♥ 28

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»Was machen Sie beruflich?«

Die befürchtete Standartfrage. Mein Vater liebt es, meine Freundinnen auszuquetschen. Bisher hat das immer dafür gesorgt, dass er und ich uns in die Haare bekamen. Er fand niemanden gut genug für mich.

»Ich leite ein Café«, sagt Kassy und lächelt ihn an. Sie ist süß, wie sie versucht, bescheiden zu sein.

Bevor Papa reagieren kann, springe ich ein: »Ihr gehört das gesamte Haus.«

»Sie sind Hausbesitzerin?« Papa sieht sie an und scheint sie neu einzuschätzen. Das ist natürlich etwas ganz anderes, als eine Frau aus der Arbeiterklasse oder eine andere Studentin. Das passt in seinen Lebensstil hinein. Das billigt er. Ich kann ihn durchschauen wie schon als Kind. Reichtum ist wichtig, Reichtum ist gut.

Doch Kassy starrt mich mit zusammengekniffenen Augen von der Seite an. Ich weiß nicht, was sie hat. Ich rette uns gerade. Sie. Ich rette sie.

»Es ist nur ein zweistöckiges Altbauhaus. Als es verkauft wurde, konnte ich es für einen Schleuderpreis erwerben. Es sollte ursprünglich abgerissen werden, um ein Gebäude zu bauen, das mehr in die Gegend passt.«

Genau das liebe ich so an dem MoonHour. Nicht nur dass es 24 Stunden offen hat. Auch den Charme, den das kleine Haus ausstrahlt. Alle Häuser in der Straße sind mindestens drei-, meistens vierstöckig. Nicht so Kassys Haus. Es ist klein und fein. Es lässt das Café herausstechen aus der Menge. Genau wie Kassy heraussticht.

Papa fängt an, mit ihr über die Arbeit zu reden. Sogar über seine Patienten. Sie lachen zwischenzeitlich und so habe ich die Chance, gedanklich etwas abzudriften. Ich weiß nicht, was Papa so bewundernswert an Kassandra findet, aber ich bin froh. Denn wenn er sie akzeptiert ... Ich weiß auch nicht. Es ist das erste Mal, dass das passiert.

Mama hat sich mit dem Essen selbst übertroffen. Es gibt gefüllte Lachstaschen, Pasta mit drei verschiedenen Saucen, Garnelenspieße und einen exotisch aussehenden Braten. Es erinnert mich an früher und zum ersten Mal finde ich das nicht schlimm. Das Essen war immer das Beste an unserem Zuhause. Nach der riesigen Treppe, die Jan und ich immer heruntergerutscht sind.

Es ist nicht das erste Mal seit Jans Tod, dass ich hier bin. Und doch sticht es in meiner Brust. Am Kamin im Salon hat er sich einen Zahn ausgeschlagen. Am Esszimmertisch haben wir Kartoffelbrei-Schlachten geführt. Von dem Schrank in der Küche ist er heruntergefallen, weil er Kekse stibitzen wollte.
Jan ist allgegenwärtig in diesem Haus. Ich weiß nicht, ob mir das gefällt.

Als das Essen beendet ist und klar wird, dass kein Nachtisch folgt, steht Kassandra auf und bittet uns, kurz zu warten. Ich blicke von meinen Eltern zurück zu dem Platz, an dem meine Freundin zuvor gesessen hat und frage mich, in welchem Paralleluniversum ich gelandet bin. Wieso hatte ich überhaupt Angst? Bisher läuft der Abend perfekt. Meine Eltern lieben sie, es gab keine unangenehme Stille und alles ist, wie es sein muss.

Kassandra erscheint mit einem gelben Karton aus dem Café und stellt ihn plump auf den Wohnzimmertisch, wo wir einige Drinks eingenommen haben. Sie öffnet die Verpackung und offenbart eine Vielzahl an Kuchen und Cupcake-Variationen.

»Ich wollte das deinen Eltern schenken. Eine kleine Kostprobe und ein Gastgeschenk gleichzeitig«, sagt sie, doch sieht mich nicht an. Ihr Ton ist kühl, auch wenn sie versucht, es zu überspielen.

»Das wäre doch nicht nötig gewesen!«, sagt meine Mutter umgehend und ich sehe in ihrem Kopf die Kalorien, die sie zusammen zählt. Bevor sie etwas zu sich nimmt, muss sie immer zählen und berechnen und abwägen.

Mein Vater hingegen greift sofort beherzt nach einem Zitronen-Cupcake, der sonnenblumengelb ist. Er beißt einfach so hinein. Der Mann, der selbst für ein Gummibärchen von uns verlangt hat, Teller zu benutzen. Krümel fallen auf seine Krawatte und den Teppich.

Gespannt starren wir ihn alle an, warten bis er die Augen wieder öffnet. »Kassandra, Sie sind eine begnadete Bäckerin.«

»Sie ist noch so viel mehr als das«, entgegne ich grinsend, aber erneut reagiert Kassandra nicht und ich frage mich, was ich getan habe.





[A/N: Und ein neuer Textschnipsel. Und der ganze Titel. Everyday at midnight - Mal was anderes, oder? ;)]

 Everyday at midnight - Mal was anderes, oder? ;)]

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Everyday at 9PM (I want to see you)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt