Einen kurzen Moment lang überlegte Echèque ihm zu folgen. Endlich herauszufinden, was er ihr verheimlichte.
Doch sie verwarf diesen Gedanken wieder.
Sie erinnerte sich daran, wie er ausgesehen hatte, als sie ihn vor Stunden angetroffen hatte. Mitgenommen.
Mit Blut verschmiert, jedoch nicht verletzt...
Diese Erinnerung verpasste ihr eine Gänsehaut.
Sie lief ungeduldig im Zimmer auf und ab und blickte unaufhörlich aus dem Fenster.
Und wenn es wieder so ein Besuch sein würde?
Wenn er wieder so mitgenommen zurückkehren würde?
Sie fühlte sich plötzlich ganz unwohl.
Wie sollte sie reagieren, wenn er diesmal verletzt zurückkam? Wann würde er zurückkommen?
Würde er überhaupt zurückkommen?
Echèque ließ sich langsam auf das Sofa sinken. Natürlich würde er zurückkehren, warum sollte er das nicht?
Es war nicht einmal eine halbe Stunde vergangen, nachdem er gegangen war. Jetzt kam es ihr lächerlich vor, dass sie sich Sorgen machte.
Er war ein erwachsener Mann. Und sie war sich sicher, dass er auf sich aufpassen konnte.
Sie bezweifelte, dass er sich vor etwas fürchtete. Es schien nichts zu geben, was ihn ängstigen könnte.
Es war schon sehr spät, als Echèque auffiel, dass sie noch nicht geschlafen hatte. Die Müdigkeit übermannte sie sofort und als ihr auffiel, dass sie heute Abend noch einen Auftritt hatte, beschloss sie sich ein wenig auszuruhen. Wie konnte sie das nur vergessen, sie trat fast jeden Abend auf. Es würde sich sicherlich nicht gut machen, wenn sie während des Singens gähnen müsste.
Sie machte sich auf den Weg ins Schlafzimmer, in der Hoffnung dort eine Decke zu finden, um im Wohnzimmer zu schlafen. Es war ihrer Meinung nach angebrachter auf dem Sofa zu schlafen. Was würde er nur von ihr denken, wenn er sie in seinem Bett vorfinden würde? Er würde es bestimmt verstehen, sie war ja immer noch ganz aufgelöst und der Gedanke hatte etwas Verlockendes...Jedoch wäre es jetzt das Beste, vernünftig zu bleiben, ermahnte sie sich.
Echèque trat hinein und überblickt das große Zimmer. Es sah ganz gewöhnlich aus. Sehr ordentlich.
Zu ordentlich. Nichts wies darauf hin, dass hier jemand wohnte. Doch sie schenkte dem keine größere Aufmerksamkeit.
Echèque machte den großen edlen Kleiderschrank auf und stellte sich auf die Zehenspitzen, um die große weiße Decke, die oben ordentlich gefaltet abgelegt war, herunterzuziehen. Im Schrank stand ein kleiner schwarzer Koffer. Er war verriegelt.
Mit einer schnellen Handbewegung riss sie die Decke aus der Ablage und sie fiel ihr in die Arme.
Sie zuckte von einem Geräusch zusammen. Ein Geräusch, was sie nicht zu hören erwartet hatte. Ein dumpfes Geräusch.
Vor lauter Schreck fiel ihr die Decke auf den Boden. Ihre Arme hatten nicht mehr genügend Kraft, um sie zu halten.
Echèque schlug sich die Hand vor den Mund, um nicht aufzuschreien. Kopfschüttelnd versuchte sie sich zu erklären, was vor ihr auf dem glänzenden Parkettboden lag.
Eine Pistole.
Eine schwarze Walther PPK 9, die sie bedrohlich anglitzerte.
Es bestand kein Zweifel. Diese Waffe gehörte ihm.Pass besser auf, auf wen du dich einlässt. Woher weißt du, dass er dich nicht verletzen wird?
Jetzt klangen diese Wörter für sie nicht mehr wie eine Drohung. Sie waren eine Warnung. Er wollte sie warnen?
Und das war nicht die einzige Warnung gewesen.Es ist besser, wenn Sie nichts darüber wissen.
Wie wahr. Er hat Recht gehabt. Bond selbst hatte sie tatsächlich gewarnt.
Ihr Leben war so viel einfacher gewesen, bevor sie ihn kennengelernt hatte. Dabei kannte sie ihn gerade einmal ein paar Tage.
War das also der Beruf gewesen, über den er nicht hatte reden wollen? War er ein Mörder? Auftragskiller?
Verdiente er sein Geld, indem er anderen Menschen das Leben nahm?
Echèque ließ die Decke und den Revolver wieder im Schrank verschwinden. Sie zuckte unwillkürlich zusammen, als ihre Finger das kalte Metall berührten.
Ein Mörder. Wie konnte das sein? Sie erwischte sich dabei, wie sie mit der Decke ihre Fingerabdrücke wegzuwischen versuchte. Wie paranoid.
Worauf hatte er es abgesehen? Hatte Echèque schon vom ersten Augenblick an in Gefahr geschwebt?
Waren ihre Tage schon gezählt?
Was wenn jemand Bond auf sie angesetzt hatte? Aber weshalb?
Was wenn er...
Sie dachte den Gedanken nicht zu Ende. Er hatte damit nichts zu tun, das konnte nicht sein. Echèque spürte, wie der Boden unter ihren Füßen schwankte.
Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass er ein Killer war, doch er war schon von Anfang an so geheimnisvoll gewesen.
Und als er sagte, er sei geschäftlich hier, war das ge...
Die Erkenntnis traf Echèque wie ein Schlag. Wie hatte sie das nur außer Acht lassen können? Es lief ihr eiskalt den Rücken runter als sie aus dem Schlafzimmer stolperte und die Tür zuschlug. Dann lehnte sie sich dagegen, umfasste fest ihre Knie und versuchte nicht auseinanderzureißen. Wie konnte sie nur so dumm gewesen sein?
Er hatte den Bankhalter getötet.
Es musste James Bond gewesen sein.
James Bond, in dessen Armen sie sich noch vor einer Stunde ausgeweint hatte. In den Armen eines Mörders.
Der einzige Ort, an dem sie sich sicher gefühlt hatte, war mit ihm verschwunden.
Echèque wusste nicht mehr, was sie von ihm halten sollte. Ihr Verstand sagte ihr, dass er gefährlich war. Dass der Umgang mit ihm ihr das Leben kosten würde.
Aber sie wollte sich ihm nicht entziehen. Sie konnte einfach nicht. Jemanden wie ihn hatte sie noch nie kennengelernt. Charmant. Witzig. Gutaussehend. Und diese Wörter beschrieben ihn nicht einmal annähernd gut genug. Doch ihre Angst war größer.
Da gab es noch jemanden, das weißt du, hallte es in ihrem Kopf wieder. Sie war einmal mehr in die Falle getappt.
Echèque wusste nur zu gut, dass Männer mit Geheimnissen nie etwas Gutes im Schilde führten.
Doch eine Frage beschäftigte sie mehr als alles Andere:
Warum hatte er den Bankhalter ermordet? Sie hatte während des Spiels nicht bemerkt, dass Bond ihm mehr Beachtung geschenkt hätte, als den anderen Anwesenden. Außerdem fiel ihr kein Grund ein, der es rechtfertigen würde, ihn zu töten. Aber was wusste sie schon über so etwas.
Bond besaß eine Waffe, daran bestand kein Zweifel, doch das war noch kein Beweis dafür, dass er es gewesen war. Es befinden sich seht viele Gäste hier im Hotel, es hätte jeder sein können. Doch das überzeugte sie letztendlich nicht. Sie war zu naiv.
Wie sollte es nun weitergehen? Sollte Echèque einfach so tun, als wüsste sie nicht Bescheid? Und so das Leben anderer gefährden? Hatte er sich soeben aufgemacht, um wieder das Leben eines anderen Menschen zu beenden? Sie schluckte.
Hatte er denn gar kein Gewissen? Sie erinnerte sich daran, wie er sie tröstend in seinen Armen gehalten hatte, ihr über das Haar gestrichen hatte.
Hatte sie sich so sehr in ihm getäuscht?
Die Kälte des Fußbodens stieg ihren Körper hinauf. Wo sollte sie jetzt hin? Sie war nirgendwo mehr sicher. Weder bei Bond, noch in ihrem eigenen Zimmer.
Langsam richtete sie sich auf und strich ihr Kleid glatt. Sie konnte sich gut vorstellen, wie sie momentan aussah. Verschmiertes Makeup. Zerzauste Haare. Ruiniertes Kleid. Doch es war ihr vollkommen egal.
Echèque musste noch einmal in ihr Zimmer. Schnell verschwand sie aus Bonds Zimmer und rannte in ihr Stockwerk. Mit laut klopfendem Herzen schloss sie die Zimmertür auf und trat zögernd hinein. Sie suchte vorsichtshalber überall nach etwas Verdächtigem, wurde jedoch nicht fündig. Sie wusste leider nicht, ob sie das beruhigen oder beunruhigen sollte.
Bei einem Blick in den Spiegel entschied sie sich aber doch dazu sich abzuschminken und die Haare zu kämmen. Sie zog sich noch ein warmes beiges Cashmere-Kleid und braune Stiefel an. In einer größeren Handtasche packte sie noch weitere Kleidungsstücke und ihre Zahnbürste ein.
Nachdem Echèque ihre Autoschlüssel gefunden hatte, stürmte sie eilig, ohne sich noch einmal umzusehen aus ihrem Zimmer.
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As Time Goes By - James Bond 007
Misterio / SuspensoIhr lief ein Schauer über den Rücken. Was hatte das zu bedeuten? Doch sie spielte weiter mit. Sie sahen sich für eine Weile lang in die Augen, vergaßen die Welt um sich, bis sie ebenfalls flüsternd fragte: "Was sehen Sie in meinen Augen, Mr. Bond?" ...