14. Kapitel - „Kopf oder Zahl?"

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„Wie lange werden wir uns nicht mehr sehen?", fragte ich leise gegen seine Brust und gleich darauf hörte ich ihn seufzen.

„Ich weiß es nicht.", hauchte er, klang dabei ziemlich erschöpft und geschaffen. „Ich habe absolut keine Ahnung." Er vergrub seine Hand in meinen Haaren und drückte mich an sich. „Bitte merke dir nur eins.." Er schluckte schwer und ich atmete gebrochen aus. „Jeden Abend werde ich an dich denken. Jeden Abend, stell dir einfach vor, es wäre alles gut, wir sind in Sicherheit und... und sind zusammen."

Tränen bahnten sich an und ich krallte mich in seinen Klamotten fest.

„Vergiss nicht, auf was du hinarbeitest.", raunte er. „Vergiss nicht, wer du bist und vergiss bloß nicht, wie sehr ich dich liebe, Melanie. Egal was auch passiert."

„Das ist alles so unfair.", beklagte ich mich und ich spürte seine Lippen an meiner Stirn. „So unglaublich unfair."

Eine Weile herrschte Schweigen zwischen uns. Das war nicht der Abschied, doch so verharrten wir schon seit gefühlten Stunden. Arm in Arm, mitten auf der Wiese im Gras. Ich hatte Dean noch nie so viel reden hören. Die ganze Zeit sprach er über etwas, ich wusste nicht wieso, doch es war mir auch egal. Unzählige Male hatte er mir gesagt, er liebte mich und das er es immer tun würde. Und ich saß einfach da, in seinen schützenden Armen und fragte mich, warum man mir das antat. Es war so schön, so unbeschwert. Noch vor einen Tag hatte ich ihm meine Unschuld geschenkt, wir hatten all das vergessen. War das die Strafe dafür? Das war unmöglich.

„Dean?", fragte ich leise.

„Hm?"

„Was ist für dich Liebe?"

Ich spürte, wie er tief einatmete und dann anfing zu sprechen: „Matthias Claudius hat mal gesagt:

Die Liebe hemmt nichts; sie kennt nicht Tür noch Riegel

Und dringt durch alles sich;

Sie ist ohn Anbeginn, schlug ewig ihre Flügel

Und schlägt sie ewiglich."

Ungewollt musste ich lächeln. Insgeheim bewunderte ich ihn dafür, dass er das alles auswendig konnte, dennoch: „Das ist die Meinung von Herrn Claudius. Ich will deine Meinung hören, Dean."

„Weißt du, Liebes.", sagte er und löste seine Hand aus meinen Haaren. „Zu der Liebe gibt es unendlich viele Aussagen, die allesamt etwas wahres an sich haben. Soll ich meinen Senf da auch noch zugeben?"

„Ja.", sagte ich und schmiegte mich an seine Brust. „Bitte..."

„Ok.", seufzte er direkt neben meinem Ohr. „Die Liebe ist das grausamste und gleichzeitig unglaublichste was es je gegeben hat und je geben wird. Kein anderes Gefühl kann da mithalten, kein anderes Gefühl ist so unglaublich machtvoll." Er hielt kurz inne. Ich spürte sein Lächeln an meinem Ohr. „Sie kann dich retten, in unglaubliche Weiten befördern und aus dir einen anderen, besseren Menschen machen. Doch sie kann dich auch in den Abgrund ziehen, dich fallen lassen und dich in der Luft zerreißen. Die Liebe... sie ist so warm und rein, dennoch eiskalt und heimtückisch. Sie ist wie eine Münze. Sie hat immer zwei Seiten, kennst du die eine, ist die andere nicht weit entfernt. Wirfst du sie, lernst du höchstwahrscheinlich beide Seiten kennen, doch es ist niemals vorbei, solange du stets weiter wirfst. Und eines Tages, wer weiß wann, hältst du sie." Er umschlang mich ein wenig fester. „Du hältst sie und schaust nach. Kopf oder Zahl?"

Ich schwieg, nahm seine Worte in mir auf. Nur eine einzige Frage lag mir auf den Lippen.

„Kopf oder Zahl, Dean?"

„Melanie, meine Liebe..." Er löste sich von mir und lächelte mich schwach an. „Unsere Münze wurde noch lange nicht das letzte Mal geworfen."

Andere Welten - Etwas wie es einmal warWo Geschichten leben. Entdecke jetzt