Kapitel 7 // Lou

47 5 5
                                    

Ich war vielleicht gerade mal fünf Minuten zuhause, als unten die Haustür mit einem Knall zugeschmissen wurde und jemand nach oben rannte.

Dann wurde meine Zimmertür schwungvoll geöffnet und meine Mutter hetzte ins Zimmer. Als sie mich sah, bildete sich auf ihrem Gesicht ein erleichterter Ausdruck und sie lief zu mir und nahm mich in den Arm.

"Ich hatte solche Angst um dich! Überall in den Nachrichten berichten sie schon über den Schulbrand und dass eine 17-jährige Schülerin schwer verletzt ins Krankenhaus geliefert wurde. Gott, ich hatte solche Angst, dass du das Mädchen bist, über das sie sprechen. Geht es dir denn auch wirklich gut?"

Mit einem leichten Lächeln nickte ich und löste mich von ihr. "Eigentlich hat nur die Sporthalle gebrannt. Aber mir ist nichts passiert. Meine Klasse hatte vorher Sportunterricht und als das Feuer anfing, war eine meiner Klassenkameradinnen noch in der Umkleide. Ich war glücklicherweise heute nicht beim Sport, weil ich Regelschmerzen hatte."

Ich hoffte, dass meine Mutter mir die Lüge abkaufte und zum Glück war sie gerade viel zu erleichtert, als dass sie daran denken konnte, dass ich sie erst vor zwei Wochen nach Tabletten gegen meine Krämpfe gebeten hatte.

"Wie kann so etwas Schreckliches nur passieren?", frage meine Mutter mich, noch immer völlig entsetzt von der ganzen Situation.

"Als ich noch in der Schule war, konnte man uns noch nichts sagen, ich schätze, die versuchen gerade zu klären, was die Brandursache war. Deshalb haben sie ja auch alle Schüler vom Schulgelände geschickt und wir hatten alle schon viel früher Schluss."

Sie zog eine Augenbraue hoch. "Aber ihr habt dann doch auch morgen frei oder nicht? Die können euch schließlich nicht schon auf den Schulhof lassen, wenn da gerade erst ein Brand stattgefunden hat, von dem niemand weiß, wie er hat passieren können."

Ich verdrehte meine Augen. "Mama, das ist doch alles sicher. Wir können die Sporthalle halt noch nicht benutzen, aber das Schulgebäude an sich war ja überhaupt nicht betroffen. Wieso sollten sie uns da bitteschön nicht wieder in die Schule lassen?"

Zum Glück stimmte mein Vater mir ausnahmsweise zu, als meine Mutter beim Abendessen auch ihn überreden wollte mir zu untersagen zur Schule zu gehen. Er jedoch vertrat wie ich die Meinung, dass solange die Schule noch geöffnet war, ich auch gefälligst hingehen solle.

*****

Der nächste Tag brachte genau zwei Überraschungen mit sich.

Wie jeden Donnerstagmorgen ging ich zusammen mit Flo zu einem der Zeitungsverkäufer und bezahlte die neueste Ausgabe.

"Ich kann immer noch nicht wirklich nachvollziehen, warum du diesen Scheiß überhaupt kaufst. Warum sollte jemand diesen Kack lesen, der da drin steht?", fragte sie und schaute missbilligend auf die Schulzeitung in meiner Hand.

Ich zuckte mit den Schultern. "Das habe ich dir doch schon fünftausendmal erklärt. Ist halt so und du wirst es nicht ändern können." Ich hatte gestern Abend noch ewig darüber nachgegrübelt, was ich denn nun zum Thema meines ultimativen Artikels machen sollte. Unausgeschlafen und grummelig wie ich an diesem Morgen war, stopfte ich die Zeitung rücksichtslos in meinen Rucksack und machte mich auf den Weg in mein Klassenzimmer.

Vielleicht hätte es mir von vorne herein auffallen können, aber ich bemerkte es nicht.

Ich saß gerade in Mathe, als ich das erste Mal davon hörte. Das Getuschel in der hinteren Reihe war nicht unbedingt etwas Neues und auch, dass das Thema Benjamin war, wunderte mich nicht unbedingt. Was aber interessant war: sie nannten Benjamin mit der Schülerzeitung in einem Satz.

Klar, jeder wusste, dass er der Chefredakteur war, aber er hatte weitaus größere Erfolge zu verzeichnen, von denen man schwärmen konnte (wenn man denn wollte). Was war schon eine sterbende Schülerzeitung, wenn er einer der bekanntesten Schüler war, Schülersprecher und leider Gottes etwas gutaussehend, selbst wenn ich das natürlich niemals zugeben würde und das absolut vollständig von den gehirnlosen Schnepfen dieser Schule kam.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch keinen Blick in die Zeitung geworfen, das wollte ich frühestens zuhause machen, wenn mir sterbenslangweilig war.

Ganz merkwürdig wurde die Sache dann aber, als ich in der Pause auf den Gang kam und mir mehrere Leute mit einer Schülerzeitung entgegen kamen. Normalerweise waren die einzigen Leute mit Schülerzeitung, die mir auf den Fluren begegneten, die Verkäufer oder aber Mädchen, die diese wie ein Accessoire allen stolz präsentierten, damit Benjamin auf jeden Fall auf sie aufmerksam wurde.

Heute versteckten manche Schüler ihr Gesicht jedoch regelrecht hinter der Zeitung und schafften es dabei sogar, diese richtig herum zu halten, was mich erkennen lies, dass sie sie wohl wirklich lasen. Dies führte mich zu der Annahme, dass etwas darin sein musste, was sie wirklich interessierte, etwas, was es eigentlich nicht geben sollte.

Im ersten Moment packte mich eine riesige Aufregung. Vielleicht war Benjamin ja über seinen eigenen Schatten gesprungen und hatte einen meiner Probeartikel in die Ausgabe gebracht.

Hektisch kramte ich in meinem Schulrucksack nach meiner Zeitung.

Die Titelstory zeigte mir dann aber, dass ich kaum mehr Unrecht mit meiner Vermutung hätte haben können.

'Lehrer zerstören Zukunft von Schülern', ich war mir ziemlich sicher, dass ich niemals so einen Artikel geschrieben hatte. Von wem hatte er ihn aber dann?

Schnell schlug ich die Seite mit dem Artikel auf und überflog diesen.

Jetzt erkannte ich auch den Grund für die allgemeine Aufregung. Der Text war wirklich gut.

Das einzige, was etwas merkwürdig war, war, dass der Autor offensichtlich anonym bleiben wollte. 'Der Adler' könnte so ziemlich jeder hier sein.

Jetzt wurde mir auch klar, wer wohl mein Gegner sein würde und um ehrlich zu sein, flößte dies mir einigen Respekt ein. Die Schule war nicht umsonst so restlos begeistert von diesem Artikel, weshalb ich daran zweifelte, dass mir der Gewinn der Wette noch immer so sicher war.

Ich würde definitiv herausfinden müssen, wer dieser anonyme Autor war.

Als nächstes hatte ich Englisch bei Herrn Kümmerich. Während ich mich auf den Weg machte, überlegte ich, wie ich wohl herausfinden könnte, wer dieser 'Adler' war.

Zwar war ich mir selbst noch nicht wirklich im Klaren darüber, was ich machen sollte, wenn ich es erst wusste.  Auf alle Fälle konnte es nicht schaden, seine Feinde möglichst genau zu kennen.

Herr Kümmerich war wie immer überpünktlich und wollte auch unbedingt direkt mit dem Unterricht beginnen. Er argumentierte damit, dass wir uns ja viel zu oft mit den Problemen in unserer Klasse beschäftigt und so viel zu viel Zeit vertrödelt hätten, welche wir nun aufholen sollten, damit wir dann perfekt vorbereitet wären. Da hatte wohl noch jemand den Artikel gelesen.

Er wollte uns gerade eine Aufgabe geben, als es an der Tür klopfte und wir damit für kurze Zeit von der Qual erlöst waren.

Genervt blickte er zur Tür und seufzte. "Herein!"

Die Tür öffnete sich und herein trat Herr Stepfen. In der Hand einen Zettel, auf dem Gesicht einen bekümmerten Ausdruck.

"Es tut mir leid euch stören zu müssen", meinte er zu Herrn Kümmerich. Dieser sah trotz der Entschuldigung ziemlich angepisst aus.

Herr Stepfen stellte sich vor unsere Klasse, atmete tief durch und warf einen erneuten Blick auf seinen Zettel.

"Es tut mir wirklich leid, dass ich es euch mitteilen muss, aber ich habe gerade einen Anruf und ein paar Informationen bekommen. Laura Kender ist gerade an ihren Verletzungen gestorben."



Projekt MordartikelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt