Kapitel 11

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Die kommenden Tage bekam ich kaum etwas mit. Ich lag nur noch im Bett, aß nur, wenn Tom mich dazu zwang, und versuchte den Schmerz im Schlaf zu betäuben. Die ersten drei bis vier Tage ging es gut. Ab dann plagten mich viele Albträume.

Zoey und Bill waren gefahren. Auch Maren musste zurück nach Hause, da sie mit ihren Eltern in den Urlaub fahren würde. Also war ich mit Tom alleine.

Der Schmerz saß so tief, dass es nicht mehr so weh tat in seiner Nähe zu sein. Er ließ mich nicht allein. Und das, obwohl ich kaum noch redete.

Der sechste Tag nach dem Absturz war angebrochen, als ich von der Klingel geweckt wurde. Ich hörte, dass Tom die Tür geöffnet hatte. Stimmfetzen drangen bis nach oben in mein Zimmer. Mir war egal, wer es war. Ich zog die Decke zurück über den Kopf und versuchte einzuschlafen.
Gerade, als ich eingeschlafen war, ließ die Matratze neben mir nach und ich hörte, wie Tom tief durchatmete. Er legte seine Hand an meine Wange und schaute mich verletzt an. Als ich meine Augen öffnete, versuchte er mich mit einem Lächeln aufzumuntern.
Ich setzte mich auf und schaute ihn an.

"Wer hat geklingelt?"

"Nur die Polizei. Die Identifizierung konnte letzte Nacht abgeschlossen werden. Sie mussten es nur offiziell noch einmal mitteilen ..."

Ich nickte stumm und ließ mich zurück in die Kissen fallen. Die Leere in mir breitete sich weiter aus.

"Vi, komm mal her", sagte er dann überzeugt, hob die Bettdecke hoch und legte sich zu mir unter die Decke. Er griff mir um den Bauch und zog mich zu sich. Ich konnte an meinem Rücken seinen Herzschlag spüren. Es war so intim, dass ich kurz nach Luft schnappen musste. Es war das erste Mal wieder, dass ich etwas fühlte.
Tom küsste mich auf den Hinterkopf und strich die Haare etwas zur Seite.
Dann legte er eine Hand auf meine Hüfte und streichelte mit ihr auf und ab. Ein unglaubliches Gefühl.

"Lass mich bitte nicht alleine", flüsterte ich benommen und spürte, wie Tränen aufkamen.

"Niemals", hauchte er.

Ich drehte mich um, weil ich das Bedürfnis hatte, ihm direkt in die Augen zu sehen. Sein Blick war unergründlich. Irgendwann konnte ich diesem nicht mehr standhalten und kuschelte mich an seine Brust. Sein Herz schlug unter meiner Hand. Eine Gänsehaut legte sich auf meine Haut und ich fühlte mich nicht mehr ganz so leer.

Ich war als erster von uns beiden wieder wach. Tom schlief noch immer tief und fest und ich schaute ihm beim Schlafen zu. Es lenkte tatsächlich etwas ab. Sein Atem ging regelmäßig und seine vollen Lippen bebten zwischendurch. Es sah süß aus.

"Beobachtest du mich", murmelte er plötzlich. Ich hatte ihn so verträumt angestarrt, dass ich kaum etwas mitbekommen hatte. Ich zuckte etwas zusammen und vergrub mein Gesicht wieder in seinem Shirt.

"Du kannst dich nicht verstecken", kicherte er und zwickte mir unter der Decke in die Seite. Er rollte sich von der Seite auf den Rücken und starrte nachdenklich gegen die Decke. Ich stützte mich auf dem linken Ellbogen ab und lehnte etwas über ihm. Die rechte Hand hatte ich auf seine Brust gelegt. Er schaute mir dann in die Augen.

"Du siehst ausgeschlafen aus", murmelte er.

Ich nickte und starrte ihm weiter tief in die Augen. Ich sah in seinem Blick, wie nachdenklich er meinen gefühlvollen Augen standhielt. Es war offensichtlich, dass die Situation nie so gefühlvoll gewesen war, wie sie gerade ist. Und es schien ihn nicht zu stören.

Seine linke Hand schnellte hervor, als er eine Haarsträhne aus meinem Gesicht strich. Mir war dabei gar nicht aufgefallen, dass ich mich immer tiefer zu ihm herunter beugte. Er strich sich mit der Zunge über seine Lippe, was mich etwas aus der Fassung brachte. Ich kaute kurz auf der Unterlippe herum und sah genau, wie er mir dabei auf die Lippen starrte.

Ich weiß letzt endlich nicht, was der Auslöser war. Ob es sein liebevoller Ausdruck, sein erwidernder Blick oder die außergewöhnliche Situation war, aber ich tat das, was ich mir so lang gewünscht hatte.
Vorsichtig näherte ich mich und checkte kurz bevor unsere Lippen aufeinander trafen, seine Reaktion ab. Er wehrte sich nicht. Und wenig später dann, spürte ich seine vollen Lippen endlich auf meinen.

Ein Feuerwerk schien in mir zu explodieren und auch, wenn er erst nach dem Bruchteil einer Sekunde den Kuss erwiderte, fühlte ich mich vollkommen.
Der Kuss war weich und viel schöner, als ich ihn mir in meinen schönsten Fantasien je ausgemalt hatte. Und er war viel zu schnell wieder vorbei.

Er räusperte sich und lächelte mich uneindeutig an. Irgendwie verletzte es mich etwas.

"Vi ... Ich glaube ich hole dir mal etwas zu essen", murmelte er verwirrt und stand auf. Zuletzt mit einem liebevollen Lächeln, das mich wieder etwas beruhigte.

Ich nickte nur und starrte ihm hinterher. Ein riesiges Chaos begann in mir auszubrechen. Als er verschwunden war, griff ich schnell zu meinem Handy und schrieb Maren, was passiert war.

Wenig später war Tom dann schon wieder zurück und brachte Essen ans Bett.

"Iss das bloß auf. Du hast die letzten Tage viel zu wenig gegessen." Er lächelte etwas.

Ich nickte und war etwas konsterniert von seiner aufgekratzten Stimmung.

"Und ich muss mal eben nach Hause, okay? Irgendwie stresst Mum wohl rum, Bill hat mir geschrieben."

Er verdrehte die Augen im Kopf. Ich zuckte nur mit den Schultern und war mir gar nicht mehr sicher, was ich fühlen sollte. Auf jeden Fall war mir klar, dass der Kuss etwas geändert hatte. Und ich wusste, dass es nicht unbedingt positiv war. Das merkte ich an der Art und Weise, wie er die für ihn unangenehme Situation zu überspielen versuchte.

Verliebt in meinen besten FreundWo Geschichten leben. Entdecke jetzt