Kapitel 2

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Tavan befand sich in einem Zustand zwischen schlafen und wachen, als sein Leibdiener mit einer Nachricht auftauchte, die ihn den Kauf des Sklavenmädchens wieder bereuen ließ.
»Mein Herr, das Sklavenmädchen ... ich meine Eure neue Leibdienerin, sie wollte aus der Burg fliehen«, stammelte Tenar außer Atem.
Tavan fiel aus allen Wolken. Sofort war er hellwach. »Beim Gott aller Götter«, rief er aus. »Was für ein dummes Weib!«
»Die Wachen halten sie im Burggarten fest. Soll man sie in den Kerker sperren, Herr?«
Tavan warf sich einen Mantel um. »Nein«, knurrte er und eilte an Tenar vorbei.
Was wollte Len im Burggarten? Wenn sie wirklich vorgehabt hätte zu fliehen, wäre sie nicht in den Garten gelaufen, der im Innenhof der Burg lag. Entweder war sie dumm wie Stroh, oder sie hatte etwas anderes im Sinn.
Er eilte durch die langen Gänge. Die Augen seiner Vorfahren verfolgten ihn. Wie er diese Ölgemälde hasste. Sie sollten seinem Stolz auf die Familie schmeicheln, stattdessen verfolgen sie ihn jeden Tag aufs Neue. Sie nährten sein Verlangen nach mehr, wenn er all die vergangenen Leben betrachtete und die endlose Zeit, die dahin raste, Leben schenkte und wieder raubte.
Er jagte die Treppe nach unten. Dieser Len würde er Gehorsam lehren. Die Wachen empfingen ihn schon am Tor, das in den Garten führte und wiesen mit ihren Lanzen auf das Mädchen. Es hockte stolz und mit geradem Rücken auf der Wiese, umgeben von niedrigem Gemäuer, Blumen und Zitronenbäumen. Sie hatte den Kopf in den Nacken gelegt und betrachtete die Sterne. Die Wachen standen ratlos um sie herum, als wäre sie keine einfache Dienerin, sondern etwas Heiliges, was nicht berührt werden durfte.
Erneut flammte die Wut in Tavan auf. Nicht, weil die Wachen es nicht wagten, sie anzurühren, sondern weil er ebenso fasziniert von ihrem Anblick war. Ihr kurzes Haar schimmerte im Licht des Mondes, ihr junges, feingliedriges Gesicht ehrte die Sterne am Firmament. Eine sanfte Brise trieb den Duft der geschlossenen Blumen an Tavans Nase.
Der Moment war so unerträglich schön, dass er ihn am liebsten zerstört hätte. Die Stimme des Philosophen wollte in ihm erwachen, doch er wollte nicht gelästert und belacht werden wie sein Onkel. Er war ein solch weiser Mann, mit so wenig Ansehen gewesen, dass seine weisesten Worte die Kreise der Kampfgilde, in der er gelehrt hatte, niemals verließen. Und die, welche im Dunklen über seine Weisheit tappten, nannten ihn den Irren. Kopfschüttelnd schritt er an den Wachen vorbei, die ihm bereitwillig Platz machten, packte das Mädchen am Arm und zog es unsanft nach oben. »Was denkst du dir, Len? Willst du mich lästern? Ich gebe dir einen geschützten Ort zum Schlafen und du ziehst es vor im Hof zu nächtigen wie die Hunde?«
Len schwieg. Sie schaute ihn nicht an. Tavan spürte ihr wild schlagendes Herz an ihrem Arm pulsieren, den er fest umklammert hielt. Keiner sagte etwas. Keiner rührte sich. Len hatte alle verzaubert und Tavan fragte sich unwillkürlich, ob sie eine Hexe war.
Leise lachend schüttelte er den Kopf und verwarf den Gedanken wieder. Die Wachen hatten nur zu selten eine schöne Frau vor Augen und dass Len schön war, ließ sich nun einmal nicht leugnen.
So gern er es gehabt hätte: Eine hässliche Dienerin, die sein Aussehen bewunderte – doch das war sie nicht.
Er ließ ihren Arm los, als wäre er etwas Verdorbenes und hob ihr Kinn an. »Sag mir Len, was willst du hier?«
»Unter dem Himmel bin ich frei«, antwortete sie leise.
Tavan knirschte mit den Zähnen. Sie hatte die korrekte Anrede vergessen. »Das heißt Herr«, sagte er schroff und ließ ihr Kinn los. Wäre Len ein Junge gewesen, hätte er sie geschlagen, aber Tavan bestrafte ungehorsame, weibliche Leibeigene nicht mit Schlägen.
Er war kein Trunkenbold, obwohl Len eine gewisse Züchtigung dieser Art nicht geschadet hätte.
»Verzeiht, mein Herr«, murmelte Len.
»Du bist nicht frei, auch unter dem Himmel nicht«, sagte er, um ihr ihren Status klar zu machen. Es ärgerte ihn, dass er das überhaupt machen musste. Was war Len nur für ein eigenartiges Mädchen? Vermutlich hatte sie nie eine Erziehung genossen und selbst Unterjochung hatte sie nicht gefügig gemacht.
»Der Himmel behandelt alle gleich, mein Herr. Wenn es regnet, werden alle nass. Ob reich oder arm, ob frei oder gebunden.«
Tavan stieß ein kurzes Lachen aus. Auch die Wachen waren aus ihrer Starre erwacht und stimmten seinem Gelächter einen Moment mit ein. »Die Reichen bauen Burgen, Schlösser und Häuser aus festem Stein, damit kein Regen oder Sturm ihnen schaden kann«, antwortete er schließlich und musterte sie amüsiert. Len lächelte. Ein zögerliches Lächeln, nur ein Zucken der Mundwinkel, doch Tavan verstand es als Spott. Wage es nicht, dachte er und spürte wie seine Finger zuckten.
»Der Himmel hat weder den Befehl gegeben, noch die Burgen, Schlösser und Häuser erbaut.« Lens Stimme war fest und doch zärtlich. So zärtlich, dass Tavan fast an seiner eigenen Wut erstickt wäre. »Du kommst mit mir Len, du dienst mir und nicht dem Himmel. Du wirst in deiner Kammer schlafen und nicht noch einmal ungehorsam sein«, sagte er gepresst, wandte sich um und schritt davon.
Die Stimme des Philosophen erhob sich wie ein nie enden wollendes Flüstern. Er dachte über Lens Worte nach und wie ein einfaches Mädchen den Himmel sah. Wie konnten alle unter dem Himmel frei oder gleich sein? Es gab eine klare Hierarchie und wer erschuf sie, wenn nicht Gott im Himmel? Unter dem Himmel gab es Unterschiede, die gigantisch waren.
Er war von edlem Stand. Prinz Tavan Elean von Vesil. Selbst die Wolken, die über das Königreich Numeru zogen, mussten seinen Namen kennen. Wenn es regnet, werden alle nass. Ein Donner war von Weitem zu hören, als hätte der Himmel diesem Mädchen gelauscht und wollte dem jungen Fürstensohn seine Ohnmacht zeigen. Sein Vater hätte dem Gewitter in das Angesicht gelacht.
Er hätte keinen Moment gezweifelt. Er war ein wahrer Herrscher. In Tavan brodelte nur die Wut, die der Welt die Stirn bieten wollte, aber nicht ausbrach, weil Tavan nicht wusste, was er der Welt entgegen schreien wollte.
Frust vermischte sich mit Wut und Prinz Tavan hätte fast die Tür zu seinen Gemächern aus den Angeln gehoben, so grob stieß er sie auf. Seufzend ließ er sich auf sein Bett sinken. Sein Blick fiel auf seine Laute, die sorgsam an der Wand hing.
Musik konnte seine Wut mildern und ihm ein sonniges Gemüt verschaffen. Musik war es, was er jetzt brauchte. Er stand auf und öffnete die Tür zu Lens Kammer. »Steh auf, Diener«, sagte er schroff. Er hörte Len leise seufzen, doch sie gehorchte und blinzelte in den schwachen Schein der Fackeln. Sie sah auf einmal müde aus. Müde und kränklich. Ihre Haut wirkte fahl in dem Licht und ihre Augen glänzten. Sie blieb vor ihrem Herrn stehen und fragte: »Was gibt es, Herr?«
»Folge mir.« Er führte Len in seine Gemächer, wies ihr einen Stuhl neben dem Tisch aus buntem Mosaik zu und legte ihr die Laute in die Arme. Das schöne Instrument, aus edlem Mahagoniholz, sah aufgehoben in ihren zarten Fingern aus. »Ich lehre dich, wie man spielt«, sagte Tavan und zog einen Stuhl neben Len heran.
»Das ist sehr edel von Euch, mein Herr«, sagte Len. »Aber es ist mitten in der Nacht.«
»Ich dulde kein weiteres Widerwort«, herrschte er sie streng an.
Sie schwieg und nickte ergeben.
»Nun gut, du musst ... « Tavan wollte ihr gerade zeigen, wie sie die Laute zu halten hatte, als sie das Instrument von alleine in die richtige Position brachte und anfing zu spielen. Die Töne klangen ausgewogen und klar in seinen Ohren. Sie brachte das Beste aus dem Mahagoniholz hervor. Ihr Spiel war atemberaubend. Die Melodie durchbrach den Nebel seines Verstandes. Wie heißer Regen aus gläsernen Glocken rauschte die Musik in seine Seele und erschuf in ihm den Wunsch zu singen und zu tanzen. Frust und Wut waren wie weggeblasen, für einen kurzen Moment vergaß er sogar, dass es seine Leibdienerin war, die spielte.
Ohne Aufforderung unterbrach Len ihr Spiel und sofort kehrte die kalte Realität wieder und mit ihr auch der Frust. Er wollte Len gerade anfahren, als sie in ein leises Husten verfiel. Tavan seufzte und nahm ihr das Instrument aus den Händen. »Verzeiht mein Herr«, krächzte sie heiser.
»Schon gut, Len«, der Fürst erhob sich. »Geh schlafen, ich kann keinen kranken Diener gebrauchen.« Len verbeugte sich und verschwand.
Noch lange nachdem Len verschwunden war, saß Tavan auf seiner Bettkante und hielt die Laute in seinen Armen. Ungeduldig zupfte er an den Saiten. Sein Spiel war ungestüm und die Töne schienen sich zu überlappen. Eine Melodie jagte die andere, es war ein aufbrausender Sturm, der absolut nichts Schönes mit sich brachte. Regen peitsche gegen die Scheibe seines Fensters und unterstützte die grobe, laute Musik. Er brachte es einfach nicht fertig, so zarte und klare Töne wie Len zu erschaffen.
Bei ihr sah alles so leicht und harmonisch aus, als würden ihre Finger über die Saiten tanzen. Tavan hatte das Gefühl, er würde die Laute auspeitschen.
Mit einem unterdrückten Schrei, stoppte er sein Spiel. Am liebsten hätte er die Laute auf den Boden geworfen und zertrümmert.
Die Laute war wie der Himmel, den Len sah. Sie machte keinen Unterschied, ob reich oder arm, ob frei oder gebunden.
Demjenigen mit Talent, belohnte sie mit wunderschönen Klängen und demjenigen, talentfreien, mit gequälten Schreien. Musik war nicht etwas, was nur im Adel vererbt wurde. Selbst sein Vater hatte das eingesehen. Zu seiner Unterhaltung hatte er Straßenmusikanten eingestellt, die ihm auf dem Mark aufgefallen waren. Die vesialische Blutlinie der Fürsten war einfach nicht mit musikalischen Talent gesegnet. Es gab nur wenige Ausnahmen, die das musikalische Talent aus anderen Häusern übernommen hatten, sein Onkel zum Beispiel – möge er in Frieden ruhen! Tavan dachte heute eindeutig zu oft an ihn. Er hängte die Laute wieder an seinen Platz und gab sich einem unruhigen Schlaf hin.  

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