Leonid stand schweigend vor einem Fenster, an dessen Scheibe sich der Frost langsam seinen Weg bahnte und starrte nachdenklich nach draußen. Seine bloßen Fingerspitzen legten sich gegen die Fensterscheibe und er konnte beobachten, wie die Eiskristalle um diese herum begannen zu schmelzen. Sein Atem bildete kleine Rauchwölkchen in der kühlen Luft, obwohl er sich innerhalb seines Anwesens befand. Ein gequältes Schluchzen drang durch das Haus und er zog langsam die Hand zurück. Leise seufzend striff Leonid sich seinen dunklen Handschuh über die langen Finger und verließ den Raum. Knallend fiel die Tür hinter ihm ins Schloss und er blieb für einen Moment lang schweigend und mit gesenktem Kopf im Gang stehen. "Maman..." Es war nur ein Flüstern, das sich unbewusst von seinen Lippen schlich. Die Erinnerung an seine Vergangenheit verpackt in einem Traum. Heiser lachte er auf. Jetzt folgte ihm seine Vergangenheit sogar schon in seine Träumen. Lautlos schritt er den Gang entlang und betrat das Zimmer der Mädchen...wie die Nacht zuvor. "Aufstehen. Ich erwarte euch angezogen in 10 Minuten unten bei Tisch." Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und machte sich auf den Weg nach unten. Gequält verzog er das Gesicht und rieb sich mit Daumen und Zeigefinger über die pochenden Schläfen. Er konnte das Getrippel der sich hastig fertig machenden Mädchen über sich hören, als er sich auf den Stuhl am Ende der langen Tafel niederließ. Vor ihm befand sich der reich gedeckte Frühstückstisch. Es war Sonntag und er würde gemeinsam mit den Mädchen frühstücken.
Keine Sekunde zu spät kamen sie die Treppe hinab und reihten sich hinter ihren Stühlen an der Tafel auf. Ihre blassen, zierlichen Körper waren gekennzeichnet von Narben und doch waren sie makellos. Zufrieden ließ Leonid mit einer Tasse kräftig duftendem schwarzen Tee in der Hand den Blick über jedes der zerbrechlich wirkenden Mädchen schweifen. Mit gesenktem Blick und Kleidern, die an Ballett erinnern zu vermochten standen sie reglos dort. Keiner wagte auch nur ein Wort von sich zu geben. Leonids Blick blieb an der grünäugigen Lynna hängen. Ihre Hand war umwickelt von einem Tuch. Genau wie ihre Armbeugen. Ohne, dass er es sehen konnte wusste er, dass ihre Knie ebenfalls mit Tüchern umwickelt waren. So machten es die Mädchen jedesmal. Wie erbärmlich.
"Guten Morgen Sir Cavanaugh." , drang es einstimmig aus den Kehlen der Mädchen. Er konnte sehen, wie unwohl Lynna sich fühlte und Leonid ließ seinen Blick weiter schweifen. Über blonde Haare, schwarze Locken, blaue Augen, edlen Seidenstoff bis hin zu den auffallend roten Haaren. Leise seufzte er. "Valerina....was hast du gemacht?" Das Mädchen mit dem roten Haarschopf hob den Kopf und sah Leonid aus eisblauen Augen an. Um ihr Handgelenk und ihren Unterarm wickelte sich weißer, blutgetränkter Stoff. Ihre Stimme war nicht mehr wie ein Flüstern, so wie Leonid es ihnen gelernt hatte. "Verzeiht Sir." In ihrer Stimme schwang tiefer Sarkasmus mit und das wusste sie nur zu gut. "Valerina!" Er sprang auf und sein Stuhl kippte laut scheppernd nach hinten. "Wag es ja nicht noch einmal! Hast du verstanden?!" Langsam senkte das Mädchen den Kopf. "Sehr wohl Sir." Seine Hände ballten sich wuterfüllt zu Fäusten. "Und jetzt setzen." Zähneknirschend drehte er sich um und hob seinen Stuhl auf, um sich auf diesem niederzulassen. Die angespannte Stimmung zog sich hinweg bis zum Ende des Frühstücks.
Valerina
Schweigsam gingen die Mädchen zurück auf ihr Zimmer. Dort angekommen ließ Vallery sich auf ihr Bett sinken. Das rote Haar hing ihr über die porzellangleiche Haut und bildete einen sofort wahrnehmbaren Kontrast zu ihren Augen. Sie war Cavanaugh's ganzer Stolz und das wusste sie auszunutzen. Valerina war das einzige Mädchen, das versuchte mit Leonids Geduld zu spielen. Keiner sonst wagte das. Voller Hast öffnete sie den provisorischen Verband um ihren Unterarm und riss ihn sich herunter. Mit Abscheu betrachtete sie das hauchdünne Metallplättchen an ihrer inneren Armseite direkt über ihrem Handgelenk. Es war blutbeschmiert. Mal wieder hatte Valerina versucht es sich von der Haut zu schneiden, doch dieses Mal ohne Erfolg. Fest biss sie die Zähne aufeinander, während sie die auf das Metall gravierten Ziffern laß....9502. Auch sie war nur eine Nummer. Eine von Leonid Cavanaugh's Puppen.
Selbst die Erinnerung schmerzte an ihren ersten Versuch sich die Nummer zu entfernen. Nicht der Schmerz, der durch das Messer entstanden war, das sie an einem Sonntag wie diesem beim Frühstück hatte mitgehen lassen. Nicht der Anblick ihres blutbesudelten Hemdes, das sie in jener Nacht trug. Vielmehr schmerzte die Bestrafung ihres Vergehens. Wie Leonid sie unvorstellbare Qualen erleiden ließ. Wie er ihr zeigte, was es bedeutet zu fühlen. Sie konnte seinen Kuss in ihrem Nacken noch immer spüren, als sie bemerkte, wie ihr stumm eine einzelne Träne über die blasse Wange rann.
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The Doll Player
Mystery / ThrillerMr. Cavanaugh. Ein Mann mit Klasse und Charme. Aber ist er wirklich der, der er zu sein vorgibt? Sein Haus ist erfüllt von Schreien. Denn er ist der Puppenspieler. | cover by MuffinsBlood |