Genervt trommelte ich mit meinen Fingern auf die Tischplatte. Vor mir lag ein leeres Blatt Papier. Seit einer gefühlten Ewigkeit versuchte ich nun schon, etwas Vernünftiges auf das Papier zu bringen. Wie sollte ich die Wette gewinnen, wenn ich es noch nicht mal schaffte, ein Thema zu finden, über das ich schreiben konnte?
Die ganze Zeit spukte Flos Blick in meinem Gesicht herum, als sie mir gesagt hatte, dass wir keine Freundinnen mehr waren. Verdammt, warum konnte sie nicht das eine Mal, wenn ich sie wirklich brauchte für mich da sein?
Ich wusste, wir sollten uns vertragen, schließlich waren wir beste Freundinnen, aber dafür würde ich ihr beweisen müssen, dass ich Recht gehabt hatte. Zum Beispiel, indem ich den Mord auf eigene Faust aufklärte und drüber konnte ich dann auch gleich den Artikel schreiben. Das würde definitiv jeden interessieren. Damit hätte ich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Ich konnte Flo beweisen, dass Dominik unschuldig war und würde die Wette gewinnen, sodass ich endlich in der Redaktion arbeiten konnte.
Das hieß dann wohl, dass ich ab morgen Dominiks unsichtbarer Schatten sein würde.
*****
"Damit hätten wir schon mal einen nervigen Schüler weniger", meinte Herr Lehmann boshaft lächelnd und knallte die Tasche auf den Boden. Dann setzte er sich auf seinen Stuhl und starrte mit einem zufriedenen Grinsen in die entsetzten Gesichter seiner Schüler.
"Stellt euch mal vor, das wäre so ein Serienkiller. Bevor ihr euch versehen habt, seid ihr alle tot und ich bin euch mein Leben lang los. Aber ehrlich gesagt, um euch wäre es auch nicht wirklich schade. Hättet ihr euch alle weniger nervig aufgeführt, hätte auch sicherlich niemand einen Grund gehabt euch ermorden zu wollen."
Maike, eine von Lauras und Svenjas besten Freundinnen, fing leise an zu schluchzen. Genervt sah Herr Lehmann sie an. "Was ist denn jetzt los? Kannst du die Wahrheit etwa nicht ab? Sollte es wirklich Mord gewesen sein, wovon ich ausgehe, dann solltet ihr euch mal alle überlegen, was sie getan hat und was ihr anders getan, denn wenn ihr genauso wart wie sie - meiner Meinung nach seid ihr sowieso alle gleich- wer sagt euch, dass ihr nicht der Nächste seid? Für Umkehr wird es wohl etwas zu spät sein, aber wir können ja alle zusammen versuchen, dass zumindest die letzte Zeit möglichst angenehm wird. Das heißt, ich gebe euch Aufgaben und ihr bearbeitet diese ohne wenn und aber und wehe, ich höre auch nur einen von euch sprechen. Schreibt eine Analyse über die Quellentexte auf Seite 35 und 41 und wenn ihr gerade dabei seid, könnten ihr gleich auch noch die Bilder daneben interpretieren. Bis nächste Woche will ich die Sachen haben, wem was fehlt, kriegt ein ungenügend dafür."
Protestieren hatten wir bei ihm schon lange aufgegeben. Eigentlich hatte nie wirklich jemand damit angefangen, wie auch, wenn einem von jedem älteren Schüler gesagt wurde, dass man sich bloß von seiner besten Seite zeigen sollte? Ich kannte keinen anderen Lehrer, der es schaffte, dass die Aufmerksamkeit der gesamten Klasse auf ihn gerichtet war. Der einzige, der den nötigen Respekt, oder eher die nötige Angst bekam, war wohl Herr Lehmann.
Also vergrub ich mich, wie jeder andere der Klasse, in den Haufen Arbeit, der uns von Herrn Lehmann aufgebrummt worden war.
Endlich klingelte es, und obwohl wenn ich noch nicht mal die Hälfte geschafft hatte, war ich trotzdem froh, dass die Stunde zu Ende war. Da machte ich den Rest lieber zu Hause fertig, als dass ich hier noch länger sitzen musste.
Dementsprechend schnell war ich auch damit meine Sachen zusammenzupacken. Am Ende war ich auch die Erste, die die Klasse verließ. Okay, das hatte ich zumindest gedacht, aber als ich dann plötzlich in in irgendjemanden hineinlief, bewies mir das das Gegenteil.
Auf den Boden lagen ein paar Zettel, die Lars wohl während unseres Zusammenstoßes heruntergefallen sein mussten. Ich beugte mich herunter, um ihm zu helfen sie alle schnell wieder einzusammeln.
"Nein, nicht-", rief er panisch. "Äh, ich meine, ich kann das auch selber machen." Meine Augenbrauen hoben sich und ich richtete mich wieder auf. Dann halt nicht. Ich hatte ja nur nett sein wollen. Das kam auch nicht jeden Tag vor, da sollte er sich geehrt fühlen. Ich meine, dachte er, ich würde ihm die Zettel irgendwie klauen wollen oder sie, boshaft wie ich war, einfach zerreißen? Also ehrlich. Aber andererseits, vielleicht wollte er auch einfach nur einen auf Gentleman machen...?
Ich starrte ihn noch eine Sekunde an, dann zuckte ich mit den Schultern und machte mich aus dem Staub. Ich hatte noch nie besonders viele Gedanken auf die Beweggründe von Jungs verschwendet. Das würde ich jetzt allerdings wohl oder übel tun müssen, wenn ich Dominiks Unschuld beweisen wollte. Das konnte noch zum Problem werden, ich war nämlich nicht gerade die Jungsversteherin vom Dienst...
Unbewusst hatte ich die Bank auf dem Schulhof angesteuert , auf der ich mich normalerweise immer mit Flo traf, doch dann fiel mir plötzlich ein, dass heute niemand kommen würde.
Stattdessen wanderte ich also wieder ins Gebäude, in der Hoffnung, dass niemand mich bemerkte und sah, dass ich offensichtlich weder Hobbys noch Freunde hatte. Also irgendwie etwas opfermäßig rumlief.
Mein Handy hatte ich zuhause vergessen, also konnte ich dummerweise nicht ganz wichtig tun und non-stop darauf herumtippen als wäre ich die gefragteste Person der Welt.
Theoretisch hätte ich mich zu jemanden aus meiner Klasse stellen können, aber so tief war ich dann doch nicht gesunken. Die Sache war nämlich so: egal, zu wem ich mich stellen würde, man musste sich einfach bei jedem von ihnen fragen, ob auch nur ein staubkorngroßes Hirn vorhanden war. Aber selbst das wurde entweder vom anderen Geschlecht per Zunge rausgelöffelt, starb aufgrund eines Aufpralls mit einem Ball ab oder wurde wegen des zu hohen Niveaus der Schulaufgaben völlig überfordert. Natürlich hätte ich mich auch zu Isabella setzen können, denn sie war abgesehen von mir wohl die einzige, auf die all das nicht zutraf. Aber erstens würde das einem sozialen Selbstmord gleichkommen und zweitens hatte ich gerade nicht die Nerven dazu mir anzuhören wie wundervoll Herr Stepfen doch mit seinen Entenhemden unter dem dicken Wollpulli aussah. Ich meine, wir hatten noch keinen Winter, aber in Ordnung, einige Menschen froren halt einfach mehr als andere.
Ein Tippen auf meiner Schulter hielt mich davon ab, noch länger daran zu verzweifeln, dass es offenbar außer Flo niemanden gab, der gut genug war, um mich mit ihm abzugeben. Ich drehte mich um und sah vor mir einen großen Mann stehen. Er trug einen schwarzen, langen Mantel mit hochgestelltem Kragen. Fehlten nur noch die spitzen Eckzähne und er hätte einen wunderbaren Dracula abgegeben.
"Könntest du mir vielleicht zeigen, wie ich zum Lehrerzimmer komme?" "Ähm, klar kein Problem, kommen sie mit."
Während ich ihn in Richtung unseres Lehrerzimmers brachte, kramte er in seiner Tasche herum. Ich beobachtete ihn neugierig aus dem Augenwinkel, bis er schließlich ein Handdesinfektionsgel hervorholte und sich damit die Hände einrieb.
"Sind sie eigentlich Lehrer?", fragte ich. Abwertend schnaubte er. "Ganz sicher bin ich kein Lehrer. Es gibt keinen bakteriell verseuchteren Ort als die Schule. Außer vielleicht der Kindergarten, aber beide haben gemein, dass sie Kinder beherbergen, weswegen ich nicht vorhabe, mich mit so etwas abzugeben. Kinder sind nervig und machen krank, egal auf welche Weise."
"Ahja", nickte ich mit einem gefaketen Lächeln. "Hier ist dann das Lehrerzimmer", meinte ich endlich und zeigte auf den Raum drei Türen weiter. "Vielen Dank", meinte er hochnäsig und schritt an mir vorbei um an die Tür des Lehrerzimmers zu klopfen. Merkwürdiger Mensch.
Diese Begegnung hatte aber auch eine gute Seite, denn sie hatte mir eine sinnvolle Beschäftigung für die Pause gegeben. Im nächsten Moment klingelte es nämlich schon und so ging ich zu meinem Klassenzimmer.
Herr Kümmerrich kam aber nicht alleine in den Raum. An seiner Seite stand der Mann, dem ich eben noch den Weg zum Lehrerzimmer gezeigt hatte.
"Ich möchte euch jemanden vorstellen. Das ist der neue Schulseelsorger. Vor allem für eure Klasse ist er hier, um euch dabei zu helfen besser mit dem Verlust eurer Klassenkameradin Laura klarzukommen."
War ich die einzige, die es merkwürdig fand, dass ein kinderhassender Mann mit einer Bakterienphobie der neue Schulseelsorger war?
DU LIEST GERADE
Projekt Mordartikel
De TodoEigentlich wollte Lou nur eins, Teil der Schülerredaktion werden. Das Problem: Der überhebliche Chefredakteur Ben ließ sie einfach nicht rein. Der rettende Einfall: Eine Wette. Lous Artikel gegen den Artikel einer seiner Leute. Doch dann der große S...