♥ 4

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»Lass uns Tattoos machen lassen.«

Jan war schon immer der Verrückte von uns beiden. Wenn ich joggen wollte, hatte er vor zu fliegen. Wenn ich Kaffee trank, wollte er einen dreifachen Espresso. Wenn ich lebte, starb er.

»Tattoos?«, wiederholte ich zweifelnd und warf den dunkelroten Pappbecher in den Müll. Obwohl er halbvoll war. Nichts schmeckte so gut, wie im MoonHour. Doch einen ganzen Tag ohne Koffein hielt ich ebenfalls nicht aus.

»Ja. Lass uns etwas machen, das niemals vergessen wird! Wir sind jung!«

Und genau das war, was wir machten. Jan kniff im letzten Moment, aber dank der horrenden Geldsumme, die er dem Mann auf den Tisch legte, wurde ich sofort drangenommen.

Jan versuchte immer nur das Beste für mich zu wollen. Ohne zu wissen, dass selbst das Beste niemals gut genug für mich sein wird, wenn er nicht hier ist.

Doch das ist jetzt egal. Denn der Schmerz der Nadel auf und unter meiner Haut lenkt meine Gedanken in eine andere Richtung.

Wie schön es sein kann, mal nicht nachzudenken. Sich nicht zu sorgen. Sich nicht zu wünschen, etwas gesagt oder getan zu haben.

Es ist schön, wenn man einfach lebt. In den Tag hinein.

Memento mori. Gedenke, dass du sterben wirst.

Ich bin kein depressiver Mensch. Jan ist es auch nicht. Seine Chancen stehen recht gut, trotz der wiederkehrenden Krankenhausbesuche und den ewiglangen Untersuchungen und Behandlungen. Unsere Eltern sind die meiste Zeit über nicht im Land und auch das ist besser so. Wir sind erwachsen genug, um alleine damit klar zu kommen.



»Hast du endlich eine Freundin?«, fragt Jan am nächsten Morgen, als ich gerade aus dem MoonHour zu ihm ins Krankenhaus komme.

Die hübsche Barista trug heute wieder ihre Brille und war die ganze Nacht still. Ich frage mich, ob ihr das nicht langweilig wird. Doch gleichzeitig weiß ich, dass es mir auch niemals trist vorkommen wird, in ihrem Laden zu sitzen. Sie wird sich etwas dabei gedacht haben, diesen Job zu machen.

Ich lächle Jan an und stelle meinen Laptop neben mich auf den Tisch. Im Flur stierte eine Krankenschwester mich böse an und hielt eine Predigt darüber, dass ich ihn nicht einfach entführen kann, um mir ein Tattoo stechen zu lassen. Ob ich nicht weiß, wie gefährlich das ist. Was hätte passieren können.

Was ein Witz.

Ich fragte sie, ob sie noch nie gelebt hat.

Das Leben ist einfach rundum in meinen Gedanken. Immer. Welche Ironie, dass Jan erst sterbenskrank werden musste, damit ich erkenne, wie wertvoll jeder Tag ist. Aber das ist vermutlich immer so. Man vermisst etwas erst, wenn man dabei ist, es zu verlieren.

»Ich glaube ...«, setze ich an und sehe in Jans strahlendes Gesicht. »Es gibt da ein Mädchen und sie wohnt über einem Café. Über ihrem Café und ich bin jede Nacht dort, seit vielen Wochen.«

Und so erzähle ich Jan alles. Von den braunen Haaren der Frau. Von dem Klang ihrer Stimme. Von den Cupcakes, die sie mit so viel Liebe zubereitet und die ich nicht essen kann. Aber sie hat sie gemacht. Und ich habe mehr als genug Geld, das ich benutzen kann. Wieso dann nicht für Cupcakes, die ich nicht esse. Nur um ihr eine Freude zu machen?

»Du verdienst es, glücklich zu sein«, sagt er am Schluss und ich berühre nur mein frisches Tattoo, das sie ganz genau gesehen hat.

Was sie wohl von mir denkt? Ob sie überhaupt an mich denkt?

Everyday at 9PM (I want to see you)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt