Kapitel 7

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Er hörte die Schritte schon von Weitem. Tavan war hellwach und seine Sinne geschärft. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, er hatte das Gefühl, nichts könnte ihm entgehen. Sein Vater kam. Er hatte die Augen zusammengekniffen und den Mund zu einer geraden Linie gezogen. Tavan hatte seinen Vater noch nie so wütend erlebt, schon bald würde er seinen Sohn verleugnen wollen. Er ließ den Wärter die Tür entriegeln. Tavan zögerte nicht. Er stieß hervor, packte den Kopf des Wärters und schlug ihn gegen das Gitter seiner Zelle. Ohne eine Sekunde verstreichen zu lassen, wirbelte er herum, traf seinen Vater in der Magengrube. Der nächste Schlag traf sein Gesicht. Sein Vater griff nach dem Schwert.
»Verzeih mir, Vater«, murmelte Tavan und stieß ihm das Schwert, das er gerade ziehen wollte gegen das Kinn. Fürst Elean taumelte zurück und schaute seinen Sohn aus weit aufgerissenen Augen an. Er sah nicht wütend aus, nur verblüfft. Tavan hörte die Stimmen von weiteren Wachen. Es blieb keine Zeit mehr. Er nutzte den Moment und stieß seinen Vater gegen die Wand. Er stürmte auf ihn zu und ließ seinen Kopf gegen die Wand prallen. Blitzschnell nahm er das Schwert seines Vaters an sich und stellte sich den Wachen, die in den dunklen Gang stürmten. Er ließ das Schwert in seiner Scheide und schlug um sich. Tavan wollte kein Blutbad anrichten, er wollte nicht auch noch als Mörder verachtet werden. Er wich einem Schwerthieb aus, irgendjemand hatte sich eine Axt gegriffen. Tavan wich aus, die Axt schlug krachend gegen den harten Stein. Trotz seiner kräftigen Statur war Tavan flink. Er wirbelte herum, schlug seine Gegner nieder. Sein Ellenbogen krachte in Schulterblätter, er spürte wie sie auseinander glitten. Der Mann schrie. Tavan kümmerte sich nicht darum. Er rannte den Gang entlang, sprang in die Luft, stieß einer Wache mit den Füßen vor die Brust, dieser taumelte zurück und riss eine andere Wache zu Boden. Tavan landete hinter der Wache und stieß mit aller Kraft den Schwertgriff in den Magen seines Gegenübers. Ohne zu zögern rannte er weiter. Im Stillen dankte er seinem Onkel dafür, ihm das Kämpfen ohne Waffe gelehrt zu haben. Tavan erkannte bereits die Treppe. In wenigen Sekunden war er dort und stürmte die Stufen hinauf. Keuchend kam er oben an. Einige Diener liefen an ihm vorbei und beäugten ihn misstrauisch. Tavan strich sich flüchtig das Haar nach hinten. Noch hatte keiner Alarm geschlagen. Er musste sich normal verhalten, kein Aufsehen erregen. Es musste so sein, als hätte er jedes Recht hier zu sein. Schließlich war er Prinz Tavan Elean von Vesil. Zumindest jetzt noch. Er ging mit gemäßigten Schritt einen Gang entlang, der tiefer in das Gebäude führte und holte die Karte hervor. Erleichtert atmete er aus. Bisher befand er sich auf dem richtigen Weg. Tavan ging weiter. Nicht zu schnell! Er musste sich selbst zügeln. Ruhig, Tavan, sagte er sich. Seine Schritte hörten sich ungewöhnlich laut an. Bisher war er niemanden, außer ein paar Leibeigenen, begegnet. Wie lange würde es dauern, bis die Wachen sich erholt hatten und Alarm schlugen? Wie viel Zeit hatte er noch? Tavan konnte nur mit Mühe den Drang unterdrücken loszurennen. Auch in diesem Gang hingen zahllose Bilder von wichtigen Persönlichkeiten, Grafen, Fürsten und natürlich die Königsfamilie. Wieder verfolgten ihre starren Augen Tavan, doch diesmal hatte er ein Ziel und keiner konnte ihn aufhalten. Da war eine Stimme, die nach ihm rief. Er konnte sie von außen hören und von innen. Vielleicht waren es Engel, die ihn riefen. Wer weiß, vielleicht war Elana selbst ein Engel. Ein Engel ohne Flügel. Tavan vernahm laute Stimmen, jemand rief seinen Namen. Es gab kein Zuück mehr. Tavan rannte los. Jetzt war es egal, ob jemand sein Verhalten merkwürdig fand. Schon bald würde es hier nur so an Wachen wimmeln. Er verstärkte seinen Griff um das Schwert seines Vaters. Hastig warf er einen Blick auf die Karte und bog nach links in einen weiteren Gang ein. Stimmen wurde laut. Er hörte das Klimpern von Metall. Eine Tür flog auf. Tavan wäre fast dagegen gerannt. In der letzten Sekunde wich er zu Seite. Ein Knappe schaute ihn mit offenen Mund an. »Halte ihn auf!«, schrie jemand vom anderen Ende des Ganges. Tavan rammte dem Jungen das ungezogene Schwert in den Magen. Mit einem leisen Keuchen ging er in die Knie. Tavan zog sein Schwert und stürmte los. Es waren nur zwei Wachen, die ihm den Weg abschneiden wollten. Er ließ sie kommen, sprang über ihre Schwerter hinweg, rammte dem einen das Knie an die Schläfe, drehte sich und traf den anderen so heftig am Handgelenk, dass er sein Schwert fallen ließ.
Tavan wirbelte herum. Er sah das Messer nicht kommen. Es durchschnitt seine Kleidung, im letzten Moment konnte sich Tavan so zur Seite drehen, dass der Angreifer nur seinen Oberarm aufschlitze. Geschickt ließ er sich nach unten fallen und schnitt der Wache mit seinem Schwert in das Bein. Er schrie auf, taumelte. Tavan war bereits wieder auf den Beinen und rannte weiter. Sein Arm pulsierte, doch noch spürte er keinen Schmerz. Der Gang wurde breiter. Die Türen zu den Waffenkammern und Gemächern verschwanden und wichen großen Bogenfenstern. Das rote Licht der Morgensonne flutete die Gänge in ein Meer aus Gold. Tavan konnte die Freiheit förmlich riechen. Schneller, immer schneller jagte er den Gang entlang. Das Tor zum Außenhof lag direkt vor ihm. Staub wirbelte auf. Er roch seinen eigenen Schweiß und das Blut, welches aus seiner Wunde sickerte. Mit weit ausgestreckten Armen stieß er das Tor auf. Die kühle Luft des Morgens umarmte ihn wie kaltes Wasser. Bäume umsäumten den mit Kies ausgelegten Hof. Ein enger Weg führte durch ein Meer aus Blumen. Der Geruch von Blüten vermischte sich mit dem Rauchgeruch vergangener Lagerfeuer. Prinzessin Elana stand am Weg und hielt zwei gesattelte Pferde in den Händen. Sie war blass, die Sonne stand hinter ihr und brachte ihr Haar zum Schimmern. Elana war ein wunderschönes Wesen. Tavan hörte das Tor zuschlagen. Ihnen blieb keine Zeit mehr.
»Beeilt Euch, Prinzessin!«, rief er. Elana zögerte nicht. Mit einem feurigen Lächeln zog sie sich auf ihr Pferd. Tavan schwang sich auf den Sattel, nur kurz trafen sich ihre Blicke. Es musste nichts gesagt werden. Jedes weitere Wort wäre überflüssig gewesen. Sie trieben ihre Pferde an und peitschen los. Elana führte sie aus dem Hinterhof hinaus, sie verließen das Schloss durch ein schwarzes Tor. Die Wachen dort waren noch uninformiert und ließen sie nach einem kurzen Zögern passieren. Sie ritten durch eine kurze Brücke, unter der ein reißender Fluss vorbeirauschte. Wald erstreckte sich vor ihnen und sie gönnten ihren Pferden erst eine Pause, als der Abend bereits hereinbrach. Prinzessin Elana verband seine Schnittwunde, doch sie blieben nicht stehen. Erst als die Sonne schon lange untergegangen war, machten sie Rast. Erst da wurde Tavan wirklich bewusst, dass er nie mehr zurückkehren konnte. Die Welt lag zu seinen Füßen und hinter sich ließ er eine Ruine der Vergangenheit. Sein Name, seine Familie, dass alles hatte er mit einem Mal verloren. Es schmerzte nicht, nur ein kleiner Schrecken lag über seinem Herz und maßloses Erstaunen. Die Vergangenheit war nicht mehr wichtig, nicht mehr wichtig genug, um dieses großartige Gefühl zu unterdrücken, was tief aus Tavans Herzen zu kommen schien. Ein Gefühl, welches er wohl am besten mit Freude, Glück und Liebe vergleichen konnte.
Freiheit.
»Wohin wollt Ihr?«, fragte er Elana. Sie saß dicht neben ihm am Feuer und summte leise vor sich her. »Ean – Taivas«, sagte sie leise. »Am südlichen Meer. Dort gibt es einen Orden, sie nennen sich die Diener des Himmels. Dort wird uns keiner belangen können, dort sind wir sicher.«
»Ich habe noch nie von solch einem Orden gehört.« Tavan stocherte gedankenverloren im Feuer. Sobald der Morgen graute, mussten sie weiter. Elana kicherte. »Ihr habt noch nie davon gehört, weil dieser eine Orden sehr klein ist. Nur wenige kennen seinen richtigen Namen. Vielleicht habt Ihr von den Mönchen der Gezeiten gehört, Prinz Tavan .«
Tavan überlegte kurz. Er erinnerte sich daran, dass sein Hauslehrer einmal von Mönchsorden berichtet hatte, die sich an den Meeren nieder ließen und angebliche Wunder vollübten. »Ja, von diesen Mönchen habe ich gehört.«
»Die Mönche unter sich, nennen sich die Diener des Himmels.« Sie lehnte sich an ihn. »Euer Onkel hat seinen Namen abgelegt und dort viele Jahre gedient.«
»Mein Onkel?« Tavan horchte auf. »Saro hat an einer Kampfgilde gelehrt. Er hat mir das Kämpfen beigebracht.«
»Das ist das, was er den Menschen glauben machen wollte.«
»Weshalb? Und woher wisst ihr das, wenn dieser Orden doch so unbekannt ist?«
»Manchmal ist es besser, aus dem Schatten zu handeln. Die Menschen behandeln einen wie Irrsinnig, wenn man einen anderen Weg wählt als die Meisten. Oder hat man Euren Onkel nicht als Irren bezeichnet? Vielleicht wollte er Euch auch schützen, damit Ihr nicht mit ansehen müsst, wie er missachtet wird. Und Tavan ..., was glaubt Ihr, wie die Fürsten Euch von nun an nennen werden?«
Tavan seufzte. »Wahnsinnig, Verräter, Verbrecher ... « Ihm würden sicher noch einige Bezeichnungen mehr einfallen, doch er ließ es auf sich beruhen. »Und woher wisst Ihr von dem Mönchsorden?«
»Als ich noch jünger war, hat mein Vater Boten überall hinaus geschickt. Sie sollten jemanden finden, der meine Krankheiten heilen kann. Ein Heiler dieses Ordens kam zu mir.«
»Aber er konnte Euch nicht heilen.«
»Nein, aber er sagte, er würde auf mich warten.«
»Auf Euch warten?«
»Ja.« Elana schmiegte sich noch dichter an ihn. Tavan spürte wie sich ihr Brustkorb hob und senkte. Sein Herz flatterte wie ein verrückt gewordener Schmetterling. »Euer Verlangen nach mehr, hat Euch hier her geführt und es wird Euch noch weit voran bringen.«
»Ihr redet gerne so verworren, habe ich recht?« Tavan legte seinen Arm um sie. »Was ist mit Euch, was hat Euch hier her gebracht?«
»Ihr könnt es nicht sehen.« Sie seufzte leise. »Es ist so offensichtlich.«
»Was ist denn so offensichtlich?« Tavan war ein wenig verärgert. Hielt sie ihn für dumm, oder beschränkt? Was konnte sie denn sehen, was er nicht sah? »Ihr wart es, Ihr habt mich hierher gebracht. Aber es ist mehr als nur das, Tavan. Das gerade Ihr an diesem Tag auf dem Sklavenmarkt wart und mich erkauft habt, war kein Zufall. Ich bin nicht nur für mich aus dem Schloss gerannt.«
»Was meint Ihr damit?«
»Ich wurde für Euch geboren und Ihr für mich.«
»Das ist Schwachsinn.« Tavan warf seinen Stock in die Flammen.
»Ist es das, Prinz Tavan ? Bin nicht ich es, die Ihr so begehrt. Was habt Ihr in meinen Augen gesehen, damals am Sklavenmarkt? Was war es, was Euch bewegte, einen Sklaven zu kaufen, obwohl Ihr das nie vorhattet?«
Tavan schwieg. Konnte dieses Mädchen Gedanken lesen? Er nahm seinen Arm von ihrer Taille und richtete sich kerzengerade auf.
»Antwortetet mir.«
»Mehr«, flüsterte Tavan und spürte wie sein Herz Feuer fing. »Es war mehr.«
»Seht Ihr und das habe ich auch in Euch gesehen.«
»Warum dann ... « Tavan ballte die Hände zu Fäusten. »Warum seid Ihr dann todkrank? Wie lange haben wir noch Zeit, bevor ... « Er biss sich auf die Lippe. Ein plötzlich scharfer Schmerz durchzog ihn, verletzte ihn wie Schwerthiebe, die dicht an seinem Herzen vorbeischrammten, aber nicht gnädig genug waren, ihm den Tod zu schenken.
Elana umfasste sein Gesicht mit ihren zarten Fingern. »Ich gebe Euch alles«, flüsterte sie. »Ihr werdet mein Vermächtnis sein, das ich erwählte.« In ihren Augen lag der Glanz aufkommender Tränen. Ihre Lippen bebten, ihr Atem roch süßlich. Tavan konnte nicht atmen. Es war, als würden zehn Männer auf seiner Brust stehen und seine Lunge zerquetschen. Sein Herz schlug und schlug, verteilte das Feuer in seinem Körper. Ihre warmen Lippen berührten seine. Sein Feuer ging auf sie über, ihre Melodie umfasste seine Seele. Er drückte sie auf den Boden. Atmete aus, atmete ein. Es war wie ein Wunder. Sauerstoff drang in seine Lungen, durchflutete seinen Körper. Das Feuer heulte auf, warf hohe Flammen. Er küsste sie. Sein Hunger nach mehr, wuchs und wuchs. Er wollte mehr. Immer mehr. Sie schlang ihre Arme um ihn. Er betastete ihren Körper, öffnete ihr Kleid, berührte nackte Haut. Ein Inferno aus Leidenschaft überkam ihn. Sie stöhnte leise. Tavan ergab sich. Er ergab sich ihr. Sie wurden zu einem gemeinsamen Fluss aus eiskalten Wasser und glühender Glut. Es war mehr ... unendlich mehr.
»Ich liebe Euch«, murmelte er, als der Morgen graute und sie neben einander gekuschelt dalagen.
»Es gibt keinen Grund mehr, unsere Titel zu behalten«, sagte sie sanft und küsste seine Schläfe.
»Ich liebe dich, Len.«
»Und ich liebe dich, Tavan.« 

Diener des HimmelsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt