Kapitel 6: Kommt Zeit, Kommt Rat.

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Kommt Zeit, Kommt Rat. Von wegen! Oma's hatten zwar oft recht, aber dieses Sprichwort traf absolut garnicht auf meine Situation zu. Ich hatte so viel um die Ohren, dass ich über gar nichts nachdenken konnte. Dies holte ich dann am Wochenende nach. Wenn andere Paare schöne Dinge unternahmen, ausschliefen oder gemeinsam durch die Stadt schlenderten, lag ich im Bett - neben mir Thomas am schnarchen - und grübelte bis spät in die Nacht über mich und mein Leben. Fragen über Fragen, die sich immer wieder in meine Gedanken einbrannten. Was hab Ich wirklich? Bin ich wirklich so glücklich mit meinem Leben, so zufrieden, wie es immer schien? War's das? Nebeneinander her leben, Kinder kriegen, Haus bauen, arbeiten gehen? Für die nächsten 40 Jahre mit einem Mann an der Seite? Mit Thomas?

Ich zweifelte nicht nur an mir, nicht nur an Thomas, nicht nur an unserer momentanen Situation, sondern auch an all den Jahren Beziehung. War das wirklich alles? Ich konnte mich mit diesen Gedanken nicht zufrieden geben. Und das Schlimmste war - ich dachte ständig an Ben. Egal was ich mit Thomas unternahm, überall schoss es mir in den Kopf "Wie wäre es, wenn jetzt Ben an deiner Seite laufen würde?"

Ich wusste es wäre toll. Ich wäre glücklicher, zufriedener, zumindest mehr als mit Thomas. Eingestehen konnte ich es mir nicht, auch wenn ich es tief in mir drin wusste.
Mein letzter Gedanke am Abend war Ben. Der erste am Morgen - Ben.
Verdammt. Ich war gefangen in einem Labyrinth bei dem es keinen Ausgang gab, ohne dabei jemanden zurück zu lassen. Ich musste diese Gedanken verhindern. Ich musste auf Abstand gehen, Ben einfach aus dem Weg gehen, so wird es das Beste sein. Auch wenn es unheimlich schwer werden wird.

Gesagt getan. Ich stand zu meinem Wort, egal ob gegenüber Freunden, Familie, Kollegen oder auch mir. Was ich mir in den Kopf gesetzt habe, dass möchte ich auch durchsetzen. Manchmal kann es vorteilhaft sein einen Dickschädel zu haben. Wenn Gefühle ins Spiel kommen sieht es da anscheinend schwieriger aus....

Ich war felsenfest entschlossen das Ding durchzuziehen. Morgens beim Kaffee entgegnete ich ihm statt des sonst so freudigen "Guten Morgen" nur ein kühles "Morgen". Der erste kritische Blick traf mich.

Auf den Fluren hielt ich mich nicht lange auf. Kein Plausch mehr zwischendurch, Albereien, Späße. Einfach so tun, als wäre man schwer beschäftigt.

Telefonate, Mailaustausch oder Besuche bei ihm im Raum vermied ich so gut es ging. Stattdessen schmiss ich ihm kleine Infozettel in sein Postfach, um ihn nicht sehen zu müssen.

Ich verschob meine Pausen und ging nach Feierabend keine mehr mit ihm rauchen, sondern fuhr auf direktem Weg nachhause. Auf private Nachrichten von ihm reagierte ich nicht mehr. Ich vermied jeglichen Kontakt, stellte mich stur und kalt an.

Er wusste, dass ich so nicht bin. Er wusste, dass ich es nicht bin!

Über mehrere Wochen versuchte ich es knallhart durchzuziehen. Mit dem Ergebnis - Sehnsucht. Ich vermisste ihn schrecklich. Ich vermisste die Zeit mit ihm, sein Lächeln, unsere Gespräche, unsere Albereien - ich vermisste ihn! Und je mehr ich auf Abstand ging, desto schlimmer wurde die Sehnsucht nach ihm und die Annäherungsversuche von ihm. Ich wusste, dass ich es nicht ewig aushielt. Schon allein aufgrund der Tatsache, dass wir Arbeitskollegen waren und wohl oder übel miteinander kommunizieren und arbeiten mussten!

Also Omi, mag sein, dass mit der Zeit auch Rat kommt. Das dieser aber nicht immer erfolgreich ist, davon hattest du nichts erwähnt!

Der JokerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt