Eine Freundin

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Thranduil ließ mich länger als eine Woche in meiner Zelle schmoren. Das wusste ich so genau, weil ich täglich einen Strich in meine Wand mit einem spitzen Steinchen kratzte. Während er sich nicht blicken ließ, schlich Legolas um die Zelle herum wie ein Schatten und warf mir von Zeit zu Zeit verstohlene, unheimliche Blicke zu. Vermutlich beunruhigte es ihn, dass jemand aus einem Paralleluniversum in seine Welt gelangt war. Da er mich nicht einschätzen konnte, behielt er mich im Auge.

Doch schlimmer als Legolas' Präsenz waren die beinahe täglichen Zoobesucher – männliche und weibliche Elben, die sich vor meiner Zelle herumtrieben und hineinstierten. Manche musterten mich mit einem Anflug von Neugier. Dann gab es jedoch auch diejenigen, die ihre Abneigung und Verachtung mir gegenüber nicht verbergen konnten. Diese waren in der Überzahl. Sie blieben nicht lange, doch ihre Blicke brannten auf meiner Haut wie heiße Sonnenstrahlen.

Sie ließen mich spüren, wie widerlich sie mich fanden, mich, die Frau mit dem gefärbten, verfilzten Haar, dessen dunkler Ansatz sich zeigte, mit den ausladenden Hüften, der großen Oberweite und dem Zuviel von Haaren an den Armen und mehr Kilos am Leib als nötig. In meiner Welt war ich Durchschnitt, doch in ihrer kam ich mir wie ein Walross vor. Gleichzeitig entwickelte ich eine Aversion gegen die meisten von ihnen, gegen ihr langweiliges, perfektes Erscheinungsbild, gegen ihre arroganten Augen, das scheinbar tadellose Benehmen und das lange Haar, das sie stets offen und so unfassbar langweilig trugen.

Zu den Ausnahmen, die ich nicht verabscheute, zählte die junge Nessa. Sie war mein Lichtblick des Tages, denn sie verlor zunehmend ihre Scheu vor mir und ließ sich zu einem Plausch hinreißen. Bald hatte ich erfahren, dass sie bereits in dritter Generation am Hof diente und hoffte, eines Tages die königlichen Gewänder entwerfen zu dürfen, dass ihre Eltern nicht weit vom Düsterwald lebten und ihren Bruder darauf vorbereiteten, ebenfalls bald im Palast zu arbeiten.

Wenn sie vom König oder seinem Sohn sprach, färbte zarte Röte ihre Wangen, und ich konnte nicht anders, als zu schmunzeln. Ihre Schwärmerei war nachvollziehbar. Zudem erschien sie mir für eine Elbin noch recht jung, weshalb sie einem gutaussehenden Elben bestimmt leicht verfiel. Mir jedoch als einer Frau mit gewisser Erfahrung genügte es längst nicht mehr, einen attraktiven Mann vor mir zu haben, um mir Schmetterlinge im Bauch zu bescheren.

Dank Nessa verbesserte sich mein Elbisch rasant. Gleichzeitig verwarf ich endgültig den Plan, sie als Instrument für meine Flucht zu benutzen. Ich mochte das Mädchen und wollte es nicht in etwas reinziehen, was es Kopf und Kragen kosten würde.

Eines Nachmittags hatte Nessa etwas Zeit freigeschaufelt und leistete mir Gesellschaft.

„Für dich." Ich hielt ihr mein Armband durch das Gitter hin.

Ihre Augen wurden riesig. „Wieso?"

„Für den Kamm, die Zahnbürste, die Extraportionen von Leckerem ...", antwortete ich und ergänzte in Gedanken: Für deine Gesellschaft.

„Ich kann nicht ..."

„Ich weiß, du magst es."

Nessa zögerte und zauderte. Schließlich nahm sie das Armband an. Fast könnte man meinen, sie hätte ein sündhaft teures Diamantencollier in der Hand, so, wie sie darüber staunte und es ehrfürchtig von allen Seiten betrachtete.

„Woraus ist es?"

„Tigerauge", sagte ich auf Englisch, weil ich das Wort dafür nicht kannte.

„Oh", entfuhr es ihr. Rasch steckte sie es ein, als fürchtete sie, die Wachen würden es ihr auf der Stelle entreißen. Doch die machten keine Anstalten, sich zu rühren.

Leise seufzte sie und ließ die Schultern sinken. „Ich wünschte, ich könnte es auf dem Herbstball tragen."

Dass es nicht ratsam war, ein Ding aus einer anderen Welt, geschenkt von einer Gefangenen, zur Schau zu stellen, leuchtete uns beiden ein. Deshalb hakte ich nicht weiter nach, sondern erkundigte mich nach dem Fest.

„Er findet in wenigen Tagen im großen Saal statt." Sie geriet ins Schwärmen. „Alle Elben von hohem Rang werden anwesend sein. Aber auch einige von uns dürfen sich unter die Gäste mischen."

Ein Blitz zuckte durch meine Eingeweide. Ich witterte Freiheit. Thranduil den Ring abzuluchsen, glich einem sinnbefreiten Unterfangen. Wenn es mir jedoch gelang, das nächste Menschendorf zu erreichen, hätte ich den Hauch einer Chance, anderen Wesen zu begegnen: einem Magier. Dem einzig wahren, der über immense Macht verfügte.

Es würde zwar Monate dauern, Gandalf zu finden, aber es war nicht unmöglich. Davon abgesehen war alles besser, als hier im Gefängnis zu versauern. Ich müsste es nur irgendwie einfädeln, eingeladen zu werden.

Nur wie?

Die Gelegenheit bot sich noch im Laufe derselben Stunde. Nessa und ich spielten ein Reaktionsspiel, das ich ihr beigebracht hatte. Die Hände hielten wir auf gleicher Höhe, die Innenflächen aneinandergedrückt, und versuchten, die gegnerische Handoberfläche zuerst zu erwischen. Nessas Reflexe waren nicht schlecht, aber auch ich landete ein paar Treffer.

Als wir uns zur selben Zeit auf die Hände klatschten, lachten wir beide auf einmal laut auf.

„Das war nicht fair", rief Nessa lachend und rieb sich die getroffene Stelle.

„Musst du gerade sagen. Revanche?"

„Auf jeden Fall!"

Aber da tauchten Thranduil und Legolas in meinem Sichtfeld auf. Wie von einer Wespe gestochen sprang Nessa auf, verbeugte sich vor Vater und Sohn und trat zur Seite, sodass beide in meine Zelle hineinschauen konnten. Da ich mich trotz meines Gefangenenstatus an die hiesigen Gepflogenheiten hielt, verbeugte ich mich ebenfalls. Thranduil präsentierte sich in gewohnter, kühler Eleganz, während Legolas abermals recht gruselig rüberstarrte. Ich war ihm wohl noch immer nicht ganz geheuer.

„Wie ich sehe, gefällt Euch Euer Aufenthalt in meinen Hallen", sprach Thranduil und blickte wie gewohnt von oben auf mich herab, indem er das Kinn nach oben reckte.

Ich unterdrückte den Impuls, mit den Augen zu rollen, und zuckte stattdessen mit den Schultern. „Es gibt unangenehmere Flecken."

Er und Legolas tauschten ein paar Worte.

„König Thranduil", begann ich in einem versöhnlichen Ton und lächelte. „Mir ist zu Ohren gekommen, dass Ihr einen Ball veranstaltet. Zu gern würde ich daran teilnehmen."

Er zog eine Augenbraue hoch. „Warum sollte ich es Euch erlauben? Werdet Ihr mir das Geheimnis des Rings verraten? Wenn ja, so lasst Euch gesagt sein, dass solch ein Geschäft nicht notwendig ist. Ich habe andere Wege und Mittel, Euch die nötigen Informationen zu entlocken."

Himmel! Ein einfaches Hier kommste nicht rein hätte auch genügt!

„Ach, ich habe viele wundervolle Geschichten über Eure rauschenden Feste und den vorzüglichen Wein gehört", flötete ich. „Wie gern wäre ich selbst Gast auf einem Eurer Feste!"

Thranduil lächelte nicht überheblich wie sonst, sondern mild, als erinnerte er sich an Momente, die ihm Heiterkeit beschert hatten. Schon verblasste das Lächeln, und er wandte den Kopf zur Seite. „Es besteht für Euch kein Grund, zu feiern."

Vater und Sohn schritten davon. Nessa trat an mein Gitter.

„Lass den Kopf nicht hängen."

„Tu ich nicht." Ich knabberte nachdenklich an der Unterlippe. Mir würde bestimmt etwas anderes einfallen, um hier rauszukommen. Schließlich mangelte es mir nicht an Fantasie oder Zeit.

Als abends jedoch eine Schneiderin kam, um Maße zu nehmen, staunte ich nicht schlecht. Nessa leistete ihr Gesellschaft und ging ihr zur Hand, begierig darauf, so viel wie möglich von ihr zu lernen.

„Warum macht Ihr das?", fragte ich verdutzt.

Die Schneiderin, die meine Beinlänge erfasste, blickte zu mir hoch und entgegnete: „Weil es der König befohlen hat."

Die Weltenwanderin I - In Thranduils ReichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt