Kapitel 11

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"Ja, verdammt. Ich fühle dasselbe für dich, Jorge. Aber..." Er unterbrach mich, indem er seine Lippen auf meine presste. Ich war geschockt, aber genoss es dennoch. Trotzdem wusste ich, dass das so keine Zukunft haben kann.
Und so standen wir dort eine Weile. In der Kälte, um uns herum Schnee. Es war kalt, doch seine Lippen übertrugen eine gewissen Wärme auf mich. Und aus einem Kuss wurden mehrere. Es entstand dieses Kussgeräusch, welches man immer in Filmen hörte. Ich fühle mich gewisser Weise wie in einem Film. Die Kulisse, die Situation, alles passte irgendwie zusammen.

"Jorge, ich...", begann ich, nachdem wir uns endgültig lösten und uns tief in die Augen sahen. "Sag' jetzt lieber nichts. Wir genießen die restliche Zeit einfach, ok?" "Nein, das geht nicht. Tut mir leid, aber das hätte nicht passieren dürfen", sagte ich unter Tränen und lief nach Hause.

Wie konnte ich so dumm sein und ihn küssen? Jetzt ist alles noch komplizierter als vorher. Wie ich schon mal sagte, unsere Welten passen nicht zueinander. Jorge und ich passen ebenfalls nicht zueinander.
Zuhause stieß ich direkt auf Mechi, die auf meinem Bett saß und sich die Nägel lackierte. "Was ist denn mit dir passiert?", fragte sie und legte das Fläschchen beiseite. "Jorge... ich... Kuss?", murmelte ich verwirrt. "Ihr habt euch geküsst?", quiekte sie erfreut. "Ja..., aber das ist... schlecht. Ganz schlecht", brachte ich außer Atmen hervor. "Hä? Das ist großartig, Tinita. Das wolltest du doch immer." "Jetzt nicht mehr. Es war ein Fehler."
"Wieso?", fragte sie, als ich mich beruhigt hatte. "Weil wir niemals zusammen sein können. Es würde niemals klappen. Und das müssen wir beide verstehen. Meine Welt ist anders."

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Es war der vierte Advent. Jorge hatte ich seit dem "Vorfall" nicht mehr gesehen. Das Haus verließ ich generell wenig. Nur um die Weihnachtsdekoration anzubringen, hatten meine Eltern, Fran und Mechi mich aus dem Haus gezwungen. Ich muss zugeben, dass ich mich schon auf Weihnachten freute. Es waren immerhin nur noch vier Tage. Und so langsam war auch das Weihnachtsfeeling bei mir angekommen. Das hätte ich niemals erwartet, aber im engen Kreise der Familie zu sitzen, heißen Kakao zu trinken und Fernsehen zu gucken, machte mich glücklich. Außerdem musste ich so nichtan Jorge denken. Mama hatte mich gefragt, warum er nicht mehr kam. Aber ich antwortete ihr nie darauf.
"Kannst du mich nicht auf dem Fest begleiten anstatt Jorge?", fragte ich meine beste Freundin. "Sorry, aber die Bürgermeisterin ist Jorges Tante. Die wirst du eh nicht umstimmen können, Martina." Ich seufzte. "Du hast ja recht, aber ich kann nicht mit ihm auftreten. Es würde mir das Herz zerreißen." "Wieso lässt du es nicht einfach zu? Was kann schon großartig passieren? Eine Fernbeziehung? Viele Paar führen eine und sind dazu noch glücklich. Oder wäre es dir etwa peinlich, mit jemand aus deiner alten Heimat zusammen zu sein?" "Nein, Mechi, das ist es beides nicht. Ich habe Angst, dass er mich verlässt, wenn er merkt, wie ich in den USA bin. Merkst du denn nicht, dass ich mich hier total anders verhalte?" Sie starrte an die Decke. Das machte sie immer, wenn sie überlegte. "Doch, du hast recht. Aber was ist so schlimm, in Nordamerika genauso zu sein wie hier? Berühmt bist du sowieso schon. Wenn du dann auch noch dein wahres Ich zeigst, wird so viel Trubel um dich herrschen, dass du wochenlang nur noch in den Medien zu sehen wirst. Und das ist doch das Ziel eines jeden Promis. Aufmerksamkeit zu erlangen." Sie hatte recht. Wieso war ich dort nicht einfach genau wie hier? Was macht dieses Kaff mit mir, dass ich jetzt erst bemerke, wie ich wirklich bin? Ich meine, ich interessiere mich für das Wohl anderer Menschen, ich kümmere mich um Menschen mit Behinderungen und singe sogar auf einem Fest für Obdachlose. Noch dazu schmücke ich das Dorf, ohne irgendeinen Gehalt bezahlt zu bekommen. Sowas hätte ich vor meinem Besuch hierher niemals gemacht. "Und wie stelle ich das an?", fragte ich sie. "Na, ganz einfach. Bei deinem nächsten Interview wirst du ein ganz anderer Mensch sein. Die neue Martina Stoessel. Und nicht zu vergessen, erwähnst du natürlich auch mich ja?", lachte sie. "Wie wäre es, wenn wir gemeinsam ein Interview geben und die Erlebnisse von diesem Dezember erzählen?" "Auch gut. Dann stehen wir beide im Mittelpunkt." Mechi war unverbesserlich. "Wir könnten eine Stiftung gründen", murmelte ich. "Was hast du gesagt?" "Ach nichts...". "Nein, Martina. Die Idee ist doch klasse. Damit werden wir nicht weiter als Tussen abgestempelt und tun gleichzeitig etwas Gutes", meinte Mercedes. Zugegeben gefiel mir die Idee immer mehr.

"Tini, du hast Post!", rief meine Mutter von unten. Ich rannte die Treppe runter und nahm den Brief an. Es war nur meine Name handschriftlich darauf geschrieben. Keine Adresse, kein Poststempel nichts. Den muss wohl jemand persönlich eingeworfen haben.
Ich ging zurück zu Mechi und öffnete ihn. Als erstes sprang mir ein Zeitungsartikel in die Augen. es war einer, der von mir und Peter berichtete. Dazu lag noch ein kleiner Zettel in dem Umschlag. "Kein Wunder, dass du nicht mit mir zusammen sein willst..."

Frohe Weihnacht?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt