5 Minuten zu spät kamen wir in der Schule an. Es war schon wieder Montag und natürlich hatte ich verschlafen.
Das passierte mir nicht gerade selten, weshalb Mr Hendriks Sue und mich mit einem strengen Blick bedachte, als wir eintraten. "Tschuldigung", hechelten wir beide im Chor.
Ich konnte mich echt glücklich schätzen, dass Sue trotz alledem immer auf mich wartete und ich so nicht die Einzige war, die immer zu spät kam. Also ließen wir uns auf unsere Plätze fallen und lauschten mehr oder weniger interessiert dem Unterricht.
Dieser verlief nämlich, wie immer, komplett unspektakulär. Am Ende der Stunde war ich dann nicht nur gelangweilt sondern auch genervt.
Ich hatte ab und zu mal einen Blick zu Silver geworfen und musste so mitansehen, wie Alice immer noch mit allen Mitteln versuchte, Silvers Aufmerksamkeit zu bekommen.
Es war schon fast erbärmlich, wie sehr sie sich um ihn bemühte. Irgendwann musste man doch checken, wenn jemand einfach absolut kein Interesse an einem hatte.
Jetzt, in der Pause schien sie aber endlich mal lockerzulassen, denn sie verschwand mit Kacy im Schlepptau aus dem Klassenraum. Das war die Gelegenheit. Ich stand auf und bahnte mir meinen Weg zu Silvers Platz.
Glücklicherweise saß er ganz hinten in der Ecke, so dass niemand unser Gespräch mit anhören konnte. "Hey", sagte ich und stützte meine Hände vor ihm auf dem Tisch ab. "Hey Lynn, was gibt's?", entgegnete er und ich merkte ihm sofort an, dass er versuchte, locker zu wirken.
"Kann ich mich kurz zu dir setzen?", fragte ich und Silver nickte. "Also", begann ich und senkte ein wenig die Stimme, um sicher zu gehen, dass uns wirklich niemand hören konnte.
"Warum warst du am Freitag plötzlich weg? Und warum war ich wieder am See, als ich aufgewacht bin?"
Silver begann sofort, nervös mit seinem Bleistift rumzuspielen und lief leicht rot an. "Ich wollte dich nicht wecken, als du geschlafen hast und da hab ich dich zurückgebracht", nuschelte er.
Zurückgebracht? Also hatte er mich tatsächlich getragen? "O-Okay, danke..", stotterte ich, fing mich aber im nächsten Moment wieder.
"Also was ich eigentlich fragen wollte: Wann bauen wir weiter?" Er senkte den Blick. "Lynn, du brauchst mir nicht zu helfen, ich schaff das scho.." Ich seufzte und schnitt ihm damit das Wort ab.
"Müssen wir das jetzt nochmal durchkauen?" "Wieso willst du mir so unbedingt helfen?", platzte er plötzlich raus und sah mir das erste Mal heute direkt in die Augen.
Gosh, diese Augen! Es vergingen ein paar Sekunden, ohne dass ich meinen Blick von seinen unglaublich schönen Augen wenden konnte.
"Akzeptier doch einfach, dass es jemanden gibt, der dir helfen möchte", sagte ich schließlich. "Heute bauen wir weiter, klar?", sagte ich bestimmt.
"Okay", antwortete er, aber er sah immer noch besorgt aus. "Um drei bin ich da", meinte ich und wollte mich gerade umdrehen, als Alice dazwischenfunkte.
"Ihr seid verabredet?", fragte sie mit zuckersüßer Stimme und klimperte mit den Augen. "Was geht dich das an?", antwortete ich genauso zuckersüß und ließ sie einfach stehen.
Ich musste mein Grinsen unterdrücken, als ich mir ihren Gesichtsausdruck ausmalte. Beflügelt gesellte ich mich wieder zu Sue.
Shit, ich hatte schon wieder vergessen, mir eine Ausrede für sie zu überlegen. Sie sah mich fragend an, musste aber schließlich breit grinsen, als ich nicht mit der Sprache rausrücken wollte.
"Schon wieder ein Kugelschreiber?" Ich nickte bloß verlegen. Meine beste Freundin bedachte mich eines wissenden Blickes und fragte nicht weiter nach. Dachte sie etwa, dass ich etwas mit Silver am Laufen hatte? Absurde Vorstellung..
Ein paar Stunden später machte ich mich auf den Weg zum Wald. Ich sah Silver schon am See sitzen, als ich mein Fahrrad abstellte.
Er hatte mir seinen Rücken zugekehrt und mich deswegen noch nicht bemerkt, also beschloss ich, ihn zu erschrecken. Ich schlich mich so leise, wie möglich an ihn ran.
Aber als ich nur noch gut zwei Meter von ihm entfernt war, drehte er sich plötzlich um und sah mich schmunzelnd an. "Du bist so laut, wie ein Elefantenbaby", rief er mir lachend entgegen.
"Elefantenbaby?", entgegnete ich und setzte mich neben ihn. "Ja Elefantenbaby. Ich mag Elefanten" "Sind das deine Lieblingstiere?", fragte ich.
"Naja, ich hab in echt noch nie welche gesehen, aber auf Bildern sahen sie immer toll aus" Ich starrte ihn geschockt an. "Du hast noch nie einen Elefanten gesehen?" "Nein, aber das würd ich gern mal"
Ich wusste nicht mehr, was ich darauf antworten sollte also blickte ich einfach stumm auf den See. "Ist ja auch egal", murmelte er nach einer kurzen Pause. "Komm" Er stand auf und hielt mir die Hand hin. Ich nahm sie und er half mir, aufzustehen.
Diesmal herrschte auf dem Weg zum Glück nicht so ein unangenehmes Schweigen, wie sonst immer.
Wir unterhielten uns ein bisschen über die Schule und vor allem über den Sportunterricht. Darüber kamen wir dann auch auf das Thema Hobbys und er erzählte mir, dass er zu Hause jeden Abend Fitnesstraining machte.
Naja, irgendwoher mussten die ganzen Muskeln ja kommen.
Irgendwie war die Stimmung heute allgemein angenehmer als sonst. Je öfter wir uns miteinander unterhielten, desto lockerer wurde die Stimmung und die Anspannung vom Anfang verflog langsam. Ich fühlte mich mittlerweile nicht mehr fremd in seiner Gegenwart.
Heute fingen wir richtig mit dem Bauen an. Das heißt, ehrlich gesagt fing Silver damit an und ich assistierte ihm dabei. Manchmal sagte er dann: "Halt mal eben hier fest" oder "Hilf mir mal kurz, das hier rüber zu tragen".
Ich wusste, dass er das Ganze rein theoretisch auch allein schaffen würde aber mit ein bisschen Gesellschaft machte doch alles einfach ein bisschen mehr Spaß.
Außerdem hatte ich mir ja als Ziel gesetzt, hinter sein "Geheimnis" zu kommen und dazu musste ich ihn ja schließlich ein bisschen besser kennenlernen. Also half ich ihm so gut es ging mit seiner Arbeit.
Inzwischen hatte ich wirklich das Gefühl, dass Silver froh darüber war, dass ich ihm Gesellschaft leistete. "Lynn? Kannst du mal eben her kommen?", rief er. "Klar", rief ich zurück und schlenderte zu ihm herüber. Er bat mich, eins der Bretter festzuhalten, damit er es festnageln konnte.
Dabei rutschte er allerdings ab und die Schraube fiel herunter. Ich bückte mich, um diese aufzuheben, aber Silver hatte anscheinend die gleiche Idee gehabt, weshalb sich unsere Hände berührten, als wir beide gleichzeitig danach griffen.
Ich hatte erwartet, dass er seine Hand sofort zurückziehen würde, aber stattdessen drückte er kurz meine Hand und sah mich an. "Danke" Daraufhin lächelte ich und stand wieder auf.
Diese Reaktion hatte ich wirklich nicht erwartet. Er überraschte mich immer wieder mit dem, was er tat. In der Schule war er so zurückhaltend und ich hatte ihn immer als extrem schüchtern wahrgenommen. Aber in meiner Gegenwart wurde er immer offener. Ich verstand diesen Jungen einfach nicht.
Wir hatten noch etwa zwei Stunden weitergearbeitet und waren dann zurück zum See gegangen. Zur Verabschiedung schloss mich Silver in eine kurze Umarmung.
"Hat Spaß gemacht heute", sagte er, als wir uns wieder voneinander gelöst hatten. Ich lächelte. "Ja und genau deswegen werde ich dir auch weiterhin helfen. Am Freitag, gleiche Zeit?", fragte ich.
"Okay, Boss", entgegnete er, salutierte und brachte mich damit zum Lachen. "Bis morgen!", rief ich fröhlich und machte mich auf den Rückweg.
Das war heute das erste Mal gewesen, dass er nicht abgeblockt oder mich zurückgewiesen hatte.

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Away into the distance
Romance[Die Geschichte ist zurzeit pausiert, da mir momentan leider komplett die Ideen ausgegangen sind. Heißt aber nicht, dass ich sie nicht irgendwann noch beenden werde :D] Mein Name ist Lynn Haven. Ich bin ein ganz gewöhnliches 15-jähriges Mädchen mit...