Kapitel 1

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Tavan war ein ruheloser Geist auf der Suche nach mehr und als solcher schritt er zügig durch die Straßen Vesils. Der Tag war warm und der vertraute Geruch von Gebratenem lag in der Luft.
Tavan mochte den Markt. Das bunte Treiben der Händler und selbst der bittere Gesang der Straßenmusikanten, die sich nach Ruhm und Reichtum sehnten, imponierten ihm.
Sie schauten zu ihm auf, sie wollten, was er hatte und Tavan sah darin eine gewisse Befriedigung. Reichte er ihnen die Hand, warf er ihnen eine Münze zu, galt er als Wohltäter, edel und gnädig.
Sie knieten sich vor ihm nieder. »Prinz Tavan«, murmelten sie und hätten am liebsten seine Stiefel geküsst.
Wie dumm das einfache Volk doch war, ihm so viel Ehre zuzuschreiben, für ein dreckiges Stück Bronze.
Er lächelte in sich hinein. Die Sonne wärmte seine weinrote Tunika und die darüber liegende Weste.
Eigentlich war es viel zu warm für diese stattliche Aufmachung. Daher hatte er seinen schwarzen Umhang, mit dem, in Silberfäden eingewobenen Wappen Vesils, bereits abgelegt. Sein Blick schweifte über einige Stände in denen edle Stoffe, Waffen und allerlei Töpferkram angeboten wurden. Weiter hinten, das wusste Tavan, trieben sich die weniger wohlhabenden Händler herum. Sie waren umgeben von ärmlichen Bauern und so manch einem Bettler, der den Müll nach Essen durchwühlte und es nicht wagte, den Müll der Vornehmen anzurühren.
Wie dumm, dachte Tavan wieder. Müll blieb Müll. Dabei war er froh, wenn die stinkenden Bettler mit ihren Krankheiten nicht zu nahe kamen. Dennoch lief er ungetrübt an den Händlern vorbei, die ihm das Blaue vom Himmel versprachen und landete im Armenmarkt. So war das manchmal mit Tavan. Der junge Fürstensohn ließ sich treiben. Er hatte bereits alles: Reichtum, Ehre, Bildung und ein hübsches Aussehen. Sein langes goldblondes Haar beeindruckte die feinen Damen schon von Weitem und mit seinen, für diese Gegend ungewöhnlich tief blauen Augen, konnte er jede in seinen Bann ziehen. Er dachte an das dankbare Seufzen der Hofdamen, wenn er ihnen seine Aufmerksamkeit schenkte und es erinnerte ihn schmerzlich daran, wie ungenügend ihre schwelgenden Herzen und eitlen Liebkosungen für ihn waren.
Es herrschte kein Krieg in diesen Tagen, bis auf kleinere Unruhen unter dem einfachen Volk. Nichts, was die Welt in Bewegung versetze, nichts, was Veränderung mit sich brachte. Er war ein berüchtigter Schwertkämpfer, doch es gab keinen Feind, den er waghalsig in die Flucht schlagen konnte. Prinz Tavan Elean von Vesil langweilte sich. Nicht, dass er Krieg gewollt hätte. Krieg hatte es schon immer gegeben und Krieg würde seine blutigen Krallen schnell genug wieder in das Land schlagen. Darum ging es nicht. Tavan mochte kein Blut, kein Leid und keinen Tod. Er sehnte sich einfach nur nach etwas, was seine Welt in Bewegung brachte. Ein Sehnen, welches tief in seinem Inneren saß und an ihm nagte. Er sehnte sich nach mehr. Keinesfalls mehr Reichtum oder Macht.
Ehre und Ruhm waren flüchtig. Sie kamen mit der einen Zeit und gingen mit der anderen wieder. Er suchte nach dem unsichtbaren Mehr. Nach dem Mehr, das keiner in Worte fassen kann.
In Gedanken versunken bahnte er sich einen Weg durch den Armenmarkt. Ein lärmendes Kind rannte an ihm vorbei, eine Frau verneigte sich vor dem Fürstensohn, eine Großmütterchen polierte ihre fauligen Äpfel.
Der Atem des Lebens stank hier erbärmlich. Doch wenigstens atmete das Leben. Für Tavan stand die Welt still und das machte sein hitziges Blut unruhig.

Für einen Moment ließ er sich von seinen Gedanken fortziehen, in eine Welt, in der sogar ein Fels nach mehr aussah, als die prächtige Burg Vesils. Doch die erniedrigende Wirklichkeit war, dass er mitten durch den Armenmarkt streifte wie ein streunender Hund. Was wollte er hier eigentlich? Er. Prinz Tavan Elean von Vesil, Sohn des Fürsten Elean Theo von Vesil, der selbst den Ratssitzungen des Königs beiwohnte.
Tavan seufzte und wühlte mit seiner Stiefelspitze Schmutz auf. Angewidert schritt er weiter. Wohin auch immer. Vielleicht sollte er sich sein Pferd schnappen und mit seinem Vater jagen gehen. Er verwarf den Gedanken wieder, als die Sonne seine Nase kitzelte und seine Augen blendete. Der Morgen wich allmählich dem frühen Mittag, viel zu spät, um zu jagen. Er bog in eine der Gassen ein, welche die langen Arme der Sonne erst am Nachmittag durchleuchten würden. Kühler Schatten umhüllte ihn, schnitt ihn für einen Moment von der Menschenmasse ab und spuckte ihn am Ende der Gasse wieder aus. Er stand auf einem weitläufigen Platz. Die Häuser schienen sich darum zu biegen, sie erstreckten sich, halb stehend, halb zerfallend, um den Platz. Ein Gefängnis, über dem der Himmel hinüber zog und die Weiten mit sich fort nahm. Der Sklavenmarkt. Was hatte ihn nur dort hin verschlagen? Er brauchte keine Sklaven. Er hatte genug Leibeigene zur Verfügung. Sein Vater war der Mann, der die Sklaven kaufte. Tavan konnte mit Sklaven nichts anfangen. Die toten, leeren Augen in den geschunden Körpern machten ihm Angst. Seelenlose Untote, wie er sie nannte. Es erschauderte ihn, dass er in einer Welt lebte, in denen aus Menschen Seelenlose wurden. Wenn er so über die Welt nachsann, musste er an seinen verstorbenen Onkel denken - ein wahrer Philosoph und Kriegsheld! -, und er fragte sich, wer die wahren Seelenlosen waren.
Die Sklaven, oder die Händler und Herren, die ihnen das Blut aus den Venen peitschten? Solche Gedanken sprach er nie laut aus. Das gehörte sich für den Sohn des Fürsten nicht. Nur sein Onkel hätte den Mut gehabt, solche Gedanken laut auszusprechen. Er blieb vor dem hölzernen Podium stehen, auf denen dürre Knaben angekettet standen. Leere, gebrochene Augen starrten ihn an. Nein, sie waren nicht seelenlos, nur verloren.
Das machte Tavan noch mehr Angst, denn auch, wenn er es nicht bewusst wahrnahm, fühlte er sich genauso verloren. Man konnte in Armut und seinem eigenen Dreck ersticken, ebenso wie in Reichtum und Heuchelei. Ruhelos schweiften seine Augen über die ausgehungerten Körper und zerschlissenen, schmutzigen Hemden.
Einige konnten sich kaum noch auf den Beinen halten. Dieses Mal würde der Sklavenhändler nicht viel Geld machen können, da war sich Tavan sicher.
Er wandte sich schon zum Gehen, als sein Blick einen Sklaven streifte. Ein Junge, der kleiner war als die anderen Sklaven. Tavan hätte beinahe laut aufgelacht, denn was er in seinen Augen sah, war mehr.
Ein trotziger, ungebrochener Ausdruck in einem solch hübschen Gesicht. Eine Schande, dass Tavan sich keine Sklaven anschaffte... Er blieb stehen. Der Junge sah nicht sehr kräftig aus und die blassbraune Haut im Gesicht, kränklich. Nicht zu gebrauchen für die schwere Arbeit im Wald oder den Minen. Nicht mal zum Boden schrubben sah diese Gestalt stabil genug aus. Tavan konnte ihn singen lassen, oder ein Instrument lehren. Er mochte Musik, doch war leider selbst kein begabter Musikant. Er wusste nicht wieso, aber der Junge mit seinen viel zu schlanken Fingern wirkte, als könnte er die wohligsten Töne auf einer Laute anspielen.
»Wie viel für den hier?«, fragte er den Händler. Ein drahtiger Mann mit öligen, schwarzbraunen Haar und schmalen Augen.
»Mein Herr«, er verneigte sich. »Dieser würde wohl kaum Ihren Wünschen entsprechen, erlaubt mir ...«
»Wie viel«, unterbrach ihn Tavan ungeduldig. Er hatte keine Lust mit dem schmierigen Kerl lange zu handeln.
Der Mann zuckte zusammen, fing sich aber sofort wieder.
»Verzeiht mein Herr. Für hundert Denar gehört er Euch.«
»100 Denar?« Tavan flogen beide Brauen nach oben. Das war ein Spottpreis für einen Sklaven, selbst für einen Schwächlichen.
»Ja, mein Herr«, antwortete der Sklavenhändler unterwürfig, obwohl Tavans Frage rhetorischer Art gewesen war. Tavan bezahlte ihn und nahm den Sklaven an sich. Er schwieg und hatte Mühe dem strammen Gang des Prinzen stand zu halten. Das kurze, nackenlange Haar wippte mit den müden Schritten und Tavan wollte den Kauf schon fast bereuen. Genauso tot wie die anderen auch, dachte er, bis sich ihre Blicke erneut trafen.
Lebendigkeit durchwanderte Tavans Brust, als er den Trotz in den Augen des Sklaven sah, für den jeder andere Sklave bereits geschlagen worden wäre. Tavan blieb stehen. »Wie ist dein Name?«
»Len, mein Herr.«
Die Stimme des Sklaven war jung und frisch, nahezu zärtlich.
»Nun Len«, sagte er. »Du wirst mit mir auf Burg Vesil kommen. Dort bekommst du zu essen, frische Kleidung und einen Schlafplatz.«
Tavan erwartete, dass der Sklave in tiefer Dankbarkeit versinken würde, aber dieser musterte ihn nur stumm und mit unverhohlener Neugierde. So hatte ihn noch nie jemand angesehen. Er wollte die Hand ausholen, um dem Sklaven Manieren zu lehren, stattdessen fühlte er sich unwohl und errötete.
Der neugierige Ausdruck des Sklaven verschwand. Tavan war sich sicher, dass er seine Röte als Zorn verstand. »Was werden meine Aufgaben sein, Herr?«
Tavan lachte kurz auf. »Als ob du zu viel nütze wärst.« Er wandte sich um und schritt weiter.
»Du, der du kaum in der Lage bist, meinen Schritten zu folgen.«
»Warum habt Ihr mich dann erstanden?«
Tavans unruhiges Blut ließ nun doch Zorn auflodern. Er schluckte ihn unter großer Anstrengung hinab und drehte sich, mit zusammengepressten Lippen, um. »Pass auf, was du von dir gibst!«
Lens grünbraune Augen glänzten vor unzerbrechlicher Sturheit.
»Ich hasse Sklaven«, knurrte Tavan nur, drehte sich wieder um und zog Len an seinen Fesseln weiter.
Sein Vater Fürst Elean war nicht gerade begeistert davon, dass er einen Sklaven zu seinem Leibeigenen machte. Tavan fürchtete die herrische Art seines Vaters und ließ Len nicht bei den anderen Leibeigenen unterbringen. Er erhob Len noch am selben Tag zu seinem persönlichen Diener. Viel mehr als seine Wäsche waschen und ihn ankleiden, würde dieser schmächtige Junge sowie so nicht erledigen können. Außerdem war Len so geschützt vor den berüchtigten Peitschenhieben seines Vaters. Keiner rührte die persönlichen Leibdiener an, außer ihr Herr selbst. Len gehörte nun voll und ganz ihm. Er bekam einen Schlafplatz in einer kleinen Kammer neben Tavans Gemächern. Nicht größer als eine Besenkammer, doch für einen ehemaligen Sklaven, musste es wie ein eigenes Gemach sein. Er rief zwei Leibeigene zu sich, und befahl ihnen, Len zum Gemeinschaftsbad zu geleiten und ihm neue Kleider zu geben. Als die beiden, Tenar und Stefan, mit geröteten Gesichtern wieder kamen, befürchtete Tavan schon, sie hätten sich an dem teuren Wein versündigt und war in Gedanken bereits bei einer gerechten Strafe, als Len hinter ihnen den Raum betrat und sich tief verneigte. Als sie den Kopf wieder hob, sah auch er die Röte in ihrem Gesicht. Zorn und Scham spiegelten sich in ihren Augen.
Sie trug ein schlichtes, olivgrünes Kleid und eine weiße Schürze. »Du bist ein Mädchen«, platze es aus Tavan heraus. »Wie kannst du es wagen, dich als Junge auszugeben?«
»Niemand hat mich nach meinem Geschlecht gefragt, Herr«, antwortete Len.
Tavan betrachtete sie mit einem süffisanten Lächeln. Sie war wirklich hübsch. Verboten hübsch für einen Diener. »Für ein schwaches Mädchen hätte ich keine hundert Denar bezahlt«, seufzte er. Sein Blick wurde ernst.
Er sollte das Mädchen für diese List bestrafen. »Bringt sie in ihre Kammer und nehmt ihr das Licht. Sie soll in Ruhe darüber nachdenken, wen sie belogen hat.«
Len schaute ihn unverwandt an. Sie hob das Kinn und blickte wie ein trotziges Kind zu ihm empor.
»Ich habe Euch nicht belogen, mein Fürst. Niemand fragte mich nach meinem Geschlecht, oder meiner Herkunft.«
»Und nun auch noch Widerworte?!«, fuhr er sie an. So durfte niemand mit ihm sprechen, schon gar kein Diener, der vor wenigen Stunden noch ein armseliger Sklave gewesen war. Er packte sie am Handgelenk. Heiße Wut floss durch seine Venen. Er hatte noch nie so etwas Undankbares gesehen. Tief in seinem Hinterkopf fragte sich Tavan, wie eine solch niedere Gestalt ihn in Rage versetzen konnte? Er ließ sie los. Sie taumelte zurück.
Tavan erwartete Angst oder Schreck in ihren Augen. Doch nichts der Gleichen. Sie blickte ruhig. Ungebrochen.
Es war mehr. »Bringt sie weg«, knurrte er. Er würde ihr schon noch Benehmen beibringen.



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