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Die kalte Nachtluft schlug Echèque ins Gesicht, als sie auf ihr Auto zulief. Das klackernde Geräusch ihrer Absätze auf dem kalten harten Asphalt hallte unangenehm laut in der Ferne wider. Mit jedem Schritt, der sie von diesem verfluchten Ort wegbrachte, der sie von all diesen Menschen wegbrachte, fiel ihr das Atmen leichter.
Es waren nicht mehr viele Menschen auf den Straßen vorzufinden. Die meisten von ihnen waren wieder in ihre Zimmer zurückgekehrt und schliefen ihre Räusche aus. Ein kurzer Blick auf ihre Armbanduhr verriet ihr, dass es schon nach drei Uhr wahr.
Es war ein neuer Tag angebrochen, der letzte hatte sich schon verabschiedet.
Ihre Angst jedoch nicht.
Echèque zwang sich, sich auf ihrem Weg zu Ihrem Wagen nicht dauernd herumzudrehen, trotzdem konnte sie einen leichten Seufzer nicht unterdrücken, als ihre Finger sich um den Türgriff schlossen.
Schnell hievte sie sich in ihren BMW und schauderte, als sie sich auf das kalte Lederpolster setzte. Ihre Tasche hatte sie schnell auf den Beifahrersitz geworfen. Zitternd starrte sie nach vorne und startete den Motor. Mit einer Geschwindigkeit, die für sie eher untypisch war raste sie an der Küste entlang über die leergefegte Straße und versuchte so viel Strecke wie möglich zwischen sich und ihrem einstigen Zuhause zu bringen. Etwas nostalgisch beobachtete sie im Rückspiegel, wie das prachtvolle Gebäude von der Ferne verschlungen wurde und die Lichter nach und nach erloschen.
Nun atmete sie erleichtert aus, aber gleichzeitig fühlte sie Schmerz. Und schon wieder plagte sie eine neue Frage.
Wohin fuhr sie? Doch im Moment störte sie das wenig. Sie wollte einfach nur weg.
Ihr war vollkommen bewusst, dass sie versuchte das Wesentliche auszublenden. Dass sie versuchte ihn auszublenden. Echèque versuchte den Kopf frei zu kriegen, doch es kam ihr so vor, als wäre er in ihren Gedanken immer präsent. Es ärgerte sie, wie sehr ihr der Gedanke Ohm fernzubleiben einen Stich versetzte. Und sie hasste sich dafür.
Wie konnte sie ihn immer noch so anziehend finden, wenn sie wusste, dass er ein Mörder war?
Mörder. Das konnte sie sich einfach nicht vorstellen. Die Angst war das einzige, was sie noch klar denken ließ.
Wer weiß, wie nahe sie dem Tod schob gestanden hatte. Er hatte die Klinge in den Händen. Er hätte jederzeit ihr Leben beenden können. Sie biss die Zähne zusammen.
Von nun an musste Echèque versuchen objektiv zu denken.
Sie fuhr immer weiter, die leere Straße entlang und versuchte ihre Gedanken zu ordnen. Schnell erhaschte sie einen Blick auf ein Straßenschild. Echèque war schon in Montreuil angelangt. Sie wusste selbst nicht, wie lange sie schon am Steuer saß und es interessierte sie auch nicht. Die Aufregung hielt sie wach. Jetzt zu schlafen wäre unmöglich.
Dennoch beschloss sie sich einen Ort zu suchen, an dem sie in Ruhe über alles nachdenken konnte. Sie musste einen Ort finden an dem sie eine Weile verbleiben könnte. Vorübergehend versteht sich.
Mittlerweile hatte sie sich überwiegend von ihrem Schock erholt und drosselte ihr Fahrtempo. Es wäre leichtsinnig, wie verrückt durch die Dunkelheit zu rasen und das eigene Leben zu riskieren.
Irgendwann machte sie auf offener Straße halt. Es machte keinen Sinn, so planlos weiterzufahren. Sie griff nach ihrer Handtasche, die auf dem Beifahrersitz lag und kramte nach der Straßenkarte, die sie eingepackt hatte. Nach einer Weile fiel ihr ein postkartengroßer Zettel auf, der unter ihrer Tasche gelegen hatte. Zögernd hob sie diesen auf und betrachtete ihn.
Es war ein Foto auf dem sich ein glückliches Pärchen, am Strand in den Armen lag und Echèque fröhlich entgegenstrahlte. Die Frau trug ein weißes Sommerkleid und hatte die Arme um den Hals des Mannes geschlungen. Mit zitternden Fingern strich sie über das Bild.
Es kam ihr plötzlich vor als sei es gestern gewesen, als sie dieses Foto hatten machen lassen.
Voller Angst und mit trockenem Hals blickte sie nun in das erste Paar stechend blauer Augen, denen sie verfallen war. Sie wagte es kaum mehr zu atmen.
Diese waren nicht wie Bonds gewesen. Nein, sie waren viel intensiver. Blauer, wenn man das überhaupt sagen konnte. Fast schon herausfordernd funkelten sie sie aus dem Foto heraus an.
Langsam strich sie über sein Gesicht. Über die außergewöhnlich ausgeprägten Wangenknochen, die vollen Lippen.
Doch in diesem Moment hätte sie ihm am liebsten das Lächeln aus dem Gesicht gewischt. Aus seinem wunderschönen Gesicht.
Früher hatte sie sein Lächeln über alles geliebt. Sie hatte ihn geliebt. Davon überzeugt, dass er die Liebe ihres Lebens war, war sie dem Klang seiner verführerischen Stimme überall hin gefolgt. In ihren Augen war er perfekt gewesen und wo er gewesen war, war sie glücklich. Doch dann hatte sie erkannt, dass er genauso falsch war, wie sein Lächeln. Dass er ein Lügner war, dass er nur mit ihr gespielt hatte. Dass er gefährlich war. An ihn zu denken schmerzte wie Dolchstiche in ihr ohnehin schon verletztes Herz.
Nein, Bond war nicht der einzige Mann gewesen, der ihr Herz gestohlen hatte. Jedoch hatte sie für ihn, obwohl sie sich wohl von ihm fernhalten musste und er sehr wahrscheinlich gefährlich war, noch Gefühle. Zu ihrem größten Bedauern.
Diese Gefühle standen jedoch ganz im Gegenteil zu denen, die sie für den blauäugigen Teufel empfunden hatte, der sie nach all den Jahren wieder terrorisierte. Natürlich konnte man nicht einfach aufhören jemanden zu lieben, wie sehr man es doch versuchte. Jedoch konnte Echèque ihm seine Taten nie verzeihen und sie wird sie ihm auch nie verzeihen. Wenigstens die Tatsache, dass sie, besonders jetzt, große Angst vor ihm hatte, machte es wesentlich einfacher nichts für ihn zu empfinden, außer puren Hass.
Jedoch würde sie lügen, wenn sie sagen würde, dass Bonds Erscheinung nicht dazu beigetragen hätte. Sie hätte nie gedacht, dass sie wieder solche Gefühle für jemanden entwickeln könnte. Anscheinend hatte sie nicht dazugelernt. Und nun konnte sie nicht einmal mehr ihm vertrauen. Wie war sie nur in diese Situation gelangt?
Während sie weiter das Foto betrachtete, realisierte sie, dass er auch in ihren Wagen eingebrochen war. Natürlich, dachte Echèque, er hatte ja auch die Mittel dazu. Und schon fragte sie sich voller Unbehagen, wie oft er das schon getan hatte. Wie oft er schon ihr Zimmer und ihren Wagen betreten hatte. Ob sein Atem ihre Wange gestreift hatte, während sie schlief...
Er hätte so leicht den Wagen sabotieren können. Sie im Schlaf ersticken können. Sie hätte nicht die geringste Chance gehabt.
Aber warum hatte er das noch nicht getan? Wenn er sie umbringen wollte, warum tat er es nicht einfach?
Möglicherweise aus dem selben Grund, aus dem Bond sie noch nicht umgebracht hatte. Sie wollten mit ihr spielen. Sie leiden lassen. Und abermals fragte sie sich, womit sie das verdient hatte.
Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Bond wie er war. Das war nicht möglich. Es ging einfach nicht.
Gedankenverloren drehte sie das Foto in den Händen und bemerkte, dass auf der Rückseite etwas geschrieben stand.

Chérie, ich mache mir Sorgen um dich. Du weißt doch genau, dass er kein guter Umgang für dich ist.

As Time Goes By - James Bond 007Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt