Kapitel 14

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Tom war schon seit fast zwei Stunden im Dorf, um einen Großeinkauf zu tätigen. Ich war hier geblieben und schaute gedankenverloren der Sonne dabei zu, wie sie unterging. Wenig später trieb es mich nach draußen. Als ich einen Fuß auf die Veranda setzte, spürte ich sofort den warmen Sommerwind um meine Nase kitzeln. Ohne Schuhe trat ich auf die Wiese und fühlte mich wie in einem Film, so wie die Haare aus meinem Gesicht geweht wurden, das bunte Sommerkleid zurückwehte und der See tiefblau leuchtete, auf den ich zusteuerte.

Auf einem kleinen Felsvorsprung nahm ich Platz, den ich mit etwas Mühe hochgeklettert war. Eine Gänsehaut legte sich auf meine Haut, als ich schließlich bewegungslos auf das Wasser schaute. Ich begann ein Lied zu singen, dass ich aus meiner Kindheit kannte. Mein Mum hatte es mir immer vorgespielt. Mit Tränen in den Augen sang ich es irgendwann mit Begeisterung und Leidenschaft, die mich wirklich glücklich machte.

Eine Hand legte sich unerwartet auf meine Schulter und ich erschrack so doll, dass ich kurz aufquieckte. Natürlich fand Tom das lustig, aber er schenkte dem nicht lang Bedeutung. Vielmehr setzte er sich neben mich, strich mir die Tränen aus dem Gesicht und schloss mich in seine Arme.

"Es ist okay, wenn du trauerst", flüsterte er in mein Ohr. Ich schluchzte kurz auf und hielt inne.

"Was war das eigentlich für ein Lied?", murmelte er wenig später dann liebevoll. Es war mir nicht einmal peinlich, dass er es gehört hatte. Das war ein gutes Zeichen.

"Das ist von meiner Kinder-CD, die ich zum zweiten Geburtstag bekommen hab ... Das Lied dieser Welt heißt es. Mum und Dad haben es damals oft mit mir gesungen."

"Achso", erwiderte er und verstummte.

Wir schwiegen und saßen bestimmt eine halbe Stunde am schönsten Ort der Welt.

"Du frierst wohl", stellte er nach einer Weile fest. Erst als er es sagte, fiel mir auf, dass ich zitterte. Dabei fror ich nicht.

Er stand auf und hielt mir seine Hand hin.

"Du musst etwas essen Vi. Wenn ich mich richtig erinnere, war dein Frühstück wirklich kaum angerührt worden und heute Mittag hast du dich ebenfalls geweigert."

Ich griff seine Hand. Als er mich hochzog, fiel ich fast in seine Arme und war ihm plötzlich so nah, dass mein Herz kurz aussetzte. Währenddessen verlor ich kurz das Gleichgewicht, als das Blut ruckartig in meine Beine schoss, und er fing mich auf. Ich hob meinen Blick und schaute ihm tief in die Augen. Zugegeben, das alles war schon etwas Klischee-mäßig. Auch er schaute mir nämlich tief in die Augen. Spürte er die Funken nicht auch? Es war unmöglich, dass er es nicht spürte.

"Entschuldigung", unterbrach uns eine ältere Dame, die fast aus dem Nichts kam. Am liebsten hätte ich ihr einen Stein gegen den Kopf geworfen. Wie unpassend konnte ein Mensch eigentlich sein?

"Naja, es geht um meine Gertrude, habt ihr sie gesehen?", lispelte sie, "sie entläuft mir ständig. Dabei kriegt sie alles von mir, was sie will."

Ich strich mir gerädert durchs Haar und schaute sie nicht wirklich für voll nehmend an.

"Wer ist denn Gertrude?", fragte Tom etwas amüsiert und kletterte herunter zu der Frau. Danach half er mir ebenfalls von dem Steinvorsprung herunter und griff mir dabei um die Hüfte. Es war eine traumhafte Bewegung. Er ließ mich immer so leicht aussehen, wenn er mich trug. Der Abend war filmreif, wie gesagt.

"Meine Gertrude. Ja, mein Mädchen. Es ist eine Cocker Spaniel Hündin, und sie ist schon wieder unterwegs. Um Gottes Willen, sie bringt mich noch ins Grab", schnappte die alte Dame schon besorgniserregend nach Luft. Jetzt konnte ich auch darüber schmunzeln.

Tom schaute sich auffällig um.

"Tut uns leid. Wir haben keinen Hund gesehen."

"Na gut. Wenn ihr sie seht, bringt sie zu mir ins Dorf. Ich wohne neben der Bäckerei", schnaufte die Omi und dampfte ganz gelassen wieder ab. Ich legte meine Stirn in Falten und schaute Tom irritiert an. Dann begannen wir beide zu lachen.

"Wie wäre es eigentlich mit einem kleinen Bad?", fragte Tom mit einem schelmischen Grinsen.

"Ohhhhh neeeeein. Oh nein, oh nein", protestierte ich sofort, als er auffällig zwischen mir und dem Wasser hin und her sah.

"Es ist super warm", machte er es einladender und griff mir bereits um meine Hüfte. Wir schaukelten langsam zum Wasser, während ich versuchte mich etwas zu wehren. Schon wieder war da dieses Knistern, als er von oben herab in meine Augen schaute und ich so dicht an ihm stand, dass ich seinen Herzschlag wahrnahm.

"Tom?", hauchte ich.

"Ja?", flüsterte er zurück.

"Danke für alles."

"Das machst du extra, was? Sentimental werden, dass ich gar nicht erst dran denke, mh?"

"Jap", gab ich zu.

"Na gut, heute hast du Glück", gab er sich geschlagen und trat einen Schritt zurück. Er machte einen seltsamen Eindruck, der mich etwas verwirrte. "Wir essen jetzt wie gesagt erstmal was!"

Ich nickte schnell und wir liefen zurück zur Hütte.

"Oh verdammt", sagte er plötzlich und schaute mich geschockt an.

"Was ist passiert?", fragte ich schockiert.

"Ich hab ganz vergessen, Getränke mitzubringen." Er dachte schnell nach. "Ich fahre eben nochmal kurz zu einer Tankstelle oder so, ja? Ich beeile mich auch!"

Ich nickte gedankenverloren und sah ihm im Auto wenig später noch hinterher.

Erst ging ich duschen, dann spielte ich am Klavier herum und danach setzte ich mich an den Fernseher. Und irgendwann begann ich mir Sorgen zu machen. Ich rief ihn an, aber er hatte sein Handy nicht mitgenommen. Nervös biss ich mir auf der Unterlippe herum und lief wenig später schon auf und ab.

Als es dann gegen Mitternacht, also drei Stunden, nachdem er gefahren war, an der Tür klingelte, stand ich schon kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Erst Recht, als ein Polizist vor der Tür stand und mich nach den Personalien fragte.

"Sind Sie Olivia Maria Zellermann?"

Ich nickte verängstigt.

"Es geht um einen Tom Kaulitz."

"Was ist mit ihm?", schnürte sich mir die Kehle zu.

"Er hatte einen Autounfall. Er befindet sich auf dem Weg ins Krankenhaus, aber machen Sie sich nicht zu große Sorgen. Er war erst noch ansprechbar und wird gut behandelt werden. Es wird von einem Beinbruch, einer mittelstarken Gehirnerschütterung und zwei gebrochenen Rippen ausgegangen."

Ich wäre zusammengesackt, wenn der Polizist mich nicht im letzten Moment gehalten hätte.

"Bringen Sie mich zu ihm, bitte", hauchte ich und spürte schon wieder, wie Tränen die Augen füllten. Was hatte diese Welt eigentlich gegen mich, dass ich so viel aushalten musste?

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Was sagt ihr? :O

Verliebt in meinen besten FreundWo Geschichten leben. Entdecke jetzt