Kapitel 2

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"El frió es parte también de mí."
"Die Kälte ist auch ein Teil von mir."

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"Tini?", fragte er noch einmal. "Ja. Ja, das bin ich", murmelte ich. Jorge ist echt gutaussehend geworden. Das hätte ich damals nicht erwartet. Seine Haare waren perfekt und seine Augen immer noch so grün wie vor ein paar Jahren. "Wo warst du das ganze letzte Jahr?", fragte er. Er hatte wohl keine Ahnung, mit wem er hier eigentlich sprach. "Oh, in den USA", erklärte ich. "Ach was. Dort war ich auch. Da haben wir uns wohl gerade verpasst. Und wieso bist du jetzt wieder hier?" "Ich soll bei irgendeinem bescheuerten Weihnachtsfest singen. Meine Mutter zwingt mich dazu", erklärte ich. Plötzlich änderte sich sein Gesichtsausdruck von fröhlich zu traurig. "Bescheuert? Du magst also kein Weihnachten?", fragte er beleidigt. Ich hatte nicht in Erinnerung, dass er so eine Memme war. "Hör mir mal zu, Jorge. Du hast keine Ahnung von meinem Leben. Keiner hier hat das. Ich bin nicht mehr die Martina, die ich war, bevor ich dieses Kaff hier verlassen habe. Oder als wir zusammen in der Badewanne gespielt haben", meckerte ich. Es war echt schwer, ihm das klar zu machen. Früher hatten wir immer gerne was zusammen unternommen. "Schon verstanden. Ich weiß zwar nicht, wieso du dich so aufspielst, aber du hast recht. Du bist nicht mehr meine kleine Tinita, mit der ich immer Blödsinn gebaut habe. Du hast dich sehr wohl verändert. Aber das garantiert nicht ins Positive", mit diesen Worten drehte er sich um. Ein wenig tat er mir ja schon leid, aber... Ach, Martina! Nein, er tut mir nicht leid. Kein Mensch tut mir leid. Nicht mal diese Obdachlosen, für die ich singen muss. Also machte ich mich weiter auf den Weg zum Supermarkt.

Als ich im Rathaus ankam, lief mir eine Frau schon entgegen. Sie war pummelig und ungefähr so groß wie ich. Man kann sich ja denken, wie sie aussah, wenn ich schon sehr klein war. Ich habe grundsätzlich nichts gegen dicke Menschen, aber meistens chillen die eh nur den ganzen Tag auf der Couch und tun nichts für ihre Figur. Bei mir ist es zwar ähnlich, aber ich nehme so oder so nicht zu. "Du musst Martina sein. Hallo! Ich bin Magdalena, Bürgermeisterin von unserem schönen Dorf", stellte sie sich vor. Schönes Dorf? Das ich nicht lachen. Aber Kopf hoch, Martina. Einfach nicken und lächeln. "Dann zeige ich dir jetzt mal alles. Du bist bestimmt schon ziemlich aufgeregt, oder?" "Nicht wirklich...", antwortete ich. Mit der Freundlichkeit hab ich's nicht so. "Stimmt. Wenn man öfters vor mehreren tausend Menschen auftritt. Deine Mutter hat mir Videos von deinen eigentlichen Konzerten gezeigt. Ich bin beeindruck", meinte Magdalena. Endlich einer in diesem Kaff, der meine Arbeit schätzt. "Und deswegen finde ich es so toll, dass du dich bereiterklärst, an Weihnachten hier zu singen." Freiwillig ist das Ganze zwar nicht so, aber das wollte selbst ich nicht sagen. Schließlich will ich dieses Dorf ja bald zu meinen Fans zählen. Ich kann einfach nicht glauben, dass mich hier niemand kennt. Nur von früher. "Also hier ist unsere Suppenküche. Jeden Mittag verteilen wir hier warmes Essen an die Obdachlosen", erklärte sie. "Du meinst an die Penner", redete ich ihr dazwischen. "Wir bevorzugen das Wort Obdachlose. Wenn du dich einmal mit ihnen unterhältst und sie dir ihre Geschichte erzählen, merkst du, dass sie total freundlich sind und viel Schlimmes erlebt haben." Gerade war der Saal echt voll. Alle drei ewiglangen Tische waren voll mit Männern und Frauen, die alte, dreckige Klamotten trugen. "Wenn du möchtest, kannst du heute mal mithelfen. Ja, das ist eine gute Idee. Gib mir mal deine Einkäufe, die verstaue ich solange. Geh' am besten mal dort in die Küche. Da wird dir alles weitere erklärt", meinte Magdalena. Jetzt stand ich hier alleine. Wieso sollte ich dort helfen? Aber wenn ich nicht will, dass Mama böse auf mich wird, sollte ich das wohl mal machen. Hoffentlich bricht man sich dabei keinen Nagel ab.

In der Küche angekommen, starrten mich direkt alle an. "Äh, ich bin Martina. Magdalena schickt mich, ich wollte mal hier ein wenig helfen", stellte ich mich vor. Eine Frau kam zu mir und reichte mir irgendeine Haube. "Du musste die aufsetzen, damit deine Haare nicht in das Essen fallen. Das nächste mal kommst du bitte mit kürzeren Fingernägeln", sagte sie im Befehlston. Wow, wenn hier alle so mürrisch drauf sind, wird es noch schlimmer, als erwartet.

Frohe Weihnacht?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt