*1 - Sweet 16*

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Acht Jahre später

"Noch fünf Minuten, dann wirst du sweet 16, Scar!", das leicht verpixelte Gesicht von Jenny grinste mir auf dem Bildschirm entgegen. Seufzend richtete ich mich auf meinem Bett auf und zog den Laptop auf meinen Schoß. "Ich wünschte, du könntest hier sein.", traurig lächelnd strich ich mir eine Strähne meiner kupferfarbenen Haare aus dem Gesicht. "Seit wir zehn sind, träumen wir von diesem Tag.", fügte ich etwas wehmütig hinzu. Ohne sie war es einfach nicht so, wie ich es mir immer erträumt hatte. Wie wir es uns immer erträumt hatten. "Ich weiß und es tut mir so leid, dass ich nicht hier sein kann.", ebenfalls mit einem traurigen Lächeln im Gesicht, fuhr Jenny fort. "Es ist schrecklich ohne dich, aber ich verstehe, dass mein Vater den Job annehmen wollte. Kommst du mich bald besuchen? Dann machen wir zusammen Chicago unsicher! Noch vier Minuten, dann ist bei dir Mitternacht.", jetzt umspielte ein leichtes Lächeln ihre Lippen. Gott, ich vermisste meine verpeilte beste Freundin einfach so sehr. Zwar war das Bild etwas verzögert, aber ich sah genau, wie sie augenblicklich auf ihr Handy schaute, als es einen Nachrichtenton von sich gab. "Ist sie von Mike?", neckte ich sie und trotz der leichten Dunkelheit, welche in ihrem Zimmer herrschte, meinte ich zu sehen, wie sie ein kleines bisschen rot um die Nase wurde. "Er fragt, ob wir uns morgen treffen können."

"Ich gebe zu, ich bin etwas neidisch.", seufzte ich und zwinkerte ihr durch den Bildschirm zu. Ich war es wirklich, denn während sie einen Fast-Freund hatte, hatte ich eigentlich gar keinen Kontakt zu Jungs. Traurig, aber wahr, denn ich war einfach die totale Null. "Noch zwei Minuten!", grinste Jenny und legte sich auf den Bauch. "Ich ignoriere jetzt einfach mal deinen jämmerlichen Versuch, das Thema zu wechseln, solange du mir morgen nach deinem Date alles erzählst!", grinste ich etwas aufgesetzt. Meine Stimmung war so ziemlich im Keller. Genervt wandte sie den Blick ab. "Versprochen.", grummelte sie, doch ich hörte das Schmunzeln aus ihrer Stimme heraus. "Und wann und wie feierst du eigentlich?", wechselte sie erneut geschickt das Thema. Spöttisch lachte ich auf, obwohl meine momentane Situation alles andere als belustigend war. "Mit wem denn? Mit Mary und Josh? Vergiss es, dazu sind wir nicht gut genug befreundet." Tatsächlich hatte ich niemanden, mit dem ich meinen sechzehnten Geburtstag feiern konnte. Die einzigen Personen, mit denen ich etwas zu tun hatte und mit denen ich auch klar kam, waren Mary und Josh. Jedoch war dies nur auf die Schule bezogen, was wohl daran lag, dass wir alle totale Außenseiter waren. Wir hatten uns von den anderen distanziert. Wir kamen schon mit unseren Mitschülern klar, jedoch setzten wir nichts daran, uns groß mit ihnen anzufreunden. So hatte ich mir das definitv nicht vorgestellt, als ich kleiner war, aber ich musste in letzter Zeit eh oft genug feststellen, dass eigentlich nichts so war, wie ich es mir damals vorgestellt hatte. Jämmerlich, armselig, wusste ich, doch was konnte ich schon dagegen tun? Genau, nichts. Einmal ein Außenseiter, immer ein Außenseiter.

"Lad doch ein paar Mädchen aus deiner Klasse ein, die würden bestimmt kommen.", erwiderte Jenny und lächelte mich aufmunternd an. Ich seufzte. "Die würden vielleicht kommen, aber im Prinzip juckt sie das nicht. Es ist ihnen egal, dass es mein Geburtstag ist, ich bin ihnen egal." "Aber-", Jenny versuchte mir zu widersprechen doch ich ließ sie nicht ausreden. "Lass gut sein. Ich bin seit genau einer Minute 16, mir kannst du nichts mehr sagen.", grinste ich, nun tatsächlich etwas glücklicher und sah, wie meine beste Freundin geschockt auf ihre Armbanduhr schaute und sich überfordert die Haare raufte. "Happy Birthday, Sweetheart!!", kreischte sie wenig später und hielt einen flauschig aussehenden Teddybär in die Kamera, auf welchem "Sweet 16" stand. Unweigerlich musste ich anfangen zu lachen. "Ich wünschte, ich könnte dich grade umarmen.", hauchte ich mit schwacher Stimme und wischte mir eine Träne von der Wange. Jenny fehlte mir einfach so sehr und das grade hatte mir einfach den Rest gegeben. "Jetzt fang doch nicht an zu heulen! Da warte ich extra für dich mit dem Essen und du fängst an los zu flennen!", regte sie sich gespielt auf und stemmte die Hände in die Hüften. Ein trauriges Grinsen schlich sich auf meine Lippen. "Ich hab dich lieb, Jen.", hauchte ich dann und zog den Laptop ein Stück näher an mich heran, wollte das Gesicht meiner einzigen Freundin noch einmal von Nahem sehen. "Ich dich auch, Scar. Ich dich auch.", und dann hauchte sie zum Abschluss noch ein Küsschen in die Webcam. Nun war ich wieder auf mich alleine gestellt.

Am nächsten Morgen fühlte ich mich kein Stück anders als zu vor. Es war kalt draußen, es regnete. Typisch für den Dezember. Enttäuscht schob ich die Vorhänge wieder vor mein Fenster. Das einzige, was ich mir wirklich gewünscht hatte, war Schnee. Unmotiviert zog ich mich an und band meine langen Haare im Nacken zu einem lockeren Pferdschwanz zusammen. Für heute war nichts Besonderes geplant, ich würde nur ein wenig Zeit mit meinen Eltern verbringen, sonst nichts. Laut polterte ich die Holzstufen herunter und als ich die Küche betrat, wurde ich direkt von meinen breit grinsenden Eltern begrüßt. "Happy Birthday, Scarlet!", riefen sie laut und automatisch musste ich grinsen. Doch während ich die Kerzen auf meinem Schokokuchen auspustete, verflog jegliche Art von Aufregung. Es war komisch, sonst freute ich mich immer tierisch über meine Geschenke, doch dieses Jahr war es anders. Vielleicht lag es daran, dass Jenny sonst hier war und mit uns feierte, vielleicht war es aber auch diese leichte Vorahnung, dieses leichte Unbehagen, das mich stutzig werden ließ. Ich war nicht nur älter geworden, irgendetwas Grundlegendes hatte sich verändert. Und ich hatte keine Ahnung was es war.

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