Kapitel 9 // Lou

39 4 0
                                    

Zusammen mit Flo saß ich auf unserer Hollywoodschaukel, als mein Handy klingelte. Charlotte. Wir hatten uns doch gerade erst bei der Nachhilfe gesehen. Warum rief sie mich jetzt an?

"Louisa, kannst du mich vielleicht abholen? Mein Bruder hat Besuch von seinem besten Kumpel Dominik und er hat gesagt, dass ich hier weg soll, nur sind meine Freundinnen alle nicht da. Wir könnten ja ins Kino gehen, mein Bruder bezahlt auch!"

"Meine Freundin Flo ist gerade hier", meinte ich zögernd.

"Wer ist dran?", fragte Flo mich. "Charlotte", sagte ich lautlos. Sie nickte.

"Sie kann ja auch mitkommen. Bitte, ich will nicht hierbleiben", flehte Charlotte.

"Warte kurz, ich bespreche das eben mit Flo."

Ich hielt die Hand auf das Telefon. "Charlotte will unbedingt ins Kino, weil ihr Bruder Besuch hat und sie auf keinen Fall da bleiben will oder so."

"Hört sich doch lustig an!", meinte sie enthusiastisch. Natürlich hörte sich das lustig für sie an. Meiner Meinung nach war es nicht meine Aufgabe ein zwölfjähriges Mädchen zu babysitten, aber Flo dachte mal wieder nur an das Wohl anderer.

"Gut, wir treffen dich in einer halben Stunde am Kino. Kann dein Bruder dich hinbringen?", fragte ich Charlotte.

"Ja, danke, dass ihr mitkommt!"

*****

Als wir am Kino ankamen stand schon Charlotte davor.

Sie sah anders aus als noch bei der Nachhilfe heute Mittag. Ihr Gesicht war bleicher und ihre braunen Augen strahlten nicht die typische Freude aus, die ich von ihr gewohnt war. Was hatte ihr nichtsnütziges Arschloch von Bruder bloß wieder angestellt?! Jetzt bloß nichts anmerken lassen, sagte ich mir. Aus einem für mich unerfindlichen Grund liebte dieses kleine Mädchen ihren Bruder und mochte ihn sogar.

"Hey, alles ok bei dir?", fragte ich sie.

Charlotte starrte mich mit großen Augen an. Dann nickte sie langsam. "Klar, warum auch nicht?"

Auch Flo sah sie kritisch an. "Du siehst etwas fertig aus. Bist du dir sicher, dass nichts passiert ist? Du kannst mit uns darüber sprechen, wenn du willst!"

Ich sah, wie Charlotte zögerte, aber dann entschied sie sich zu schweigen. "Es ist wirklich alles gut!", meinte sie nachdrücklich.

Flo wechselte einen Blick mit mir, zeigte mir, dass sie ihr genau so wenig glaubte wie ich. In stiller Übereinkunft beschlossen wir, dass wir Charlotte erstmal nicht länger damit belästigen würden. Entweder sie würde es später erzählen oder aber wir würden es noch aus ihr herauskitzeln.

Der Film war erstaunlich schlecht. Selbst Charlotte war absolut enttäuscht, was sie uns aber nicht zeigen wollte. Trotzdem war ihre Unterlippe leicht vorgeschoben, als wir aus dem Kinogebäude spazierten.

"Wollen wir nicht noch alle zusammen in die Eisdiele um die Ecke gehen?", fragte Flo uns mit einem auffordernden Seitenblick auf mich. "Wundervolle Idee!", stimmte ich ihr sofort zu.

Vielleicht merkte Charlotte, dass wir irgendetwas ausheckten, wie sollte sie auch darüber hinwegsehen, aber Kinder lieben Eiscreme nunmal fast so sehr wie Flo und ich, also war auch sie bald mit der Idee einverstanden und wir gingen zusammen zur Eisdiele.

"Willst du uns eigentlich erzählen, warum du eben so merkwürdig drauf warst?", fragte Flo sie vorsichtig.

"Ich war etwas enttäuscht. Meine Mutter hatte mir eigentlich versprochen, dass sie mit mir in den Film geht, nur musste sie dann arbeiten. Dann wollte mein Bruder auch nichts von mir wissen und hat sich lieber mit seinem kranken Freund getroffen." Das war wohl nicht die gesamte Wahrheit.

Projekt MordartikelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt