ACHTUNDZWANZIG

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ACHTUNDZWANZIG

Als sie die Eingangshalle betraten, kam ihnen Ludmilla aufgeregt entgegen gelaufen. "Ist etwas passiert?", fragte Dorothea alarmiert. Ludmilla schüttelte den Kopf, bevor sie antwortete. "Nein. Mir ist nichts passiert. Aber im Stadtzentrum. Da war heute die Hölle los." „Was war da los? Etwas Schlimmes?"

Benno gingen sofort sämtliche Horrorszenarien durch den Kopf, die sich in Belfast hätten abspielen können. Ludmilla nahm die Zeitung von einer Kommode und schlug sie auf. Bereits auf dem Titelblatt hatte man die Schlagzeile groß angekündigt. Im Innenteil war eine ganze Seite dazu geschrieben, versehen mit Bildern. Die Haushälterin zeigte den Jugendlichen den Artikel.

„Anhänger einer unbekannten Sekte in Belfast gesichtet. Was haben sie vor?", las Dorothea die Überschrift vor sich hin murmelnd vor. „Bereits gestern sichteten Passanten die seltsam kostümierten Menschen, die sich in der Innenstadt, besonders am Donegall Square, bewegten. Als sich einige Kunden eines Textilgeschäftes belästigt fühlten, rief man die Polizei. Laut deren Pressesprecher reagierten die Unbekannten sehr zurückgehalten.

Ausweisen konnte sich keiner von ihnen, nur den Vornamen verrieten sie jeweils. Von moderner Technik wie Computern oder Handys scheinen sie noch nie gehört zu haben, wie ihre Reaktion im Hauptrevier der nordirischen Polizei zeigte. Auch nach mehreren Befragungen, die nach einigen erfolglosen Versuchen von Polizisten von Psychiatern durchgeführt wurden, kann man noch nicht viel sagen. Dr. Robert Huffington vermutet jedoch, dass diese Menschen einer bisher gänzlich unbekannten Sekte angehören. Sie lebten bisher von anderen Menschen versteckt, was ihre Kenntnisse von moderner Technik erklären könnte.

Jedoch kann der Psychiater nicht erklären, warum sie jetzt an die Öffentlichkeit getreten sind. Dass sie etwas planen, einen Anschlag beispielsweise, schließt er jedoch aus. Ihr Verhalten spräche dagegen, erklärte Huffington, der in seiner Karriere bereits mehrere Schwerverbrecher behandelt hat. Durch die Erfolge bei diesen Menschen verspricht sich die Polizei jetzt auch einen schnellen Durchbruch im jetzigen Fall. Der Psychiater wundert sich jedoch, warum wegen den Menschen so eine Aufruhr betrieben wird.

Bisher seien sie einfach nur da und man könne nicht sagen, was sie planen. Vielleicht sind es auch nur Menschen, die eine Vorliebe für eine weniger technisierte Welt und eine bestimmte Art von Kleidung haben. Es könne eine Art Lebensstil sein, zu vergleichen mit der eines Veganers, schließt er seine Erklärung. Spekulationen häufen sich inzwischen in den sozialen Netzwerken. Einige Videos kursieren im Netz, die bereits millionenfach geteilt wurden. Wir werden weiterhin berichten." So endete einer der Artikel auf der Seite.

Ein Reporter hatte auch einige Passanten und Augenzeugen befragt. Während einige die Ansicht von Psychiater Huffington teilten, es könne einfach nur ein Lebensstil sein, den man respektieren müsste, hielten andere diese Menschen für Außerirdische, deren Ankunft den Beginn einer Invasion darstelle. „Ist das nicht verrückt?", fragte Ludmilla die Jugendlichen. „Diese Menschen scheinen wirklich etwas komisch zu sein, wenn nicht sogar verrückt", stimmte ihr Lasse zu. „Sind wir das nicht alle? Komisch und verrückt?", fragte Benno.

„Laufen wir in seltsamen Kostümierungen durch das Stadtzentrum?", erwiderte Lasse und beantwortete sich seine Frage gleich selbst. „Nein." Dafür sprechen wir mit Steinstatuen und sehen Freizeitparks, die es gar nicht gibt, dachte Benno, sprach seine Gedanken aber nicht laut aus. „Eine Alien-Invasion! Wer an sowas glaubt, ist doch eigentlich selbst nicht besser, als die angeblich Verrückten", sagte er stattdessen und Ludmilla nickte bestätigend.

Die Haushälterin hatte noch nie viel von Klatsch und Tratsch gehalten, der vor allem durch die Presse schnell die Runde machte. Die Bilder, die Passanten mit den Handys aufgenommen hatten, waren ziemlich unscharf. Dennoch konnte man immer wieder eine Person ausmachen, die nicht so recht ins Bild passen wollte. Ihr Kostüm war mit Symbolen geschmückt, schwarze und rote Zeichen auf weißem Grund. Benno hätte die Kostüme für Karnevals-Verkleidungen gehalten, aber gab es das in Nordirland überhaupt? Wenn, dann sicherlich auch nicht im August. Dorothea betrachtete die Bilder näher und schrie auf.

„Kind! Was ist denn mit dir los?", fragte Ludmilla erschrocken. „Du wirst doch wohl den Unsinn mit der Invasion nicht glauben?" „Nein, nein, das ist es nicht", versicherte Dorothea schnell, die inzwischen schon wieder blass geworden war. „Ich glaube nur..."

Sie stockte. „Ich bin mir nicht sicher, aber ich denke, dass ich so ein ähnliches Kostüm schon mal gesehen habe." Alarmiert sahen Benno und Lasse das Mädchen an. Sie ahnten bereits, worum es ging. „Wo denn?", fragte Ludmilla interessiert. „Auf einer Internetseite. Keine Ahnung, ich bin mir nicht mehr sicher." „Das könntest du der Polizei sagen. Vielleicht hilft ihnen das weiter", schlug Benno vor. Er wusste, dass Dorothea log. „Nein, das wird nicht nötig sein", erwiderte das Mädchen. „Immerhin hat doch jeder das Recht, sich im Internet ein Kostüm zu bestellen und es anzuziehen. Außerdem bin ich mir nicht einmal mehr sicher, ob es überhaupt dasselbe Kostüm ist. Das würde der Polizei nicht weiterhelfen."

„Dorothea hat Recht", stimmte die Haushälterin zu. „Damit würde sie nur noch mehr in der Gerüchteküche mitmischen. Apropos Küche... Was darf ich euch denn zum Abendessen kochen? Matthias hat heute Morgen keine besonderen Wünsche geäußert."

Doch Benno, Lasse und Dorothea verspürten im Moment wenig Appetit...

Thunderstorm - Der Fluch (Buch I)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt