"Fahr zur Hölle, Alice A".

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Kaum hatte er sich über mich gebeugt, hatten weder meine  Augen verarbeiten was geschah, noch mein Körper sich reflexartig durch die Berührung versteift. Bevor ich mich versehen konnte, saß er wieder kerzengerade vor seinem Lenkrad. Meine Tür geschlossen.
"Warum so hektisch?", fragte ich ihn laut keuchend. Er  grinste, ließ den Motor aufheulen und beschleunigte schnell. Mein Sitz vibrierte. "Ich warte halt nicht so gerne."
Dieses Gefährt war definitv kein Opel Corsa aus dritter Hand, wie ihn meine Mutter fuhr.
Ich wollte diese lächerliche Verfolgungs-Ahnung im Keim ersticken, meine Gedanken kreisten um nichts anderes mehr. "Was war da eben los?", erkundigte ich mich mit einem möglichst beiläufigem Tonfall. Er schielte einmal kurz in meine Richtung, ließ den Blick mehrmals besorgt über die Straße gleiten: "Dich hat nichts verfolgt."
"Wie kommst du jetzt darauf?"
Schlagartig riss er das Lenkrad nach links, mit weit geöffneten Augen sagte er : "Doch, hast du.",  und beschleunigte mehr. Ich könnte schwören, dass Seys Augen von einem unnatürlichen Glühen umgeben waren, doch ich wurde durch die Beschleunigung arg in den Sitz gedrückt, atmete unfreiwillig den Ledergeruch ein. "Fährst du zu schnell?", fluchte ich, als mein Hals sich wieder beruhigt hatte. "Definitv noch zu langsam um ... ", er hielt inne, machte einen weiteren Schlenker. Wenn mich nicht alle meine Sinne getäuscht hatten, war er einem großen, schwarzen Brocken Fell ausgewichen. Einem riesengroßen Brocken Fell. Mir wurde warm und kalt zugleich. Meine Hände wurden feucht, panisch sah ichaus dem Fenster.
Ich konnte es nicht näher identifizieren, zusehr wurde ich durch den penetranten Geruch abgelenkt oder das verboten hohe Tempo. "Sey ... was war das gerade?", fragte ich ganz leise, als befürchtete ich, dass das Etwas gleich auf dem Dach landen könnte.

~~~

"Ein Höllenhund? Tatsächlich?", ich warf Sey einen skeptischen Blick zu, "Dir ist bewusst, dass man im alkoholisierten Zustand nicht ans Steuer darf?"
Er lachte kurz auf, wurde aber wieder ernst. Sey sah mir tief in die Augen: "Alice ... es gibt einige Dinge die du nicht ... ", er richtete prüfend den Rückspiegel, bevor er sich wieder mir zuwand, "Die du noch nicht weißt."
Ich schnaubte: "Richtig, zum Beispiel was du früh morgens auf meinem Schulweg machst! Was hast mitten auf einem Landstrich vor?"
"Ich hatte so eine Vermutung ... Alice, lass es mich erklären.", bat er.
"Was für eine Vermutung?! Du kannst mir nicht erzählen, dass es irgendein dummer Hund ist, dafür fürchtest du dich zu sehr!"
"Ich mich fürchten? Du denkst doch nicht wirklich ...", er gab einen undefinierbaren laut von sich, ähnlich dem eines knurrenden Tieres und startete aprubt den Rückwärtsgang. Gleich doppelt überrascht schrie ich auf: "Was zur Hölle tust du da!"
Panisch klammerte ich mich an den Türgriff. "Zumindest verfalle ich nicht  in eine Schockstarre, wie du!"
Bitte?! Empört öffnete ich meinen Mund, wollte etwas entgegnen, aber er kam mir zuvor. "Du zitterst am ganzen Leib, du wirst vollkommen aus deinem Konzept geworfen."
Ohne eine Pause zu machen, redete er weiter: "Aber das ist am Anfang normal. Das ist immer so! Ihr kriegt es einfach nicht in eure perfekte kleine Welt! Mit ihren perfekten Bewohnern und perfekten Tücken. Du hast ja keine Ahnung! Ihr alle habt sowas von keine Ahnung!  Und ihr werdet es auch nie erfahren."
Er vollendete eine saubere halbe Drehung, das Gaspedal komplett durchgedrückt.  "Von was redest du?!"
Er verzog das Gesicht: "Ach weißt du was? Eigentlich ist es egal. Ich fahr dich jetzt zur Schule."
"Sey! Rede mit mir!"
"Du musst nichts  wissen, ich bekomme das ohne dich hin!"
"Sey! Was muss ich nicht wissen?!", brüllte ich, mir stand das Wasser zum Hals. Aufgebracht knetete ich meine Hände. Sey mahlte wütend mit seinem Kiefer, drehte  ruckartig sein Gesicht zu mir: "Das!"
Lautstark schnappte ich nach Luft, versuchte nicht aufzuschreien.
Seine sonst so klaren, blauen Augen wurden von einem lodernen Purpur umrandet, sie brannten sich stechend in meine Netzhaut. "Ach du heilige ... !"
Er wandte sich köstlich amüsiert ab. "Tut das weh ... ?", fragte ich zögernd, wollte mit meinen Fingerspitzen sein Gesicht berühren. Perplex sah er mich an, blockierte meine Hand: "Du bist nicht geschockt deswegen, sondern sorgst dich um mein Wohlergehen?"
Es hätte fast ein Kompliment sein können, wäre da nicht diese Betonung, diese tadelnde Note. "Bist du eigentlich vollkommen benommen, Alice A? Wenn du so etwas siehst, bleibst du nicht stehen, und fragst ob du helfen kannst. Verstanden, Alice A?", er krallte seine Finger in das Lenkrad, "Du rennst so schnell du kannst, als ginge es um dein Leben."
Ich unterbrach ihn nicht, weil er ehrlich besorgt klang, aber es war zu lächerlich, ich fing an zu kichern: "Sag schon, woher hast du die Kontaklinsen? Wo kann man die kaufen?"
"Fahr zur Hölle, Alice A."

Fahr zur Hölle, LieblingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt