*4 - My Personal Hell*

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Der folgende Dienstag war nicht, wie jeder andere zuvor. Anstatt alleine durch die Schule zu laufen und von allen Seiten komische Blicke ertragen zu müssen, das bildete ich mir zumindest ein,  hielt Jade mir im Englischkurs einen Platz neben sich frei und begrüßte mich mit einer engen Umarmung, welche ich nur zu gerne erwiderte. Ich war unglaublich froh, endlich nicht mehr alleine zu sein, es war wie ein Neuanfang und den konnte ich, bei Gott, wirklich gebrauchen.  Zum Mittagessen trafen wir uns in der Cafeteria und setzten uns an den selben Tisch, wie am Vortag. Wir hatten schon eine Weile gegessen, als ein Mädchen aus der damaligen Paralelklasse fragte, ob sie sich zu uns gesellen durfte und natürlich nahm Jade sie sofort freundlich lächelnd auf.  Ihr Name war Mandy und sie und Jade schienen sich von Anfang an gut zu verstehen. Ich dagegen hielt mich zunächst etwas im Hintergrund und sagte  nur etwas, wenn eine der beiden mich ansprach.  All das lief die nächsten Tage genauso und am Ende der Woche war es bereits zur Gewohnheit geworden, dass Jade und Mandy mich morgens am Schultor erwarteten und wir zusammen das Gebäude betraten. Mandy war ziemlich aufgedreht, ein einziges Energiebündel und ich begann mich immer besser mit ihr zu verstehen, was mich zunächst etwas überraschte, mich später aber umso glücklicher machte. Generell passten wir drei gut zusammen, wie ich fand. Ich, die Ruhige, Stille, Jade, die Vernünftige und Mandy, die Aufgedrehte. Wir hatten sogar recht viele Kurse zusammen, da in diesem Schuljahr unsere Stufe aufgeteilt wurde und alle. Es gibt keine richtigen Klassen mehr, sondern nur noch Kurse und erst hatte ich Angst davor gehabt, doch mittlerweile gewöhnte ich mich immer mehr daran. Zufälliger Weise und zum Glück, hatten Jade, Mandy und ich fast alle Kurse gleich belegt. Nur einen einzigen hatte ich alleine. Chemie, eines meiner Hassfächer, doch der Chemiekurs war recht ruhig und unkompliziert, weswegen das für mich in Ordnung ging. Ansonsten hatte ich jedes Fach mit den beiden, was mir mehr als nur Recht war, denn so blamierte ich mich nicht ständig dadurch, dass ich, wie vorher, alleine rum lief und saß. In der Gegenwart von Mandy und Jade würde mir keiner mehr doofe Blicke zuwerfen, oder hinter hervor gehaltener Hand über mich lästern. Hoffte ich jedenfalls.

Am folgenden Wochenende stellte ich mich wieder auf die Waage und durfte erfreut feststellen, dass ich ein ganzes Kilo abgenommen hatte. Ich musste zwar auf sämtliche Süßigkeiten verzichten, aber das war es mir wirklich wert. Wenn Mandy und Jade in der Schule Süßigkeiten gegessen und mir etwas angeboten hatten, fragten sie mich immer, warum ich denn keine essen würde, doch ich konnte sie abwimmeln, indem ich einfach behauptete, nicht so auf Süßigkeiten zu stehen, was leider nicht ganz der Wahrheit entsprach, aber ich musste meinen inneren Schweinehund besiegen.

Dem Anfang der nächsten Woche stand ich zum ersten Mal positiv entgegen. Es war anders, nicht wie sonst. Alles hatte sich geändert und ich war unglaublich froh darüber. Ich hatte jetzt Jade und Mandy, die jeden Tag vor der Schule auf mich warteten, ich hatte ein wenig abgenommen und das Wichtigste: Ich war durch Mandy und Jade endlich nicht mehr allein. Das einzig Blöde war, dass ich seit einer Woche schon nichts mehr von Jenny gehört hatte. Nach ihrem Umzug hatten wir eigentlich so gut wie jeden Tag miteinander geschrieben, oder geskypt, deswegen wunderte es mich, dass sie weder auf meine Nachrichten antwortete, noch meine Anrufe auf Skype annahm, wenn sie online war. Ich wollte auf keinen Fall den Kontakt zu ihr verlieren und ich hoffte, dass es ihr genauso ging, doch langsam bekam ich das Gefühl, dass ich ihr nicht mehr so wichtig war, wie vor ihrem Umzug.

"Hey Leute.", begrüßte ich Jade und Mandy am frischen Montagmorgen mit einem schüchternen Lächeln.  "Hey, Scar." Jade lächelte mich liebevoll an und nahm mich einmal kurz in den Arm, dann wurde ich von Mandy gedrückt. Es wehte ein kalter Wind und mir war etwas kalt, also zog ich meinen Schal ein wenig enger, als wir den Schulhof überquerten. Und erneut fielen mir die komischen Blicke der anderen auf und erneut fühlte ich mich beobachtet. "Sag mal, bilde ich mir das nur ein, oder starren uns alle wirklich so an?", fragte ich zaghaft meine beiden neuen Freundinnen, als mir die Situation langsam unangenehm wurde. Mandy atmete hörbar erleichtert aus. "Oh Gott, ich dachte schon, ich wäre die Einzige, diedenkt, sie würde angestarrt werden!", kicherte sie. "Sie beobachten uns, weil sie auf einen Fehler von uns warten, oder das irgendetwas passiert. Davon ernähren sie sich, von den Missgeschicken anderer.", verächtlich schnaubend beschleunigte Jade ihre Schritte, ihr Kopf war hoch erhoben, es schien sie gar nicht zu stören. Leider störte mich so etwas ungemein, ich hatte regelrecht den Druck, alles perfekt zu machen, perfekt auszusehen, ihnen bloß nichts zu bieten. Rasch senkte ich den Kopf, als ich merkte, wie wir erneut angestarrt wurden. Fast wäre ich über meine eigenen Füße gestolpert, als ich Jade hinterher eilte, die mit schnellen Schritten über den Schulhof stapfte.

"Leute? Was haben wir jetzt?", Mandy guckte uns fragend an. Der Tag war ohne weitere unangenehme Situationen vergangen, Gott sei Dank. "Mathe.", antwortete Jade und schulterte ihre Tasche. Na toll, schlimm genug, dass es eines meiner Hassfächer war, aber noch viel schlimmer, wir hatten mit Nico zusammen Mathe. Nico war in meiner Klasse, bevor wir auf Kurse aufgeteilt wurden. Er war ziemlich von sich selbst überzeugt und schien niemanden zu mögen, außer seine Kumpels, welche eigentlich alle ganz ok waren. Okay, nicht alle von ihnen, aber es gab tatsächlich auch ein paar wenige Anständige unter ihnen. Ständig machte Nico jemanden runter, besonders Mädchen, als hätte er einen Hass auf sie. Aber ganz besonders gerne machte er natürlich mich runter. Mir wurde zwar so oft von meiner Mutter gesagt, dass ich nicht auf ihn hören sollte, doch leider war das nicht so leicht und es traf mich jedes Mal erneut, wenn er einen seiner doofen Sprüche auf mich abfeuerte. "Scar? Alles ok? Kommst du?", fragend und auch irgendwie besorgt musterte Jade mich. Rasch stopfte ich den Rest meiner Sachen in meine Schultasche und strich mir nervös eine Haarsträhne hinters Ohr. "Klar, lasst uns gehen." Schnell folgte ich Jade und Mandy hinterher aus dem Raum. Auf in meine ganz persönliche Hölle. Ich konnte es kaum erwarten, Sarkasmus ließ grüßen.

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