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"Cassy, gib mir sofort das Telefon her!", schrie ich wie verrückt meine kleine Schwester an, als sie kichernd über das Sofa sprang, damit ich sie nicht zu fassen bekam. "Du kleines Monster, soll ich Mom und Dad anrufen? Du weißt genau wie wütend sie auf dich wären, das willst du doch nicht, oder?" Das hat wie immer gesessen. Mit ihren riesigen blauen Augen, die sich nun um ein dreifaches zu vergrößern schienen, musterte sie mein Gesicht. Man konnte sehen, wie sie sich mit Tränen füllten und wie ihre Lippen zu beben begannen. "NEIN, BITTE LIZ!", schluchzte sie jetzt. "Hier, nimm das Telefon und rede mit deinem bescheuerten Freund." Sie schmiss es mir vor die Füße und sprang von der Couch, damit sie mit leisen Schritten und lauten Seufzern in ihr Zimmer gehen konnte. Innerlich lachte ich mich kaputt, da sie genau wusste, dass ich kein Handy besitze. Also wie sollte ich unsere Eltern anrufen, wenn sie mir doch das einzige Telefon im Haus wegnimmt? Aber jedes verdammte Mal fällt sie darauf ein, wenn sie ihre Show abzieht.

"Kyle, bist du noch da? Tut mir leid, du weißt ja wie Cassy ist.", entschuldigte ich mich für meine Schwester. "Hey Babe, schon gut. Heute hat sie es nicht so lang geschafft wie sonst, du wirst immer besser." Ich lachte und fragte nach seinem Tag. "Ach, heute fiel das Training aus und deshalb bin ich mit Tony noch im Café gewesen, was hast du gemacht?" Er klang etwas aufgeregt, so als wolle er ablenken. "Meine Eltern sind doch heute nach New York gefahren, hast du das vergessen? Ich war mit Mum einkaufen und hab ihnen geholfen die Koffer zu packen, dann war ich mit Cassy allein und wir haben bis eben noch einen Film geschaut.", antwortete ich ein wenig enttäuscht, weil ich seit Wochen über nichts anderes mehr rede. Noch nie war ich mit Cassy allein, und das noch für einen ganzen Monat. "Sorry Babe, ich hab so viel um die Ohren. Das Spiel in 2 Tagen, weißt du? Hör mal, ich muss jetzt auch los, Tony wollte noch vorbeikommen. Wir hören uns?" "Ja klar, wir hören uns. Viel Spaß mit Tony." Ich legte auf und schmiss das Telefon mit voller Wucht auf die Couch, wo es natürlich wieder hochsprang und auf den Boden flog. "Klasse, das musste ja passieren. WIR HÖREN UNS. Arschloch!", zischte ich das Telefon an, als wäre er noch am Hörer. Ich hob es auf und klopfte an Cassy's Zimmertür, die mit lauter Pferdeaufklebern übersät war. "Süße, tut mir leid. Kann ich reinkommen?" Ich hörte einen ihrer berühmten Seufzer und öffnete die Tür. Langsam ging ich zum Bett und Cassy beobachtete jeden meiner Schritte ganz genau. Dann setzte ich mich auf die Bettkante, schaute sie mit hochgezogenen Augenbrauen an und fing plötzlich an sie wie verrückt zu kitzeln. "Liz, hööööör auf!", lachte sie herzlich. Das süßeste Lachen der Welt wurde immer lauter und ich stimmte mit ein. "Entschuldigung angenommen, jetzt ist aber mal gut!" Wegen dem bösen Ausdruck auf ihrem Engelsgesicht musste ich jetzt umso mehr lachen und hielt mir den Bauch. "Ok, ich hör auf."

Es war 1 Uhr und Cassy schlief auf meinem Schoß. Nachdem wir uns vertragen haben, kuschelten wir uns auf die Couch, schalteten König der Löwen ein und aßen alle Süßigkeiten die wir im Haus gefunden haben. Während ich ihr Haar streichelte und gespannt den Film schaute, klingelte plötzlich das Telefon in Cassys Zimmer. Vorsichtig hob ich ihren kleinen Kopf, stand auf und setzte ihn langsam ab. Dann deckte ich sie zu und lief mit eingeschlafenen Beinen zum Zimmer meiner Schwester. Die Nummer auf dem Telefon kannte ich nicht. "Bestimmt nur ein Scherz, ich lasse es klingeln." Als es aufhörte zu klingeln ging ich ins Wohnzimmer zurück, wo ich Cassy noch immer schlafend vorfand. Ich wollte mich gerade wieder setzen, als es wieder klingelte. Schnell ging ich ran, bevor meine Schwester aufwachen würde. "Hallo, wer ist da?", fragte ich mit gemischten Gefühlen. "Hallo, spreche ich mit Liz Brown?" Eine männliche Stimme, vielleicht um die 30 Jahre alt. "Ja, die bin ich. Entschuldigen Sie die Frage, aber wer sind Sie und wieso rufen Sie so spät an?" "Ich bin Officer Steen und ich habe sehr schlimme Nachrichten für Sie, Liz. Sitzen Sie im Moment?.." Alles was er danach sagte, war wie von einem Schleier umgeben und mir wurde auf der Stelle schlecht. Das Wohnzimmer drehte sich und egal was ich mit den Augen fixieren wollte, es gelang mir nicht. "Liz, was ist los?" Ich blickte neben mich und sah Cassy, die besorgt an meinem Pyjamaärmel zog. Mit Tränen in den Augen und total überfordert hob das Telefon schnell auf, welches ich aus der Hand fallen lies und horchte, ob Officer Steen noch dran war. "Liz, gleich kommen ein paar Polizisten und eine Therapeutin zu euch, die über Nacht bei euch bleibt. Es tut mir schrecklich leid." Ich legte auf, umarmte Cassy und streichelte ihr Haar. Wie könnte ich ihr sagen, was mir gerade erzählt wurde? Ich würde ihr in weniger als 5 Sekunden das Leben zerstören und ihr Ihre Eltern nehmen, so wie sie mir gerade genommen wurden. Nein, ich konnte nicht. 

"Wer war das, und warum weinst du? Hat Kyle Schluss gemacht? Liz, du musst nicht traurig sein, er ist sowieso blöd." Mit ihren kleinen Händen wischte sie mir die Tränen vom Gesicht und lächelte mir aufmunternd zu. Dieser Moment zerbrach mir das Herz noch mehr. Ich vergrub mein Gesicht in ihre Arme und weinte ohne Ende, bis es eine gefühlte Ewigkeit später an der Tür klingelte. Cassy rannte zur Tür und erwartete alles, außer vier Polizisten, die ihre Kappen vom Kopf zogen und vor den Körper hielten. Sie merkten wahrscheinlich, dass Cassy kleine Ahnung hatte was passiert ist, denn sie schaute verdutzt zu den Polizisten und dann zu mir, ungefähr 5 Mal ging das hin und her. Ich erschien mit verweinten Augen an der Tür und bat die Herren hinein. Als alle um den Couchtisch saßen, auf dem ein großer Blumenstrauß stand, fing Officer Marin an zu sprechen. Zuvor schaute er mich an und ich nickte unauffällig, damit er Bescheid wusste, dass ich Bescheid wusste. "Cassy, wir müssen dir etwas sagen. Es gibt einen Himmel, weißt du?" "Ich muss sie enttäuschen, es gibt keinen Himmel. Das hat mir mal Liz verraten." Sie schaute mich fragend an, weil sie verwirrt war. "Liz, hast du mich etwa angelogen? Ist unser Hamster also doch im Himmel?" "Officer Marin, könnte ich vielleicht..?", fragte ich ihn und er nickte sofort. Ich riss mich mit aller Kraft zusammen. "Hör mal, Cassy. Es gibt sehr wohl einen Himmel, ich habe mich offensichtlich geirrt. Wenn uns etwas zustößt und wir sterben, gehen wir zwar von dieser Welt, jedoch leben wir als Engel weiter. Der Himmel ist dann unser Zuhause, verstehst du?" "Ja, ich denke schon. Sind die 4 Polizisten gekommen um mir zu sagen, dass es den Himmel doch gibt?", fragte sie belustigt und ich wurde langsam wütend auf mich, weil ich ein Feigling war. "Mom und Dad hatten einen Unfall, Cassy. Sie sind jetzt Engel und wachen über uns.", sprudelte es vorsichtig aus mir heraus.

Von einer Sekunde zur nächsten sah man ihr Herz brechen. Ihr Lächeln verschwand und sie wurde ganz weiß. Zum zweiten Mal an diesem Tag füllten sich ihre wunderschönen Augen mit Tränen, die durch nichts gestoppt werden könnten, außer durch Mom und Dad. Ich nahm sie in die Arme und die 4 Herren sprachen ihr Beileid aus. Sie verschwanden aus der Tür und eine jüngere Frau trat ins Haus. Sie sah sehr gefasst aus und stellte ihre Tasche neben die Tür. "Hallo ihr beiden, ich bin Linda. Heute Nacht schlafe ich hier und ihr könnt mit mir reden, wenn ihr Angst oder Fragen aller Art habt. Ich übernachte auf der Couch, ist das in Ordnung?" "Ja, das ist ok. Danke Linda.", sagte ich erschöpft und unglaublich traurig.

Ich deckte Cassy zu und legte mich neben sie. Nachdem sie 10 Minuten schluchzte, schlief sie ein. Meine Nacht bestand aus Panikattacken und Tränen, geschlafen habe ich keine Sekunde.

Love, LucyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt