Kapitel 16

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Trice

Unsere Klassenfahrt neigt sich nun langsam dem Ende zu. Morgen früh reisen wir schon ab und ich habe die Sache immer noch nicht mit Justin geklärt. Wie denn auch, wenn ich ihn kaum zu Gesicht bekomme? Und das obwohl wir uns ein Zimmer teilen!

Es klopft an der Tür und Miguel steckt seinen Kopf ins Zimmer: "Leute, ich soll euch sagen, dass wir uns heute Abend alle im Gruppenraum treffen. So als letzte Aktivität. Die Lehrer werden natürlich nicht dabei sein."
Boah, ne. Ich hab echt kein Bock da drauf. Miguel scheint meine Begeisterung zu sehen, denn er fügt schnell hinzu, dass wegen morgen auch kein Alkohol im Spiel sein wird. "Was wollt ihr denn machen?", fragt Luke mit der selben Freude wie ich.
"Was weiß ich, chillen und reden. Die Mädchen wollen auch Flaschendrehen spielen." Flaschendrehen? Wie alt sind wir? 12?
"Ach kommt schon, alle kommen! Sogar Justin und Leon."
Justin würde bestimmt nicht mehr mitmachen, wenn er weiß, dass ich auch komme.
"Bei dieser Hartnäckigkeit würde jeder kommen.", seuftz Luke, "Wetten sie wurden auch so dazu gezwungen? Aber wir wollen ja keine Spielverderber sein."

Und so ist es gekommen, dass am Abend die ganze Klasse zusammen im Gruppenraum sitzt. Wie ich schon vorhergesehen habe, hätte ich echt nicht kommen sollen. Alle sind total unruhig und reden vor sich hin, während ich hier sitze und mich langweile. Ein paar mal werfe ich einen Blick auf Justin, doch für ihn bin ich anscheinend immer noch nur Luft. Als ich mich neben ihn setze - in der Hoffnung, dass wir vielleicht noch reden können - geht er zu meiner Verwunderung nicht weg. Ich beobachte ihn von der Seite. Er scheint ebenfalls absolut keine Lust auf die ganze Veranstaltung hier zu haben, während die Mädchen neben ihm ihn die ganze Zeit vollquatschen. Es ist ein Wunder, dass er mal nicht bei Leon ist. Dieser hat Luke nämlich vor 'ner Weile von mir weg gezerrt. Ich frag mich was das eigentlich werden sollte. Nun sitzen die beiden am Fensterbrett und werfen manchmal verstohlene Blicke zu uns herüber.

"Okay Leute, jetzt seids mal alle leise. Wir spielen jetzt Wahrheit oder Pflicht. Wer sich weigert etwas zu machen, kriegt von allen eine Faust.", ruft Miguel in die Runde, "Setzt euch alle in den Kreis."
Man kann deutlich erkennen wer aus unserer Klasse alles Lust auf dieses dumme Spiel hat und wer nicht. Wessen Idee war das ganze überhaupt?

Nach einigen Runden war ich glücklicherweise immer noch nicht dran und wäre schon fast weg gedriftet, als plötzlich Medley dazu aufgefordert wird Justin zu küssen. Als ich das höre, fahre ich erschrocken auf und mein Herz wäre mir fast aus der Brust gesprungen. Hab ich mich verhört? Gespannt schaue ich zu Justin und bin mir fast schon absolut sicher, dass er lieber von jedem 'ne Faust kassieren würde, als sich von irgendjemanden küssen zu lassen. Doch ich täusche mich. Er sitzt einfach nur desinteressiert und reglos da, während Medley langsam aufsteht und auf ihn zu geht. Mit jedem Schritt den sie näher kommt, schlägt mein Herz immer schneller. Wieso will Justin sie nicht aufhalten? Ich beiße mir auf die Lippen und starre auf den Boden. Ich will das echt nicht mitansehen müssen. Aber ich will nicht, dass jemand anderes als ich ihn berührt! Frustriert schaue ich hilfesuchend zu Luke und Leon. Beide schauen mich gespannt und mitleidig an, aber sonderlich schlimm scheinen sie es auch nicht zu finden. Reagiere ich etwa über? Ich kriege kaum noch Luft und mein Herz zieht sich zusammen als Medley sich vor Justin hinhockt. Als sie Anstalten macht sich zu ihm vorzubeugen, verselbstständigt sich mein Körper. Ich packe Justin an der Schulter und zerre ihn weg von ihr, zu mir, und vergesse alles um mich herum. In meiner Welt existieren nur noch ich und er, der mich aus großen Augen erschrocken anschaut. Verträumt greife ich nach seinem Kragen, ziehe ihn noch näher zu mir, sodass er sein Gleichgewicht verliert, und lege meine Lippen auf seine. Er lässt es über sich ergehen, statt sich zu wehren. Als ich mich von ihm löse, stammelt er mit einem hoch roten Gesicht: "S-Sowas darfst... du doch nicht machen!" Und versucht dabei verärgert auszusehen, doch seine nach oben gerichteten Mundwinkel und seine glasigen Augen verraten, dass er sich vermutlich gerade wie der glücklichste Mensch auf Erden fühlt. Dieser Anblick erfreut mein Herz, holt mich aber gleichzeitig zurück in die Realtität.

"Er gehört mir und wehe jemand vergreift sich an ihm.", wende ich mich an die Klasse und klinge dabei äußerst bedrohlich. Einfach alle Blicke sind auf uns gerichtet und es herrscht einen Moment absolute Stille bis alle langsam realisieren was hier vor sich geht. Medleys verunsichertes Kichern unterbricht das Schweigen und andere schließen sich ihrem Gelächter an. "Seid ihr etwa schwul?", fragt Alexis mit großen Augen und wirkt fast schon begeistert. Es folgen noch andere Reaktionen wie "Igitt, ihr scheiß Homos, tut das gefälligst woanders.". Leon bringt alle mit einem lauten Klatschen wieder zum Schweigen und schaut mich anerkennend an. Dann wendet er sich zu Luke und legt seine Arme um seine Schultern, so als würde er ihn gleich küssen wollen. Luke spielt mit und legt seine Hand verführerisch auf Leons Wange, während beide sich tief in die Augen schauen.
Ich nutze dieses Ablenkungsmanöver und ziehe Justin mit mir hinaus zur Tür.

Reverse (BoyxBoy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt