~9~ Held

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Skye

Mein Herz setzte für einen Moment aus, als ich plötzlich mit vollem Gewicht an meinen Händen hing.
Mit hoher Geschwindigkeit raste ich über die tosenden Wellen hinweg. Der Flugwind  ließ meine Haare wild hin und her peitschen. Meine Armmuskeln waren bis zum Zerreißen angespannt. Eine halbe Minute verstrich und ich starrte unentwegt auf das, im Moment noch rot leuchtende, Lämpchen und hoffte, dass es endlich die Farbe wechselte. Meine Hände waren schwitzig und meine Finger verkrampften sich um die Griffe. Mein Herz pochte und mein Kopf war leer. Außer der Anspannung und dem Wind spürte ich nichts.
Die Felsen waren mittlerweile sehr nah, doch ich fürchtete, dass ich nicht durchhalten würde. Dass ich verlieren würde, bevor es überhaupt erst richtig losgegangen war. Dass ich Yara im Stich lassen würde. Nein. Nein, ich würde meine kleine Schwester ganz sicher nicht alleine lassen! Ich sammelte meine letzten Kraftreserven, um anzukommen. Zu gewinnen. Die erste Runde des Spiels zu überstehen. Ich wusste nicht, wie viele Runden das Spiel haben würde, doch in diesem Moment beschloss ich jede einzelne zu meistern, jede Runde über mich hinauswachsen würde.

Verbissen starrte ich auf das Lämpchen. Mein Blick ging nach unten. Es waren nur noch wenige Meter. Nur noch ein paar Meter. Ich ließ das rote Licht nicht aus den Augen. Ich bemerkte am Rande, dass ich mittlerweile über Land war. Was für ein Glück.

Freu dich mal nicht zu früh. Wenn du jetzt loslässt, zermatschst du auf dem Boden... Wirklich schön ist das nicht gerade.

Meine Muskeln protestierten. Ich konnte mich nicht länger halten. Langsam glitt ein Finger nach dem anderen vom Griff. Fieberhaft sah ich auf die Lampe, dann nach unten und schließlich nach vorne. Was war das denn? Neben den zehn Seilbahnen zogen sich auf beiden Seiten Felswände entlang und eine weitere war direkt vor uns in Sicht.
Ich hing nur noch an einer Hand in der Luft. Ich blickte erneut zur Lampe. Dann gaben meine Muskeln ihren Geist auf und ich fiel.

~•~

Luces

„Wie lange dauert das?", knurrte ich die Rothaarige an.
„Eine Minute hin und eine zurück.", sagte sie und schnalzte mit der Zunge, „Es sei denn sie fällt früher 'runter, dann ist sie tot und das Teil kommt zurück sobald sie 'runtergefallen ist."
Hoffentlich ist Skye nicht abgestürzt, ich hatte doch noch so viele schöne Ideen, was ich alles mit ihr anstellen könnte.
Ich guckte mich um. Ein paar Leute wurden bereits eingewiesen, was wohl hieß, dass die Teilnehmer, die vor ihnen hinüber wollten, abgestürzt waren. Gestorben waren. Vielleicht war das besser so. Wenn sie noch nicht einmal drüben ankommen konnten, konnten sie im Spiel wahrscheinlich erst recht nicht überleben.
„Also, Junge, da wird ein Lämpchen sein, das rot leuchtet und erst dann auf grün umspringt, wenn du loslassen kannst.", fing die Kämpferin an zu reden.
„Ich bin ein Mann, kein Junge.", sagte ich.
Leicht erstaunt sah sie zu mir hoch. Sie war noch jung. Maximal fünf Jahre älter als ich.
„Pass mal auf, Jungchen. Wenn du da wieder rauskommst, bist du ein Mann. Vorher nicht. Ich gebe dir noch einen Rat: Überschätze dich nicht, denn das macht dich zu einer Zielscheibe. Es gibt Menschen dort oder auch nicht dort, die es äußerst amüsant finden, Teilnehmern wie dir das Leben schwer zu machen. Es ist also besser, du fällst nicht auf.", raunte sie mir zu.
Ich nickte einfach nur.
„Darf ich fragen, wie alt Sie sind?" Respekt ist normalerweise nicht so meins, aber bei Kämpfern oder Kämpferinnen ist das etwas anderes. Sie haben meinen Respekt verdient.
Sie wirkte leicht irritiert, antwortete aber: „Klar. Ich bin neunzehn."
Ich gab einen erstickten Laut von mir. Neunzehn?
„Neunzehn?" Den ungläubigen Unterton konnte ich nicht unterdrücken.
Sie nickte betrübt.
„Das Spiel verändert."
Bevor ich weiter nachfragen konnte, nahm sie die Einweisung wieder auf, doch das traurige Schimmern in ihren Augen blieb.

Gegen das System (pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt