinden ihrer Nichte, nicht verkraften würde.

Die Weltenwanderin I - In Thranduils ReichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt