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Das Wetter am Morgen war passend, es regnete ununterbrochen.  Cassy schlief noch immer, immerhin ist sie erst 3 Uhr in den Schlaf gefallen. Ich stand auf und betrachtete mich im Spiegel, meine grünen Augen sahen wässrig aus und dunkle Ringe lagen unter ihnen. Meine Haare, orange und gelockt, waren zerzaust und wild, wahrscheinlich vom hin und herwälzen. Ich zog meine Sachen von gestern aus und zog mich um, kämmte meine Haare und ging in die Küche um Cassy etwas zu essen zu machen. Zu meiner Überraschung jedoch war der Tisch gedeckt, es roch nach Kaffee und frischen Brötchen. Im Radio lief fröhliche Musik und jemand las die Zeitung. Für eine Sekunde glaubte ich, dass ich mir den gestrigen Tag nur einbildete und dass Mom oder Dad hinter der Zeitung steckte, doch in der zweiten Sekunde legte Linda diese auf den Tisch und mein Herz brach erneut. Sie stand auf und nahm meine Hand, blickte mir in die Augen und fragte, ob ich mit der Situation zurecht komme. "Wie bitte? Sie fragen mich das ernsthaft? Ich habe eine kleine Schwester die ohne Eltern aufwachsen wird und ich habe nun die Aufgabe, mich um sie zu sorgen. Sie sind einfach so gestorben und ich weiß nicht was ich tun soll! Was soll ich tun, Linda? Bitte sagen Sie es mir, ich habe nämlich nicht die geringste Ahnung." Mir schossen die Tränen in die Augen, ich unterdrückte sie jedoch. "Liz, ich kann dir nicht sagen was du tun sollst, und auch nicht wie du dich verhalten kannst. Ich kann dir aber helfen diese Zeit zu überwinden, damit du lernen kannst damit umzugehen. Hör zu, deine Eltern haben vereinbart, dass eure Tante Lucy im Todesfall das Sorgerecht für euch beide bekommt. Sie lebt in Deutschland und hat dort ein sehr großes Grundstück." "Ich kenne Tante Lucy, wir haben sie aber seit 5 Jahren nicht gesehen. Wann können wir denn zu ihr?", fragte ich gespannt, denn in diesem Haus hielt ich es nicht aus. "Ihr könnt das selbst entscheiden."

Hunger hatte ich überhaupt keinen, also rannte ich in mein Zimmer und kramte alle Taschen und einen Koffer unter dem Bett hervor, um zu packen. Zuerst öffnete ich meinen Schrank und sortierte jedes Kleidungsstück aus. Ein Haufen war für Deutschland und einer für die Kleiderspende. Überraschend stellte ich fest, dass der Haufen für die Kleiderspende doppelt so groß war wie der andere. Ich nahm einen blauen Sack und stopfte die Sachen hinein. Die anderen legte ich zusammen und sie kamen in den Koffer, den ich auch mit Fotoalben, Kuscheltieren und Schmuck füllte. In die anderen Taschen kamen meine Schuhe, Bücher und CD's. Nach einer halben Stunde war alles Persönliche aus meinem Zimmer verstaut. Zurück blieben jediglich das Bett, der Schrank und mein Schreibtisch, auf dem Blöcke und Schulzeug lag, an das ich jedoch nicht im Ansatz dachte. Ich schloss die Tür hinter mir und fing an, Umzugskartons aus dem Keller zu holen und im Wohnzimmer weiterzumachen. Linda half mir wortlos, was ich gut fand. Ich konnte jetzt keinen Kommentar ertragen, ich wollte so schnell wie möglich weg. Cassy schlurfte ins Zimmer und blieb verdattert im Türrahmen stehen, als sie mich sah. "Liz, was wird das hier? Willst du mich verlassen?", fragte sie mich und ich konnte ihre Gefühle nicht deuten. "Nein Cassy, wir verlassen Baltimore. Wir gehen zu Tante Lucy nach Deutschland." Ich sah ihr nun an, dass sie sauer wurde. "Wie meinst du das? Du willst nicht mehr hier wohnen und ich werde nicht gefragt?" Tränen schossen in ihre Augen und ich wollte sie nicht weinen sehen, wusste aber nicht was ich sagen sollte. Ich ging zu ihr und hockte mich vor sie. "Cassy, wir können nicht auf uns alleine aufpassen und Mom und Dad kommen nicht mehr wieder, Tante Lucy ist die einzige Person die auf uns aufpassen kann. "Ich bin schon groß und kann das selbst, ich habe keine Lust umzuziehen und ich kann sehr gut alleine leben!" Oh, und wie sauer sie war. Sie schubste mich leicht zurück und stampfte in ihr Zimmer zurück. Ich setzte mich wieder auf und hörte, wie sie ihre Tür zuschlug. "Was soll ich nur tun, Linda?" Sie schaute mich mitleidig an und klopfte mir auf die Schulter, nachdem sie mich hochzog. "Die Zeit wird alle Wunden heilen. Ich finde es gut, dass du hier weg möchtest. Deine Schwester wird das auch verstehen, vertrau mir." Ihre Worte taten mir sehr gut und ich schöpfte neuen Mut. "Cassy, ich möchte, dass du all deine Sachen einpackst. Wir werden noch heute dieses Haus verlassen.", sagte ich laut im strengen, aber lieben Ton. Noch gestern konnte ich mit Mom und Dad drohen, heute muss ich ihre Respektperson sein und sie muss lernen, auf mich zu hören. "Ok, ist ja gut!" Ich hörte sie seufzen und ging wieder an die Arbeit.

Linda brachte uns mit den vielen Taschen und Koffern zum Flughafen und umarmte uns sehr kräftig. "Hört mal, ich habe für jeden von euch ein Handy mitgebracht. Meine Nummer ist auf jedem gespeichert und ihr könnt mich jederzeit anrufen, egal was ist. Ich habe mit Lucy telefoniert und sie erwartet euch." "Linda, ich weiß nicht was ich sagen soll. Ich danke dir, ehrlich. Wir melden uns sofort, wenn wir gelandet sind und lassen dich wissen, wie es uns geht." Ich war ehrlich froh, sie kennengelernt zu haben. Dadurch, dass sie letzte Nacht da war, fühlte ich mich wenigstens ein wenig sicher in dieser Elternlosen Welt, in der wir nun lebten. Cassy umarmte Linda und begann wieder zu weinen, weil sie Angst davor hatte, ins Flugzeug zu steigen. "Es ist in Ordnung zu weinen, Cassy. Sei bitte nicht so hart zu deiner großen Schwester, sie hat jetzt eine große Verantwortung und sie macht die gleiche schlimme Zeit durch wie du, verstehst du?", sagte Linda zu ihr und legte ihre Arme um ihren kleinen Kopf. Cassy nickte langsam und nahm mich an die Hand. "Es war mir eine Ehre euch kennenzulernen, ich hoffe wir bleiben in Kontakt." Unsere Taschen und Koffer wurden weggebracht und wir mussten am Ende zum Glück nur noch einsteigen, ich hatte nämlich keine Ahnung vom Check-in. Im Flugzeug angekommen setzte sich Cassy ans Fenster und ich saß mich neben sie. Ich deckte sie mit der leichten Decke zu, die jeder Fluggast an seinem Platz vorfinden konnte und lehnte mich an ihre Schulter, damit ich aus dem Fenster schauen konnte. Eine halbe Stunde später flogen wir durch die Wolken und die Welt sah unendlich klein aus. Ich fühlte mich deshalb aber keineswegs groß, ich fühlte mich elend. Hier oben wurde mir erst richtig bewusst, was uns nun bevorstand. Ich würde an eine neue Schule kommen, neue Menschen kennenlernen und langsam vergessen, wie meine Eltern lachten. Ich würde vergessen wie Dad so oft den Arm um Moms Schulter lag und ihr einen Kuss auf den Kopf gab, wie sie sich stritten und nach 5 Minuten wieder lachend auf der Couch saßen oder wie Mom jeden Abend Cassy eine Geschichte erzählte, damit sie gut einschlafen konnte. All das holte ich mir wieder ins Gedächtnis, jedes noch so kleine Detail holte ich aus meiner Erinnerung hoch, damit ich es niemals vergessen würde. Cassy hatte einen unruhigen Schlaf, sie wälzte sich auf ihrem Sitz hin und her, doch sie wachte zum Glück nicht auf. Ich konnte noch immer nicht schlafen, doch das war mir egal. Der Pilot teilte uns mit, dass wir bald landen würden und ich bereitete mich auf die Landung vor.

Love, LucyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt