Die Gänsemagd

1.4K 44 6
                                    

Er fuhr durch die Straßen und Gassen seiner Stadt, um Ausschau zu halten. Er sah Frauen in allen Altersklassen. Doch, irgendwie schien keine zu passen. Sie musste auch in den Leinengewändern noch richtig hübsch aussehen. Am besten wären auch lange blonde Haare. Dann bräuchte sie seine Perücke nicht aufzusetzen.

Er fuhr zu seinem Mehrparteienhaus, wo er eine Eigentumswohnung besaß, stellte sein Auto auf seinen Parkplatz und dachte nach. Da kam Isabella um die Ecke.

Isabella, die Tochter der alleinerziehenden Nachbarin. Hübsch, 16 Jahre jung und blondes, langes Haar. Es wäre ihm im Traum nicht eingefallen, Isabella zu fragen. Rasch stieg er aus.

"Hallo Isi!", grüßte er freundlich.

"Hallo Ralf", grüßte sie zurück.

"Ich wollte dich gerade abholen kommen. Ich bräuchte dringend deine Hilfe. Hättest du kurz ein wenig Zeit für mich?", säuselte er.

"Meine Mutter wartet oben. Ich soll ihr beim Einkaufen helfen", antwortete Isabella.

"Nein, ich habe deine Mutter natürlich schon gefragt. Sie ist einverstanden. Wir sind ohnehin bald zurück."

Das klang sehr überzeugend. Isabella stieg ohne lange zu fragen zu ihm ins Auto. Eigentlich war er ein bisschen komisch, fand sie. Denn war er immer freundlich und hatte ihrer Mama schon öfters geholfen. Einmal hatte er einen kaputten Dichtungsring erneuert, ein anderes mal einen Platten beim Fahrrad repariert. Klar, ihm auch einmal einen Gefallen zu erwidern.

Als sie aus der Ortschaft fuhren, fragte er sie:"Hast du dein Handy dabei?"

Isabella sah ihn aus großen Augen an:" Nein, warum fragst du?" "Ich habe vergessen, meine Schwester zurückzurufen und jetzt habe ich mein Handy zu Hause liegen lassen."

"Ach so! Nein, mein Handy ist leider auch daheim. Der Akku war komplett leer. Ich hab es noch immer angesteckt", erwiderte Isabella höflich.

Sehr gut, dachte er. Ohne Handy kann man dich nicht orten. Natürlich hatte er keine Schwester. Das war schnell frei erfunden. Ihre Mutter, die könnte lange warten. Zuerst wurde gespielt und dann......

Er hatte sich eigentlich noch nicht über das Danach Gedanken gemacht. Würde sie Spaß daran haben? Wäre sie die echte Prinzessin? Goldenes Haar hatte sie ja. Wenn alles nach seinem Plan verlaufen würde, gäbe der Gaul endlich die erwünschte Antwort. ER würde seinem davonfliegenden Hütchen nacheilen und dann würde er die Rollen tauschen müssen. Besser gesagt, dürfen. Dann würde er sie heiraten. Er wäre dann der Prinz und sie die wahre Prinzessin. Keine Gänsemagd mehr. Er würde ihr damit sogar einen Gefallen tun.

"Wohin fahren wir denn?", fragte Isi und riss ihn aus seinen Gedanken. "Ich habe vor längerer Zeit einen Bauernhof gekauft und bin gerade am Renovieren. Keine Bange, du musst nicht schwer arbeiten. Sollst mir nur kurz etwas halten helfen", lächelte er.

"Alles klar! Irgendwie riecht es hier komisch", stellte Isi fest.

Klar, nach totem Pferd und vielen Gänsen, du dumme Gans, dachte er.

"Hab was transportiert", kam die knappe Antwort.

Isabella war still. Irgendwie war das komisch. Einerseits war dieser süßliche, schwere Duft, der ihr bereits leichte Übelkeit verursachte, anderseits roch es irgendwie nach.....

Er wird etwas für seinen Bauernhof transportiert haben, dachte Isabella. Klar, es riecht auf einem Bauernhof. Der Mist, die Tiere. Hatte er überhaupt Tiere?

"Hast du Tiere?", fragte Isa. "Ja, ich habe Gänse!", antwortete er knapp.

Ralf war heute nicht gerade gesprächig. Er redete nie viel, doch heute war er extra kurz gebunden. Jedenfalls konnte sie jetzt einen der Gerüche zuordnen. Vögel. Genau. Es roch irgendwie nach größerem Vogel. Huhn oder in dem Fall Gans.

Isabella freute sich darauf seine Gänse kennen zu lernen.

Langsam bog er auf die Zufahrtsstraße seines Hofes. Er parkte vor dem Haus. Sie stiegen aus. Er ging voran, um den Hof und sie wurden mit erfreutem Geschnatter begrüßt.

Isabella stürzte auf das Gatter zu und kniete sich daneben auf den Boden, um die Gänse besser sehen zu können: "Mein Gott, sind die süß!", rief Isabella ganz verzückt. Doch, irgendwie roch es hier muffig. Nein, das war nicht der richtige Ausdruck. Faulig. Langsam hob Isabella den Kopf und sah auf tausende Fliegen, die auf einem ja - was denn - totem Tierkopf saßen. Irgendetwas war da über dem Scheunentor aufgehängt. Isa wurde mulmig zu mute.

Sie stand auf, ohne den Kopf aus den Augen zu lassen. "Was zum Henker......"

"Mein Gott! Stell dich doch nicht so an. Das ist nur ein toter Pferdekopf. Hab ich beim Metzger gekauft. Und wir beide werden jetzt spielen. Zieh dir bitte diese Leinenklamotten an. Ich werde mir schnell ein Hütchen holen und los geht‘s!"

Er war verrückt. Dessen war sich Isa sicher. Jetzt wäre wohl der richtige Zeitpunkt um schreiend auf die Hauptstraße zurückzulaufen. Aber er hatte ihr nichts Böses getan. Und Isabella war neugierig. Es war grausam anzusehen und es stank bestialisch, aber Isa hatte eben die Neugier eines 16 jährigen Mädchens und eigentlich stand sie ja auf abgefahrene Sachen.

Ralf kam mit einem viel zu kleinen Hütchen am Kopf zurück. Er war lustig anzusehen.

"Verdammt, ich hab dir doch gesagt, du sollst dir die Klamotten anziehen", herrschte er sie an.

"Nein, ich will diese komischen Fetzen....!"

Weiter kam sie nicht. Eine schallende Ohrfeige landete in ihrem Gesicht. Isa war geschockt. Ihre linke Wange schmerzte und irgendwie konnte sie noch gar nicht begreifen, wie ihr geschehen war.

"Ja, ich mach ja schon", stotterte Klara und zog sich das Leinenkleid über.

 "Alles darunter gehört weg. Glaubst du, sie haben damals Slip und BH getragen, oder wie?"

Isabella wollte ihn nicht verärgern. Dieser sonst so stille Ralf hatte eine "feste Rechte" und irgendwie hatte sie ein wenig Angst bekommen. Umständlich fädelte sie ihren BH aus den viel zu großen Armlöchern des Leinenfetzens. Hose zog sie unter dem Kittel hervor.

Glaubte sie wirklich er wäre dämlich? Was war mit ihrem Slip? Nein, sie müsste darunter nackt sein. „Zieh den blöden Slip aus“, schrie er sie an.

„Es reicht, ich will nach Hause“, stellte Isi fest. „Du wirst mir jetzt helfen, und dann fahr ich dich nach Hause. Kennst du das Märchen der Gebrüder Grimm „Die Gänsemagd“?“, fragte er.

„Nein, kenne ich nicht und das ist mir auch scheißegal. Ich gehe jetzt.“, sagte Isi und drehte um, um wegzugehen.

Grob riss er sie an den Haaren zurück. „Du bist meine Gänsemagd. Du wirst jetzt mit diesem scheiß Gaul reden und die Gänse dabei durch das Tor treiben Das kann doch wohl nicht zu viel verlangt sein.“

Isi schrie auf. Der Kerl war total irre. Sie musste sehen, von hier wegzukommen. Glaubte er denn, sie würde das nicht ihrer Mutter erzählen?

Mit der rechten Hand packte er ihren rechten Oberarm und riss sie grob herum. „Du brauchst nur einen Satz zu sagen und die Gänse unter dem Tor durchtreiben. Hast du das verstanden? Das Pferd wird dir dann antworten.“

Wie, was? Der Gaul, der dort oben angenagelt war, sollte mit ihr sprechen? Sie musste noch schneller von hier weg, als sie gedacht hatte. Sie glaubte nicht, dass er sie so ohne weiteres weglassen würde. „Okey, ich mach ja, aber dann darf ich nach Hause gehen!“, stellte Isabella fest.

„Ja, könnte sein, dass wir das wiederholen müssen. Doch wenn alles klappt, könntest du in einer halben Stunde wieder zu Hause sein.“

„Klingt doch gut“, stellte Isa fest.

Ralf ging zum Gatter und öffnete es, um seine Gänse zu holen.

Und Isabella rannte. Sie rannte um ihr Leben.

Dieses Dumme Luder hatte nur so getan. Kaum hatte er sich gebückt, rannte sie um ihr Leben. Das war jetzt leider nicht mehr allzu viel wert. Er könnte sie nicht mehr nach Hause gehen lassen. Jetzt nicht mehr. Hätte sie doch nur mitgespielt.

Nach wenigen Schritten hatte er sie eingeholt und Isabella wurde schwarz vor Augen. Ralf warf den Stein, der nun voller Blut war, ins Gebüsch.

Der MärchenmörderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt