Kapitel 3

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Tavan wanderte schon am frühem Morgen durch den Innenhof und steuerte auf Len zu, die gerade dabei war, seine Wäsche zu reinigen. Als er vor sie trat schaute sie auf. »Mein Herr?«
»Wenn morgen die Sonne aufgeht, werde ich zu einer Reise aufbrechen. Du, als meine Leibdienerin wirst mich begleiten.«
»Wirklich?« Ihre Augen strahlten. »Wohin, mein Herr?«
»Ich dulde diese Neugierde nicht«, antwortete er grob und musterte ihre großen, grünen Augen. Zum ersten Mal konnte er Dankbarkeit darin erkennen. Er schickte Len weg, damit sie zusammen mit Tenar seine Reisegepäck vorbereiten konnte.
Der Prinz besuchte noch zur selben Stunde das Konferenzzimmer seines Vaters, um seinen Auftrag zu besprechen. Die Verhandlungen im südlichen Faest auf der Burg Hohental standen an. Es ging um die Verlängerung der Friedensverträge zwischen den beiden angrenzenden Bezirken Vesil und Faest. Die beiden wohl größten Landbezirke Numerus lagen vor einem Jahrzehnt – als Tavan noch ein kleiner Junge war - im Streit um die Grenzen, bis König Eloras Kahn von Numeru, die Streitigkeiten selbst in die Hand nahm und das Land neu aufteilte.
König Eloras galt als starker und strenger Herrscher, aber auch als ein weiser Mann, der Verhandlung dem Krieg vorzog.
Friedliebend, nannte ihn das Volk. Dabei wusste jeder, zumindest von höherem Stand, dass der König seine Armeen stetig aufrüstete und seinen Kriegern die bestmögliche Ausbildung gab. Er rüstete sich für einen Krieg, der eines Tages kommen würde.
Für Tavan war es jedenfalls eine Ehre, dass sein Vater ihn für reif genug hielt, ihn als Vertreter Vesils zu schicken.
Er nahm diese Aufgabe sehr ernst. Auf seiner Reise wollte er so wenig Begleitung wie nur möglich. Nur zwei seiner Ritter und Len. Ja, er hatte sich dafür entschieden, seine Leibdienerin mit zunehmen. Das war nichts ungewöhnliches.
Leibdiener blieben ihren Herren stets treu an der Seite. Ungewöhnlich war nur, dass er Len kaum kannte und ihr dennoch vertraute. Sie würde für ihn Laute spielen, wenn die Abende und langen Nächte kamen.
Außerdem bevorzugte sie es ja sowie so unter freiem Himmel zu nächtigen. Tavan seufzte. Sie würden sicher eine Woche unterwegs sein. Er fragte sich, ob Len solange durchhalten würde. Der Prinz schüttelte verärgert den Kopf. Wieso zerbrach er sich den Kopf über diese Len? Er musste sich auf seine Reise vorbereiten.


Die Sonne war noch nicht durch den Nebel gedrungen, als sie am nächsten Tag losritten. Prinz Tavan, Sir Braen, der mit seinen breiten Schultern neben der schlanken Len wie ein Bulle wirkte und Sir Rout, der, wie immer bester Laune, ein Lied vor sich hersummte und mit seinen langen, braunen Haar, eher wie eine Hofdame als ein stattlicher Ritter aussah. Dennoch, Tavan wusste, auf die beiden war verlass. Sein Blick blieb ein wenig länger auf Len ruhen. Sie ritt erstaunlich elegant, auf der kleinen, braunen Stute, die Tavan für sie ausgewählt hatte.
Nie in Leben hatte er gedacht, dass sie reiten konnte und dabei auch noch so, als hätte sie es von Kindesbeinen an gelernt.
Sie strahlte und lächelte auf ihrer Stute, als wäre sie die Sonne, die sich noch hinter den Bergen und Wäldern verbarg.
Der Ritt verlief still und glatt. Sie wurden kein einziges Mal angehalten oder von Banditen belästigt, die sich in den tiefen Wäldern verbargen. Es ging die meiste Zeit bergauf und erst als sich der Abend ankündigte, erreichten sie eine kleine Ebene.
Der Wald lichtete sich und gab den Blick auf eine weite Wiese frei. Sie bauten ihr Lager auf. Der Wald umschloss sie wie ein Hufeisen, hinter ihnen und vor ihnen waren nur Bäume zu sehen, doch am Rand der Wiese fiel das Gebirge ab und man konnte die Wipfel der Berge betrachten, die sich wie gezackte Messer in den Himmel bohrten. Hier oben würde Len einen Nachthimmel erleben, den sie sicher noch nie in ihrem Leben gesehen hatte.
Tavan beobachtete sie dabei, wie sie Holz für das Feuer anschleppte. Er musste zugeben, es war ein niedlicher Anblick.
Ihre dünnen Ärmchen umklammerten das Holz und dabei sah es so aus, als würden die Äste sie unter sich begraben wollen.
Der Fürst tat etwas, was er sonst nie im Leben getan hätte. Er nahm ihr das Holz aus den Armen.
»Spielst du für mich?«, fragte er und legte den Holzstapel ab. Er hatte sie um etwas gebeten. Dabei hätte er ihr auch einfach den Befehl dazu geben können. Was stimmte nicht mit ihm? Zähneknirschend schaute er sich nach Braen und Rout um, um sicher zu gehen, dass sie seinen Moment der Schwäche nicht gesehen hatten. Len war schon fortgelaufen und band die Laute von Tavans Pferd. Es machte ihn wütend, wie selbstverständlich sie das Instrument in den Händen hielt. Wie natürlich ihr Dasein in den Bergen war, als hätte sie alles Recht der Welt, hier bei ihm zu sein.
Sie war nur eine dumme Leibeigene. Ein unwissendes, schwaches Mädchen.
Sie war mehr.
Tavan ballte die Hände zu Fäusten. Sie musterte ihn. Sie fürchtete ihn nicht.
Summend setzt sie sich neben den Holzstapel und fing an zu spielen. Die Laute wurde lebendig unter ihren Fingern.
Braen und Rout kamen und wippten zu der Melodie. Sie war wie das Heulen eines Wolfes. Stark und traurig. Sehnsüchtig und hell wie der Mond. Es war kein fröhliches Spiel, aber es war auch nicht traurig.
Ihre Finger huschten so schnell über die Saiten wie schwere Regentropfen den Himmel verließen. Sie verstand sich in der Kunst, die Laute wie eine Harfe klingen zu lassen, aber gleichzeitig auch ganz anders. Tavan konnte es nicht greifen, nicht verstehen.
Es war, als würde diese Musik eine andere Sprache sprechen. Rout begann leise zu singen. Die Sonne versank hinter den Bergen und hinterließ rotes Licht am Horizont wie ein letzter Kuss des Tages. Tavan war kurz davor völlig die Fassung zu verlieren. Das durfte er nicht zulassen. Er eilte auf sie zu und entriss ihr die Laute. »Genug!« Seine Stimme hallte ungewöhnlich laut durch die Luft. Prinz Tavan wandte sich mit erhobenen Kopf ab. »Entfacht das Feuer, bevor die wilden Tiere kommen!«, befahl er und verstaute die Laute.
Die Nacht kam schneller als der Fürst geglaubt hatte. Die Sterne übersäten das Firmament und ein halb runder Mond legte sein blau silbernes Licht über die Wiese. Das Feuer war bereits zu einer Glut abgebrannt. Braen und Rout schliefen.
Nur Tavan lag wach. Umgeben von Sternen bekam er die wundersame Melodie nicht aus dem Kopf, die Len zu spielen pflegte. Musik, die ihn wütend machte, aber gleichzeitig auch besänftigte. Sie war wie eine Droge und sein Körper verlangte nach mehr davon. Doch war es wirklich die Musik, die Tavan so begehrte? Er drehte sich zur Seite und schaute zu der schönen Len.
Sie sah so friedlich aus, wenn sie schlief. Was verbarg sich hinter diesem schönen Liedern und den langen, dichten Wimpern. Wer war sie? Len, das Sklavenmädchen. Len, die Leibeigene. Len, die Leibdienerin des Prinzen Tavan Elean von Vesil. Aber wer war sie, hinter all diesen Bezeichnungen?
Tavan sah es nicht und doch spürte er es bis tief ins Mark hinein. Sie hustete leise und drehte sich auf den Rücken.
Die Nacht war kühl, ein frischer Wind wehte und trieb die Wolken am Mond vorbei . Eine Eule rief und im Gebüsch raschelte es. Die Welt war lebendig, für Tavan stand sie still. Er erhob sich und legte seinen Mantel über Len. Sie schlug die Augen auf. »Mein Prinz«, flüsterte sie. »Warum seid Ihr wach?« Langsam setzte sie sich auf und betrachtete Tavans Umhang.
»Ich konnte nicht schlafen.«
»Was hält Euch wach?«
Tavan seufzte. Er schaute in ihre Augen und sah das Licht der Sterne darin. »Spielst du für mich?«
Sie nickte, stand auf und holte die Laute. Tavan führte sie an den Rand der Wiese und setzte sich dort nieder. Sein Blick glitt über den Bergwipfeln, die in der Nacht wie dunkle Geister wirkten. Er legte seinen Umhang über Lens Schulter. »Die Nachtluft ist frisch«, murmelte er und vermied es, sie anzusehen.
Len sagte kein Wort. Das brauchte sie auch nicht. Sie musste nur spielen und diesmal spielte sie nur für ihn.
Braen und Rout schliefen. Da gab es nur ihn und Len und die Melodie, die sie spielte. Sie hüllte ihn mit ihren warmen Klängen ein, aber in Wahrheit war es Len und ihre Bewegungen, die Tavan gefangen hielten.
Ihre Schultern wippten leicht, ihre Finger tanzten und ihre Lippen bewegten sich in einem stummen Lied. »Sing für mich, Len.«
Len sang, leise, zögernd und doch wurde die Welt für Tavan lebendig.
»Seht Ihr, unter dem Himmel sind alle frei und alle sind wir gleich«, wob sie ihre Worte in das Lied ein. »Das ist nicht wahr, Len«, sagte der Prinz leise. Seine Lieder waren schwer, es kostet ihn große Anstrengung zu sprechen. »Ich kann haben, was ich will, wann immer ich es wünsche. Du nicht.«
Tavans Inneres war in Bewegung wie die Strömungen eines Meeres. Ein rhythmischer Herzschlag pulsierte in seinen Ohren und machte ihn müde. »Ihr könnt auch meine Musik haben und meine Stimme, Herr.« Lens Spiel wurde langsamer, leiser. Es war als würde ihr der Mond einen geheimen Takt angeben. Sie spielte mit der Nacht. Es war wie Magie. »Doch es ist vergänglich. Mein Lied wird enden.«
»Du wirst es spielen, wann immer ich es will. Und wenn du dich weigerst – es gibt so viele gute Musikanten.« Tavan unterdrückte ein Gähnen. Am liebsten hätte er sich hingelegt und die Augen geschlossen, doch Lens Worte hielten ihn wach, verwandelten die Strömungen des Meeres in gewaltige Wellen. »Und geben sie Euch, nach was ihr verlangt, Herr?«
Tavan wollte darauf nicht antworten. »Du unterbrichst unverlangt deinen Gesang, um mich auszufragen. Hüte deine Zunge, Mädchen. Erinnere dich, mit wem du sprichst!« Tavans raue Stimme störte die zarte Musik. Er verabscheute diese Störung aus ganzem Herzen.
»Ihr wünscht nach mehr, Prinz Tavan Elean von Vesil.« Ihre Stimme war so leise, dass sie eins mit der Melodie wurde.
Ihre Worte trafen nicht einfach nur seine Ohren, sondern drangen mit der Musik in seine Seele.
Und da war sie wieder, die Stimme des Philosophen, die der Prinz am liebsten zerschlagen hätte. Er wollte es nicht zulassen.
Die Nacht umgab ihn, dunkel und hell. Still und voller Musik. Er war am Leben, doch er wusste nicht, was das bedeutete.
Ein völlig fremdes Gefühl kam in ihm hoch. Tavan hasste es, wenn er etwas nicht verstehen konnte.
Er wollte sich unter dem Himmel verneigen und schämte sich so sehr dafür, dass er die Augen fest zusammenkniff.
»Len, hör auf zu spielen«, murmelte er.
Len stoppte ihr Spiel. Der Prinz konnte nicht ein mal mehr sitzen. Seufzend ließ er sich ins Gras sinken.
»Gute Nacht, mein Herr«, war alles, was er danach noch hörte.

Diener des HimmelsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt