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Cassy wachte durch die holprige Landung auf und drückte meine Hand fest zu, weil sie Angst hatte. "Ist das normal?" Sie blickte zu mir auf und ich lächelte, was ihr die Panik nahm und sie lockerte den Griff. "Ja Süße, das ist ganz normal. Gleich sind wir da." Zehn Minuten später waren wir auch schon am Boden angekommen und alle klatschten. Das freute Cassy und sie klatschte laut mit. Draußen angekommen fühlte ich mich verlorener als je zuvor. Mit Cassy an der Hand stand ich mitten in einer großen Halle und alle liefen hektisch an uns vorbei, telefonierten oder weinten in ihre Taschentücher. "Hallo Deutschland, wir sind da.", sagte ich zu mir selbst. Ich schaute mich um und erkannte ein paar Menschen mit Schildern in der Hand, überall standen Namen drauf. "Komm Cassy, Tante Lucy wird bestimmt dort stehen und auf uns warten.", ermutigte ich meine Schwester, die noch verlorener aussah als ich und uns im Kopf wahrscheinlich auf der Parkbank schlafen sah. Wir liefen zu der Menschenmenge und suchten nach unserer Tante. DA! Eine große Frau hielt ein Schild vor sich, auf dem "Liz + Cassy" draufstand und wir rannten zu ihr. Cassy zögerte keine Sekunde und umarmte Lucy, die nun das Schild fallen lies und sich zu ihrer Nichte hinunterbeugte um sie fest in die Arme zu schließen. Ich stand einen Moment vor ihr und schaute sie an. In den 5 Jahren hat sie sich kein bisschen verändert, noch immer hatte sie diesen Hippie-Stil. Lange, rote Dreadlocks, ein buntes Maxikleid und Römersandalen trug sie heute, und ich fand sie wunderschön. Tränen liefen ihr über das Gesicht und sie hielt einen Moment inne, als sie mich sah. Langsam lies sie Cassy los und gab ihr noch einen Kuss auf die Stirn, bevor sie sich vor mich stellte. "Liz, du siehst aus wie deine Mutter. Wie kannst du es wagen so schön zu sein?", lachte sie mir fröhlich zu, auch wenn der Anlass keineswegs fröhlich war. "Ach Tante Lucy, ich hab dich so vermisst!", platzte es aus mir raus und ich umarmte sie weinend. All die Trauer und Wut kam mit einem Schlag und ich weinte in ihr buntes Maxikleid, was ihr nichts ausmachte. Schluchzend und nach mütterlicher Zuneigung sehnend, wollte ich nie wieder von ihrer Seite weichen. "Lass es raus, Kleines.", flüsterte sie mir zu und streichelte mein Haar. Urplötzlich wurde ich müde und riss mich zusammen, auf dem Berliner Flughafen nicht einzupennen.

"Lasst uns nachhause gehen, das Essen steht bereit und ihr müsst euch ausruhen. Außerdem gibt es ab morgen viel zu tun, wir werden den Garten verschönern.", sagte Lucy fröhlich und lief mit Cassy an der Hand und eingehenkelt mit mir durch den Flughafen. Ein Taxi brachte uns zu Lucys Haus, ein Auto besaß sie nicht. So viel sie konnte fuhr sie mit ihrem Fahrrad, das wusste ich noch. Wir fuhren in ein abgelegenes Viertel, welches zauberhaft aussah. Überall waren kleine Häuser, die mit allen Pflanzen der Welt geschmückt waren. Die Bäume auf den Straßen hier ließen ihre Äste über das Autodach streifen, so als würden sie uns willkommen heißen. Ich sah keine Menschenseele, doch hier wohnten auch nicht viele Menschen. Ich kam mir vor wie im Märchenland, es fehlten nur noch kleine Feen die über die Wiese flogen und Einhörner die grasten.

Wir fuhren in Lucys Einfahrt und mir blieb der Mund offen stehen. "Steigt schon mal aus, ich bezahle noch schnell und lasse Ralf die Taschen nach drinnen bringen. Ralf war der Fahrer, den Lucy wahrscheinlich schon länger kannte. Cassy wartete nicht darauf, bis ich die Tür öffnete. Sie stieß ihre auf und rannte in den schönsten Garten, den ich je gesehen hatte. Die Blumen wucherten nur so, kleine Steinplatten gaben den Weg vor und überall standen Lampen, die am Abend wahrscheinlich ein wunderschönes Schauspiel an Licht lieferten. Cassy hüpfte auf den Steinplatten den Weg entlang und gelang zu einer großen Trauerweide unter der man bestimmt perfekt picknicken konnte. Neben der Trauerweide lag ein kleiner Hügel, auf dem ein Springbrunnen stand. "Na, gefällt euch mein Garten? Das ist Jahrelange Arbeit und ich bin noch lang nicht fertig. Ein Tipi soll unter die Weide, in dem man in Sommernächten auch übernachten kann und ich würde gern weiter hinten ein paar Obstbäume pflanzen.", meinte Lucy und wir hörten ihr gespannt zu. Ich malte in meiner Vorstellung den Garten aus, so wie sie es beschrieb, und es war perfekt. "Kommt rein, ihr müsst etwas essen." Cassy folgte ihr hüpfend, ich blieb noch einen Moment stehen und blickte mich um. Ich stand am schönsten Ort der Welt und ich konnte es kaum erwarten, hier mit anzupacken. Schnell lief ich den beiden nach, sie waren schon außer Reichweite und ich wusste nicht welchen Weg ich gehen sollte. "LIZ, KOMM ENDLICH!", rief Cassy und ich musste lachen als ich die Ernsthaftigkeit in ihrer Stimme hörte, weil sie wie Mom klingen wollte. Ich folgte ihrer Stimme und dann sah ich das Haus, welches von Efeu bedeckt war. Man sah nur noch die Fenster und das Dach, sogar die Tür wurde von Efeuranken geschmückt. Ich trat ein staunte. Eine wunderschöne Landhauseinrichtung stieß mir ins Auge und ich lief zu den Bildern an der Wand. "Lucy, ist das Mom?", fragte ich sie laut. Ich erschrak etwas, als sie plötzlich genau hinter mir stand und antwortete. "Ja, da waren wir noch sehr jung und spazierten mit Gus, unserem damaligen Hund, am See. Siehst du, man könnte meinen, dass du an dem Tag mit mir dort warst." Sie zeigte auf Mom's Gesicht und ich erkannte, was sie meinte. "Ja, ich sehe aus wie sie.", sagte ich erstaunt. Ich habe noch nie ein Bild von Mom gesehen, als sie jung war. Von Dad habe ich viele Fotos gesehen und ich verstand, wieso Mom sich in ihn verliebte. Er war damals der typische Schönling. Braune, kurze Haare und grüne Augen. Meine orangenen Haare habe ich von Mom, grüne Augen hatten beide. Ich legte meine Hand auf das Bild und schloss für einen Moment meine Augen.

Cassy saß schon am Tisch und ich fragte Lucy, ob ich ihr helfen sollte. Als sie verneinte, setzte ich mich zu ihr und lächelte ihr zu. Sie gähnte und lächelte zurück. Wir aßen die wirklich leckere Suppe auf und ich wusch nach dem essen ab. "Tante Lucy, kann ich ein bisschen schlafen?", fragte Cassy sie und Lucy nahm sie an die Hand und ging mit ihr die Treppe hoch. Ich wischte den Tisch ab und stellte den Blumenstrauß zurück auf den Tisch. Plötzlich kam mir Kyle in den Kopf und ich rannte nach draußen, um in meiner Tasche nach dem Handy zu suchen. Als ich es fand suchte ich nach seiner Nummer, was nicht gerade leicht war. Dies war mein erstes Handy und ich kannte mich nicht gut mit den Dingern aus. Nach einer Ewigkeit fand ich sie und lies es klingeln. Er ging ran und klang müde. "Hallo, wer ist da?", fragte er und ich hörte im Hintergrund eine Stimme. Ich wartete noch einen Moment und hörte ein Mädchen fragen: "Babe, wer ist das?" Mein Herz raste und ich fing an zu sprechen. "Hallo Kyle, hier ist deine Freundin. Ich wollte dich nur wissen lassen, dass meine Eltern gestern gestorben sind und wir jetzt in Deutschland bei meiner Tante wohnen." Ich fing an zu weinen, zu schreien und innerlich zu sterben. "Liz, bitte warte kurz. Bitte leg nicht auf.", hörte ich ihn flehen und ich schrie ihn an: "HAB VIEL SPAß MIT DEINER NEUEN, DU VERDAMMTER IDIOT!" Ich legte auf und nach fünf Sekunden klingelte das Handy. Ich drückte den roten Hörer, doch er gab nicht auf. Nach vielen Anrufen stellte ich das Handy auf lautlos und ging wieder rein.

Love, LucyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt