Bewusstlos *

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Es ging alles ganz schnell. Als das heulende Geräusch der Sirene startete, war ich bereits wieder am Bewusstsein. Zwar nicht fähig, etwas zu sagen, doch ich nahm die Umgebung wahr. Während der Fahrt, wurde meine rechte Hand fast zerquetscht und gedrückt bis zum Punkt der Taubheit, doch das lenkte mich von den eigentlichen Schmerzen ab. Eine Maske auf meinem Gesicht ließ mich warme Luft inhalieren, obwohl mein Körper dagegen protestierte, einzuatmen. Meine Augen ließ ich geschlossen, denn ich kannte die brennenden Lichter in Krankenwägen. Stattdessen fixierte ich meine komplette Wahrnehmung auf die Berührung an meiner rechten Hand.

Der Krankenwagen kam zum Stehen und die Türe wurde mit einem lauten Ruck geöffnet. Ich spürte so starke Schmerzen. Als die Maske von meinem Gesicht genommen wurde, schnappte ich nach Luft, was aber wohl ein Fehler war, denn ein lautes Piepen dröhnte in meinen Ohren. Ich verzog das Gesicht, öffnete aber nicht ein einziges Mal die Augen. Dann wurde es wieder schwarz.

Ein zweites Mal kam ich zum Bewusstsein, als ich in einem Raum lag, wo ganz viele Schwestern um mich herumgingen. Eine hatte ihre Finger gegen meinen Hals gedrückt, eine andere strich mit einem Finger über meinen Arm, bevor eine Nadel hineinstach. Irgendwann war ich soweit, dass ich kaum Schmerz verspürte, stattdessen Angst. Die Berührung und Wärme an meiner rechten Hand war verschwunden, meine Finger kalt. Die dritte Maske an diesem Abend hinderte mich daran, meinen Mund richtig zu öffnen. Ich wurde wieder müde, sehr müde und schlief binnen weniger Sekunden ein.

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"Ich weiß es nicht, Ramona, okay? Ich werde morgen da sein, versprochen. Es tut mir Leid." Melinas Flüstern weckte mich zwar nicht, war aber das Erste, das ich hörte. "Sie hatte eine Herzattacke. Ja, ich weiß. Sag ich ihr, ja... Bis morgen." Melina seufzte leise. Dann brannte ihr Blick förmlich auf meiner Haut.

Ich öffnete die Augen ein bisschen, darauf wartend, dass mich grelles Krankenhauslicht empfangen würde. Doch es war dunkel. Mit einem leichten Schnauben, öffnete ich meine Augen ganz und versuchte meine kompletten Gedanken auf etwas anderes zu richten, als die Schmerzen. Es waren nicht mal wirklich Schmerzen. Es war ein unangenehmer Druck, an verschiedenen Körperstellen.

"Du bist wach."

Erleichterung. Ich konnte sie hören, in ihrer Stimme. Angst auch, vielleicht sogar Panik. Ich öffnete den Mund und bemerkte, wie trocken mein Rachen war. Ich sah zur Seite, an ihr vorbei, wo ein Glas stand. Sie folgte meinem Blick.

"Willst du etwas trinken? Hier.", sagte sie, während sie das Glas an meine Lippen legte und mich trinken ließ.
Das Wasser war kalt. Ich glaube ich hatte noch nie zuvor Wasser so sehr geschätzt.

Nachdem Melina das Glas wieder neben mich gestellte hat und ihren Blick wieder auf mich richtete, sah ich sie einfach nur an. Mir war nicht mehr schwindelig, und ich war auch nicht müde. Sie hingegen sah schlimm aus. Ihre Haare zu einem unordentlichen Dutt gemacht, ihre gesamte Gesichtsstruktur irgendwie gesunken. Ich fragte mich, wie lange ich nicht mehr 'anwesend' war. Ich sah ihr in die Augen, die rot und geschwollen waren. "Du hast geweint.", flüsterte ich.

Melina nickte leicht und presste die Lippen aufeinander. "Ich hatte Angst."

Dieses Mal nickte ich. "Ich auch.", erwiderte ich ehrlich. Wasser schoss in meine Augen. Erst jetzt wirkten die letzten ganzen Stunden auf mich ein. Die Hektik, die Panik, als ich zusammengebrochen war. Ich war erstickt. "Was ist passiert?"

"Chloe man... du hattest einen Herzinfarkt.", sagte Melina mit zitterender Unterlippe, "Er war leicht. Haben die Ärzte gesagt. S-sie... Ich hatte so schreckliche Angst, als ich dich gesehen hab!" Ihre Stimme wurde etwas lauter und zerbrach dann. "Mach das nie mehr..."

Da war es. Die Nähe. Wir kannten uns nicht lange. Doch da war ganz einfach diese Bindung zwischen uns. Es gab eine Zeit, da habe ich gedacht, es wäre physisch, auf einer angenehmen Distanz. Es war naiv und leichtsinnig, Melina so sehr zu... was? Lieben? Ich wollte keine Distanz mehr zwischen uns. Wie surreal war es, dass sie hier neben meinem Bett saß und wegen Angst um mich weinte? Mich darum bat, ihr diese Angst und den Schmerz nicht nochmal anzutun. Wie ein Versprechen von Ewigkeit und Länge.

Ich war mir sicher, dass unsere Gefühle nicht einseitig waren. Dass der Schmerz, den ich hatte, sich auf Melina übertrug. Es machte mich traurig, daran zu denken, wie viel Last sie gerade auf den Schultern trug. Ich wollte es nie jemandem antun, zu weinen. Um mich zu weinen. Angst zu haben. Ich war immer diejenige, die die Zähne zusammenbiss und selbstlos war. Diesmal war Melina selbstlos gewesen. Sie war eine Spiegelung von mir und gleichzeitig das Gegenteil. Wir... Wir gleichten uns aus.

Ich nahm ihr Angst. Die Nächte, in denen sie mich anrief und um Rat fragte. Ihr Leben war das Gegenteil von einfach. Und vielleicht war ich ja das Bestandteil, das Leichtigkeit in ihr Leben reinbringen konnte.

Ich bat ihr Komfort, den sie annahm. Sie hörte zu, wenn ich ihr über merkwürdige Träume oder Geschichten erzählte, um sie von etwas anderem abzulenken. Ich lachte über ihre schlechten Witze und öffnete für sie meine Arme, selbst wenn ihre fest verschlossen waren.

Sie gab mir Kraft. Ihre einflussreichen Worte, wenn ich kurz davor war, meinen Laptop oder das Buch gegen die Wand zu knallen, weil ich etwas nicht verstand. Du machst das schon, Chloe. Immer positiv denken, verstanden? Ihr Lachen war wie eine Melodie. Von einem Lied, das man auf 'Repeat' stellt, wenn man schwach ist. Ihr Lächeln spiegelte sich in meinem Gesicht. In jeder Berührung lag ein Funke Hoffnung. Hoffnung macht stark.

Und letztlich gab sie mir auch Liebe. Sie gab mir Liebe, wenn ich das Gefühle hatte, das es sonst niemand tat. In der Nacht meines Geburtstags, hielt sie mich so fest wie es nur ging. Vielleicht war es die Nacht? Als das Wort 'Liebe' endlich eine Definition für mich hatte. Melina war die Definition.

Ein Lächeln zauberte sich auf meine Lippen, ehrlich und stark. "Komm her.", sagte ich und Melina zögerte nicht. Sie stand auf und ich hob meine Decke an. Sie stieß sich die Schuhe von den Füßen und kletterte dann zu mir. Sie achtete darauf, dass sie die Sauerstoffsonde an meiner Nase nicht irgendwie rauszog und schob sich so weit nach oben, dass ich meinen Kopf auf ihre Brust legen konnte. Ich legte meine Arme, so weit es ging, um ihren Oberkörper und vergrub mein Gesicht in ihrem Nacken. Der Geruch war genau der selbe, wie vor einigen Wochen, als ich sie das erste Mal traf. Ich atmete tief durch, es schmerzte nicht. Der Druck hob sich schlagartig von meinen Schultern und unsere Hände verhakten sich. Sie strich mit ihrem Daumen über meinen Handrücken. "Danke, dass du hier geblieben bist."

"Du brauchst dich nicht zu-"

"Doch, Melina, doch." Ich sammelte Kraft, um zu sprechen. Es machte mich müde, doch die Worte mussten gesprochen werden. "Wir kennen uns seit wenigen Wochen und du hast so viel Zeit in mich gelegt, in.. u-uns." Ich löste meine Finger von ihren, um damit an den Saumen ihres Shirts zu greifen und es etwas zu heben. Ihre Haut entblößte sich leicht und ich berührte mit meiner Handfläche ihren Bauch. "Wieso, Melina?"

"W-weil... Ich weiß es selber nicht so ganz.", antwortete Melina mit gepresster Stimme. Ich wusste, dass sie log. Ich spürte die Enttäuschung in den Adern. Was wollte ich überhaupt von ihr hören?

Entscheide dich, Chloe.

"Weißt du es nicht oder willst du es mir nur nicht sagen?", hauchte ich und vergrub mein Gesicht noch etwas fester in ihrem Nacken. Ich wusste, was ich hören wollte, als ich anfing zu weinen. Ohne großen Grund. Vielleicht aus Verzweiflung, vielleicht aus Angst. Ich entschied mich für das Erste.

Es war so leise, fühlte sich unausgesprochen an. Doch sie sagte es. "Bevor ich dich kannte, glaubte ich nicht an... ich.. Ich glaube, man weiß erst, was Liebe ist, wenn man die richtige Person trifft. Egal wie richtig es sich vorher angefühlt hat."

Ihre Finger strichen mir etwas Haar aus dem Gesicht. Sie schluckte.

"Ich glaube du bist diese Person, Chloe... weißt du, ich.."

Ich unterbrach sie. Ich wollte sie nicht drängen. Niemals. "Ich weiß.", sagte ich stattdessen schnell und nahm ihre Finger wieder in meine, drückte sie etwas. "Du musst es nicht sagen."

"Ich will aber."

Ich schloss den Mund und die Augen und nahm ihren Körper fester in meinen. Soweit es meine Kraft zuließ, drückte ich sie an mich. "Okay."

"Ich liebe dich."

#22UhrNonMention - behind the love (abgebrochen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt