Freiheit

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"Verena, aufstehen. Komm schon, du musst in die Schule." Ich schlage die Augen auf. Meine Mutter steht in meinem Zimmer reist die Fenster auf und dreht sich dann wieder zu mir um: "Hast du schon wieder in Klamotten geschlafen? Und geschminkt bist du auch noch." Mein Kopf hämmert wie verrückt, trotzdem rappel ich mich hoch und spaziere ins Bad. Beim Blick in den Spiegel muss ich lachen, meine Schminke ist verlaufen und hat sich über mein gesamtes Gesicht verteilt und meine Haare sehen aus, als hätte sich eine ganze Vogelfamilie ein Heim dort eingerichtet.

Trotz des Gezeters meiner Mutter, verpasse ich den Schulbus und "muss" somit mit ein paar Freunden in die Schule fahren. Wir kommen sogar noch vor dem Bus in der Schule an, auf der Suche nach einem Feuerzeug findet sich in meiner Jackentasche ein gefalteter Briefumschlag. In einwandfreier Sauklaue steht dort: "Wenn du dies liest wirst du sie nötiger haben."

Ich muss grinsen, Fritzi ist schon manchmal meine Lebensretterin.

"Verena, Sie müssen sich schon etwas mehr anstrengen, wenn Sie das Abitur bestehen möchten." Anna lacht laut auf, nachdem Kai seine Darstellung unseres Mathelehrers beendet hatte. "Aber viel besser war ja eigentlich Veris Antwort: "Herr Müller, Sie müssen ihren Unterrichts schon etwas spannender gestalten, wenn Sie wollen, dass Verena ihr Abitur besteht." Und erneut brach Gelächter an unserem Tisch in der Mensa aus. "Und wie sie seinem Blick standgehalten hat, bis er aufgeben musste."

Ich starre Bianca an, sie sitzt neben mir und spricht über mich als wäre ich nicht da. Aber kurz darauf scheint sie, meine Anwesenheit bemerkt zu haben, denn sie dreht sich zu mir um: "Willst du auch welche?" Sie hält mir ihre Chipstüte entgegen, ich ziehe eine Augenbraue hoch und sowohl Kai als auch Anna beginnen unverzüglich, erneut zu lachen. "Was ist denn los?" Bianca ist sichtlich verunsichert.

Unter Prusten bringt Kai hervor: "Unsere kleine Verena ist Bulimikerin, sie frisst nicht." Verdutzt blickt Bianca mich an: "Wirklich gar nichts." "Nein nichts, aber ich würde mir gerne das Wasser ausleihen." Da ich zu schnell für ihr kleines Gehirn geantwortet habe, nehme ich es mir einfach und verlasse die Mensa.

Ich habe nichts dagegen, dass die Leute über mich reden, aber können sie das nicht hinter meinem Rücken tun und mich mit diesen dämlichen Fragen in Ruhe lassen? An meinem Schließfach angekommen, nehme ich das Chemiebuch heraus und schlage das Buch auf. Immer wenn ich das tue kommt mir der Gedanke, dass ich wahrscheinlich die erste Schülerin dieser Schule bin die weiß, dass sich im Buchdeckel ein Periodensystem befindet. Dieses Buch ist eines der vielen Bücher, die einem nur ausgegeben werden, damit die Lehrer die Schuld der dummen Schüler auf diese selbst übertragen können, da man den Schülern ja so die Möglichkeit gibt, etwas über Chemie zu lernen.

Ich ziehe das kleine Päckchen, welches ich heute früh dort platziert hatte ab und entdecke: 56 Barium. 'Ach wie interessant, habe ich doch wieder ein neues Element kennen gelernt.' Als das Buch wieder im Spint steht, reiße ich das kleine Päckchen auf. 'Jetzt habe ich es wirklich nötiger als Fritzi.' Ein Schluck Wasser und eine kleine Pille und schon ist die Schule viel bunter. Selbst Herr Müllers Unterricht, hätte jetzt seine kreatives Seiten.

Nach der letzten Unterrichtsstunde standen Anna, Kai und ich och kurz auf dem Schulhof. "Hey Verena, du hast Recht, ist das nicht der Wagen deiner Mum?" "Ich dachte echt du verarschst uns, als du meintest sie würde dich heute abholen. Wie kommt sie denn auf die Idee?" "Das wüsste ich selbst gern, aber sie hat gesagt, dass sie mich heute von der Schule abholt." "Sie hat doch bestimmt einen Termin oder so was und fährt dich halt noch nach hause." Ich runzle meine Stirn: "Nein, das habe ich mir auch schon gedacht, aber sie meinte sie hätte heute keinen Termin." "Na, vielleicht ist ihr einfach aufgefallen wie scheiße sie dich manchmal behandelt."

Ich setze mich neben meine Mutter auf den Beifahrersitz und starre sie ungläubig an. "Warum holst du mich heute ab? Wenn ich dich sonst gefragt habe, hast du gesagt, ich wäre es nicht wert, den Sprit zu verfahren, ich könne ja schließlich auch Bus fahren." "Ich will doch nur einmal eine gute Mutter sein."

Sie lässt den Motor an, während ich noch versuche, das Gesagte zu verarbeiten. Aber bereits als das Auto das erste Mal abbiegt, fällt es mir wie Schuppen vor die Augen. "Mum, das ist nicht der Weg nach haus." "Natürlich nicht, wir fahren deinen kleinen Bruder abholen, er hat im Deutschdiktat eine Zwei geschrieben und da dachte ich es wäre nett, wenn du dabei bist, um ihm zu gratuliern. Ich hole ihn doch Freitags immer ab, da hat er doch Sportunterricht und muss seinen Turnbeutel noch tragen."

'Ich kann es nicht glauben, wie konnte ich nur so naiv sein und glauben, sie hätte mich abholen wollen.'

"Ach und setz dich dann doch bitte nach hinten, Tim findet er wirkt wie ein kleines Kind, wenn er hinten sitzen muss."

"Halt an!" "Wie bitte?" Meine Mutter guckt kurz zu mir rüber. "Ich sagte, du sollst anhalten und zwar sofort!" Das Auto stoppt, ich reiße die Tür auf, nehme meine Tasche und renne los. 'Wenn ich mich beeile, bekomme ich den Bus noch.'

Der Motor vom Auto meiner Mutter ertönt hinter mir, als sie weiter fährt, damit sie bereit steht, um ihrem Sohn zu seiner guten Note zu beglückwünschen.

Zuhause angekommen reiße ich den Schrank auf und nehme wahllos alle Kleider heraus, die ich finden kann. Währenddessen rufe ich Nora an, ich weiß, dass Fritzi letztlich noch bei ihr geschlafen hat und natürlich lässt sie mich auch bei ihr pennen. Ich laufe durchs Haus und sammle so viel Geld ein wie ich finden kann, meine Mutter ist im Bargeld verstecken keine große Leuchte und vor lauter Wut auf diese Ungleichheit der Behandlung durch unsere Mutter, muss leider auch das Sparschwein meines Bruders daran glauben.

Es war nicht besonders viel drinnen, da sie erst letzte Woche mit ihm auf der Bank war, aber ich hatte ihm das Schwein zu seiner Einschulung geschenkt und somit fand ich es sehr passend, es genau in diesem Moment in einen Haufen Scherben zu verwandeln. Das Schwein hatte ich damals blau bemalt und hatte Matheaufgaben und englische Wörter darauf geschrieben.

Noras Wohnung war nicht besonders groß und ich konnte auch nur auf einer Matratze auf dem Boden schlafen, aber es war mir um einiges lieber, als bei meiner Mutter schlafen zu müssen. Nora war ein großes Mädchen, sie hatte braunes Haar und eine super Figur. Als ich meine Taschen abgestellt hatte, zog sie mich zu sich, sodass sie mir von oben herab in die Augen sehen konnte.

"Ich weiß, dass du in einer beschissenen Situation bist, aber du kannst hier nicht bleiben. Haben wir uns verstanden, du musst hier so bald wie möglich wieder weg."

Im ersten Augenblick war ich ziemlich geschockt über ihre klare Aussage, aber wenigstens konnte ich heute Nacht hier bleiben.

Mit dem Bus fuhr ich wieder in die Stadt, Fritzi war heute nicht da aber Ole und sein Kumpel Liam, hörten sich die Scheiße über meine Mutter an. Sie waren sich einig, dass ich nur mit einem guten Job, weitermachen könne und es gab nur einen Ort an dem ich eine Chance hatte so schnell einen Job zu bekommen.

"Bitte, geben Sie mir einen Job, ich kann alles tun. Ich habe schon Erfahrung und besser Sie haben mich schon eingestellt, als wenn ihnen morgen auffällt, dass Sie doch noch jemanden brauchen." Die Frau der ich gegenüber sitze, heißt Frau Weißfelder, sie ist um die fünfzig Jahre alt und ist nur auf Geld aus, deswegen füge ich noch hinzu: "Stellen Sie sich doch mal vor, was für enormen Geldverlust es bedeutet wenn Ihnen, morgen eine Arbeitskraft fehlt und Sie Ihren Gästen erklären müssen, dass Sie erst einmal jemanden suchen müssen. Sie würden Sie verklagen und so etwas kann teuer werden...".

Sie starrt mich aus kalten, eisigen Augen an und meint dann spitz: "Sie beginnen morgen früh um sechs, seien Sie pünktlich und beten Sie, dass ich morgen immer noch so wohlgesonnen Ihnen gegenüber bin."

Als ich das Hotel verlasse, strahle ich Ole und Liam entgegnen. Sie sitzen rauchend davor und reichen mir auch sogleich ein Bier. Schließlich muss meine Einstellung ja gefeiert werden. "Ich raff' es einfach nicht, wie hast du es geschafft in so einem scheiß teuren Ding angestellt zu werden?" Liam sieht mich ungläubig an. "Ich habe letzten Jahr ein Praktikum dort gemacht. Hab die Chefin mit ihrem Liebhaber erwischt, als ich sie holen sollte, weil ihr Ehemann auf sie wartete. Ich habe ihn erfolgreich abgelenkt, deswegen schuldete sie mir noch einen Gefallen."

Ole, Liam und ich verschwinden von dort und machen uns auf den Weg zu den Clubs, heute muss gefeiert werden. Endlich bin ich meine Mutter und ihren kleinen Liebling los. Ich ziehe ein paar Scheine aus der Tasche. "Kommt Jungs, ich brauch jetzt ein bisschen Stoff, wollt ihr auch? Meine Mutter zahlt." Lachend und leicht angetrunken fallen wir in den ersten Club ein, an dem wir vorbei kommen.


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